US Open:Das vielleicht wichtigste Comeback in Zverevs Karriere

US Open: Ungläubiger Sieger: Alexander Zverev steht im Finale der US Open.

Ungläubiger Sieger: Alexander Zverev steht im Finale der US Open.

(Foto: AP)

Der Deutsche gewinnt im Halbfinale der US Open einen Fünf-Satz-Krimi gegen Carreño Busta. Als es schlecht läuft, fliegen weder Schimpfworte noch Schläger - die Gelegenheit zur Krönung folgt im Finale am Sonntag.

Von Felix Haselsteiner

Alexander Zverevs "Come on" ließ lange auf sich warten. Erst Mitte des dritten Satzes war in der Stille des riesigen Arthur Ashe Stadions ein Anfeuerungsruf zu hören, mit dem sich der 23-Jährige motivierte. Da hatte er gerade ein Break geholt, das sich als ein Wendepunkt im US-Open-Halbfinale herausstellen sollte: Zverev führte nun - zum ersten Mal in diesem Match - und gewann ein paar Minuten später den dritten Satz mit 6:3. Es war im Rückblick ein Weckruf zum rechten Zeitpunkt, mit dem Zverev das Match auf den Kopf stellte und nach einem beeindruckenden Comeback in fünf Sätzen in sein erstes Grand-Slam-Finale einziehen sollte.

Dabei hatte es in den ersten beiden Sätzen so ausgesehen, als würde die Nummer Sieben der Weltrangliste eine Lehrstunde bekommen. Der Spanier Pablo Carreño Busta, Nummer 27 der Welt, überrumpelte Zverev in den Sätzen eins und zwei mit offensichtlich perfekter Vorbereitung - und einer beeindruckenden Fehlerlosigkeit. Was immer Zverev versuchte, Netzangriffe, Cross-Bälle, lange, kurze Ballwechsel, taktische zweite oder wuchtige erste Aufschläge: Carreño Busta hatte auf das alles nicht nur irgendeine Antwort, sondern meistens eine, die zu einem direkten Punktgewinn führte.

Der Spanier dominierte nach Belieben, wirkte wesentlich zielstrebiger und erinnerte in seiner Dominanz und seinem routinierten Vorgehen fast an einen der großen Drei, Djokovic, Nadal, Federer, von denen in diesem Jahr zum ersten Mal seit langer Zeit keiner im Halbfinale steht. Zverev hingegen schloss an seinen fahrigen Auftritt aus dem Viertelfinale an, als er gegen den Kroaten Borna Corić im ersten Satz fehlerhaft gespielt hatte und sich am Ende nur mit Müh und Not durchsetzen konnte. Diesmal verlor Zverev gar die ersten beiden Sätze, noch dazu klar mit 3:6, 2:6. Zwischenzeitlich lag der Deutsche im zweiten Satz mit 0:5 hinten und hatte 18 direkte Punkte weniger gemacht als Carreño Busta. "Ich hab nicht mein bestes Tennis gespielt, hatte im gesamten Turnier noch kein Nacht-Match gespielt, die Bälle sind langsamer geflogen", versuchte Zverev im Interview bei Eurosport nach dem Spiel seine schwachen ersten beiden Sätze zu erklären.

Es flogen weder Schläger noch Schimpfworte

Viel entscheidender war aber wohl, was trotz des verpatzten Starts nicht passierte. Anders als noch in den vergangenen Jahren ließ sich der Deutsche nicht von der Wucht eines 0:2-Rückstandes entmutigen - von einem solchen Rückstand war Zverev zuvor noch nie zurückgekommen. Es flogen weder Schläger noch Schimpfworte, bis auf ein dezent frustriertes Kopfschütteln und eine fragende Geste in Richtung seiner Box war dem Deutschen keine Aufgabe anzumerken. "Ich habe mich nach dem 0:2-Satzrückstand hingesetzt, mir gesagt, dass ich in einem Grand-Slam-Halbfinale als Favorit hinten liege, und mir dann vorgenommen, dass ich ab jetzt jeden Satz wie einen fünften Satz spiele", sagte Zverev. Die Taktik ging auf: Das erste Spiel im dritten Satz gehörte Zverev klar und spätestens mit dem "Come on" fünf Games später war abzusehen, dass dieses Halbfinale noch längst nicht entschieden war.

