Die übermittelten Eindrücke zeugten von einem unbeschwerten Ereignis. In den sozialen Medien kursierte ein Foto von einem glitzernd geschmückten Festsaal, in dem das Galadinner stattfand. Der Ungar Marton Fucsovics schwärmte von einem Besuch im örtlichen Kunstmuseum, manch teilnehmende Spielerin postierte sich fürs Gruppenbild mit blank gezogenem Bein im Cocktailkleid. Andernorts, auch das ist dokumentiert, frohlockte ein Deutscher: Alexander Zverev tirilierte, er sei froh, endlich wieder nach seiner Fußverletzung auf dem Platz zu stehen.
Sicherlich freute sich Zverev über die positiven Schlagzeilen, die davon kündeten, dass sein Comeback gelungen sei. Zwar hatte er lediglich zwei längere Tie-Breaks gegen den Österreicher Dominic Thiem gewonnen (danach unterlag er dem Russen Daniil Medwedew im normalen Spielformat 0:6, 4:6), aber sei's drum. Seine Rückkehr ist grundsätzlich zu begrüßen.
Tennis lebt, Tennis funktioniert, selbst in der staden Nachsaison, könnte man denken, gäbe es nicht ein paar Haken. Edel und ausgelassen gespeist wurde ja jüngst bei einem Mannschaftswettbewerb in Sankt Petersburg, eingepackt in den unschuldigen Turniertitel North Palmyra Trophies. Zverev wiederum trat in Saudi-Arabien an, beim porentief rein klingenden Diriyah Cup, der bekanntlich Teil eines Sportswashingprogramms ist. Der Australier Nick Kyrgios sagte wenigstens unverhohlen, warum er dort antrat: wegen der Kohle. Er ließ dafür sogar, obwohl Patriot, den Davis Cup sausen, eine sechsstellige Summe für zur Schau gestellte Bemühungen mitzunehmen, war ihm genehmer.
Und die Männer-Profiserie ATP? Die inszenierte jetzt Führungsstärke, indem sie dem britischen Tennisverband LTA eine Strafe von einer Million Dollar aufdonnerte - weil die LTA russische und belarussische Profis in diesem Jahr von Turnieren in Großbritannien ausgeschlossen hatte wegen Russlands Angriffskriegs gegen die Ukraine. Als mindestens bemerkenswert darf man all diese Entwicklungen empfinden; es ist ja nicht allzu lange her, dass das süße Lied der Moral besungen wurde. "Peace", Frieden, schrieb mancher Profi mit Filzstift auf die TV-Kamerascheibe; gerne wurde eine blau-gelbe Flagge neben dem Eigen- oder Sponsorennamen im Netz gepostet, als Zeichen der Solidarität. Haltung, immerhin - sie währte einen Sommer lang.
Der Fall Peng Shuai:Herr Wang Kan übersetzt
Erstmals gibt die Tennisspielerin Peng Shuai einem westlichen Medium ein Interview: Ihre Vorwürfe sexualisierter Gewalt seien ein Missverständnis. Das Gespräch findet unter fraglichen Umständen statt - und wirft viele neue Fragen auf.
Wer erinnert sich nicht an jene Tage, als sich das Gefühl breitmachte: Sind wir nicht alle ein bisschen Ukraine? Und waren wir nicht auch Peng Shuai? Der Fall der so lange vermissten und unter dubiosen Umständen wieder aufgetauchten Chinesin hatte die Branche eine Zeitlang in Beschlag genommen, die Frauentour WTA fühlte sich dazu animiert, Turniere in China auszusetzen, was WTA-Boss Steve Simon zu Recht als Mann mit Rückgrat erscheinen ließ. Dem Vernehmen nach soll ein anderes Land nun eine Chance auf die eine oder andere Veranstaltung wittern: Saudi-Arabien. Die Welt ist kompliziert. Kompliziert wie selten.
Bei komplexen Themen wie Saudi-Arabien herrscht Schweigen
Haltung muss man sich eben leisten können, auch deshalb ist Differenzierung umso wichtiger. Dass sich ein Land wie Saudi-Arabien dem Sport öffnet, ist per se nicht zu verurteilen, im Gegenteil. Es wäre halt nur schön, wenn die Menschenrechte dort auch mal so auf Hochglanz poliert und mit hunderten Hashtags promotet würden wie der Diriyah Cup, den übrigens ein in der Schweiz lebender Österreicher veranstaltet, der in den vergangenen Jahren das ATP-Turnier in Hamburg durchführte. Zverev wirbt einerseits für seine neue Diabetes-Stiftung, eine feine Sache. Aber schreibt man sein Management zu komplexen Themen wie nun mal Saudi-Arabien an, herrscht Schweigen. Haltung muss man sich auch leisten wollen, sie steht jedem zum Glück frei, zumindest wenn man nicht gerade aus Ländern wie Saudi-Arabien stammt.
Auch keine neue Erkenntnis: Moralisch biegsam sind viele, wobei es nicht leicht ist, Thomas Bach in der Disziplin zu überbieten. Stück für Stück arbeitet der IOC-Präsident an der Wiederaufnahme der russischen Sportwelt in die olympische Gemeinde; mal ging hier ein rhetorisches Türchen auf, mal dort. Am Freitag hat Bach das Tor nun noch weiter geöffnet. Beim Olympic Summit - eine Runde ohne Beschlussrecht - leistet er Integrationsarbeit im russischen Sinne; er umschreibt sie so: "Wir untersuchen Möglichkeiten, ihre Teilnahme zu ermöglichen." Dass Stanislaw Posdnjakow, der Chef von Russlands Olympia-Komitee, als Gast geladen war, passte ins Bild mancher sportpolitischen Trends, die nicht nur im Tennis zu registrieren sind. Geld, Macht und Moral ringen miteinander, am Ende ist es wohl wie in der Liebe: Drei sind einer zu viel - und man ahnt, was auf der Strecke bleibt.