Zverev spielte einen beeindruckenden dritten Durchgang, gewann 83 Prozent seiner Punkte nach dem ersten Aufschlag und machte nur drei ungezwungene Fehler. Carreño Busta hingegen wirkte nun eben wie ein 29-Jähriger Weltranglisten-27., dem bewusst wird, dass er einen Satzgewinn vom größten Erfolg seiner Karriere entfernt ist - was Zverev zu nutzen wusste. Der Spanier wirkte nervös, ließ sich zur Hektik hinreißen und verlor vor allem seinen anfänglich starken Aufschlag komplett. Mit dem 6:3 war Zverev wieder im Spiel.

Im vierten Satz schließlich wurde es ein ausgeglichenes Halbfinale. Carreño Busta behielt sich seine Aufschlagschwäche aus dem dritten Satz bei, was Zverev eine Vielzahl an Möglichkeiten beim gegnerischem Aufschlag verschaffte. Vor allem aber dominierte nun die Unsicherheit bei beiden: Sowohl der Spanier als auch der Deutsche hatten sichtbare Probleme mit dem ungewohnten Druck des Halbfinales.

Dazwischen wurde es auch hektisch: Zweimal traf Carreño Busta Zverev am Körper, beim zweiten Mal nahm der Deutsche die Entschuldigung seines Gegners deutlich nicht an - und war von der Situation offensichtlich so angestachelt, dass er die Kontrolle über das Spiel übernahm. Carreño Busta hatte zwar noch die Chance auf ein Comeback, hatte allerdings gegen Ende des vierten Satzes keine Antworten mehr und stattdessen Probleme mit dem eingeklemmten Nerv im Rücken, der ihm schon im Viertelfinale gegen Denis Shapovalov Probleme gemacht hatte. Mit dem 6:4 schaffte Zverev den letztendlich verdienten Satzausgleich.

Zverev spielte nun mit Mut

Auf den spannenden und umkämpften vierten folgte ein hochklassiger fünfter Satz. Zverev spielte nun mit dem Mut, der ihm in den ersten beiden Sätzen gefehlt hatte, schaffte bereits im ersten Spiel ein Break und lag nach drei Stunden Spielzeit mit 2:0 vorne. Carreño Busta gewann seine Aufschlagspiele allerdings nun wieder souveräner und blieb so in Schlagdistanz, doch Zverev spielte jetzt seine eigene Stärke beim Service aus, erarbeitete sich mit einer guten Quote beim ersten Aufschlag viele freie Punkte und hatte nach drei Stunden und 21 Minuten den ersten Matchball zum größten Erfolg seiner Karriere.

Es brauchte zwar noch einen zweiten, doch dann konnte Zverev sich mit einem fast schon ungläubigen Lachen über seinen ersten Einzug in ein Grand-Slam-Finale freuen - dank einer Leistung, die seine Weiterentwicklung zu einem reiferen, gefestigteren Top-10-Spieler unterstrich.

Die Gelegenheit zur Krönung folgt am Sonntag. Dann trifft Zverev im Finale der US Open auf Dominic Thiem. Bei den Australian Open zu Beginn des Jahres hatte sich Zverev dem Österreicher noch geschlagen geben müssen, damals im Semifinale. Aber diesmal wird es Thiem mit einem anderen Zverev zu tun bekommen, mit einem "Mentalitätsmonster". So betitelte zumindest Boris Becker den 23-Jährigen nach dessen Aufholjagd - und Becker ist immerhin der letzte Deutsche, der in New York gewinnen konnte.

Zur SZ-Startseite
US Open

Halbfinale der US Open
:Plötzlich ist Zverev der Liebling aller

Der deutsche Tennisprofi löste oft Irritationen aus, galt als Inbegriff der Abgehobenheit. Vor seinem Halbfinalspiel bei den US Open an diesem Abend erlebt er einen erstaunlichem Imagewandel.

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: