Julia Görges im Tennis:"Es gibt auch ein Leben danach"

2019 US Open - Day 8

Julia Görges bei den US Open - hier will sie auch im kommenden Jahr wieder angreifen.

(Foto: Mike Stobe/AFP)

Wer Julia Görges begegnet, erlebt eine aufgeräumte, klare Sportlerin. Nach einer nervenaufreibenden Saison will sie einiges umkrempeln - und denkt bereits ans Karriereende.

Porträt von Gerald Kleffmann

Als Erstes taucht die braune Bommelmütze auf, als Julia Görges die Treppe hoch schreitet im Leistungsstützpunkt des Bayerischen Tennisverbandes, der auch zum Bundesstützpunkt der deutschen Männer ernannt wurde. Ihr Gang ist langsam, was nicht nur an der dicken Tennistasche liegt, die sie wie einen Rucksack trägt. Sie hat die intensive Morgenschicht hinter sich. "Ich geh' kurz essen", ruft sie zu. Eine Dreiviertelstunde später kehrt sie zurück. "Schön hier", sagt sie, "hier habe ich alles, was ich brauche."

In der Halle kann sie auf dem Hartplatzbelag Rebound Ace spielen, im Fitnessraum an der Physis arbeiten. Die Kantine ist ums Eck. Für zwei Tage in der Woche reist Görges nun von ihrem Wohnort Regensburg nach Oberhaching bei München. Um ihren Neustart anzugehen. "Es ist ja nicht mein erster", sagt sie und lacht befreit auf. Es wird nicht das einzige Mal sein, dass ihr optimistischer Pragmatismus durchklingt.

Görges, 31, ist selbst nach dieser Saison, die nicht ihre beste war, immer noch die beste deutsche Tennisspielerin neben Angelique Kerber, als 28. in der Weltrangliste schloss sie trotz einiger Rückschläge das Jahr ab, das nervenaufreibend war. Nach drei außergewöhnlich erfolgreichen Spielzeiten mit Trainer und Manager Michael Geserer sowie Fitnesscoach Florian Zitzelsberger, der auch privat ihr Begleiter war, gingen diese Allianzen in die Brüche. "Jede Reise geht mal zu Ende", sagt Görges, "mit jeder Tür, die man schließt, geht eine neue auf." Es ist ihre Art zu sagen, dass sie nicht nachkarten will; intern hatte es am Ende ja doch Dissonanzen gegeben.

Görges zählt sich zur goldenen Generation

Görges zählt - sie verwendet selbst den Begriff - zur Riege der goldenen Generation, so wurden sie, Kerber, Andrea Petkovic und Sabine Lisicki genannt, als sie vor mehr als einem Jahrzehnt die Tennisbühne als hoffnungsvolle Talente betraten. Keine ist indes wie die andere, und mit Sicherheit ist Görges in diesem Quartett stets die Aufgeräumteste, Klarste, Strukturierteste gewesen. Wenn sie einen Schlussstrich zieht, ist da ein Schlussstrich. Und der Blick geht nach vorn. Die Art, wie sie nun ihre 15. Profisaison angeht, erzählt allein schon die Geschichte darüber, warum sich Görges so lange auf der Tour hält.

Binnen Wochen hat sie sich ein Team gezimmert, das ihre Ansprüche verdeutlicht: an sich, an andere. Jens Gerlach war nicht nur der deutsche Fed-Cup-Teamchef zuletzt, der Allgäuer führte 2004 die Russin Anastasia Myschkina zum French-Open-Sieg. Fitnesscoach Scott Byrnes, ein Australier, leitete Eugenie Bouchard und Ana Ivanovic an. Physio Tim Höper war mal bei Kerber. Er wechselt sich mit den erfahrenen Jörg Fauland und Armin Rubach ab, und falls das Bild entsteht, das sind aber viele, dann täuscht der Eindruck nicht.

Genau so will es Görges, die sich zum einen zurecht als "gestandene Spielerin" betrachtet - 2018 stand sie im Halbfinale von Wimbledon und in den Top Ten - und zum anderen als Unternehmerin, von der es heißt, sie sei eine derjenigen, die Mitarbeiter fair entlohne und behandle. "Ich hoffe, das ist so", sagt sie, aber das macht sie nicht nur aus Empathie. Sie will gute Leute im Team, Könner in ihren Bereichen. Man sollte diese Herangehensweise im Profisport für selbstverständlich halten, aber oft kommt es gerade im Frauentennis vor, dass Spielerinnen sich zum Beispiel nicht von der (kostengünstigeren) Expertise der Eltern lösen. Förderlich ist das nicht oft.

Unter jüngeren deutschen Spielerinnen mag es jedenfalls welche in all den Jahren gegeben haben, die technisch ähnlich gut veranlagt waren, doch mangelte es diesen offensichtlich an Eigenschaften, die Görges für maßgeblich hält für eine lange florierende Karriere: "Geduld, Disziplin, Härte, Willensstärke, Fokus", sagt sie, seien unabdingbare Bausteine ihres Schaffens, "und dieses: nie aufgeben!" In der kommenden Saison dürfte Görges die Zehn-Millionen-Dollar-Grenze an Preisgeld durchbrechen, ein Zeugnis ihrer professionellen Hartnäckigkeit, wobei konkret anderes im Vordergrund steht: die nächste Weiterentwicklung als Spielerin, als Person. Sie macht sich schon wieder Druck.

"Ich finde es beeindruckend, wie sich das Frauentennis gemacht hat", sagt Görges. In der Tat ist die jüngere Generation, angeführt von der Weltranglisten-Ersten Ashleigh Barty, 23, strategisch und athletisch auf einem viel höheren Niveau als die Breite früher. Für die Etablierten bedeutet dies, noch mehr zu unternehmen, um Schritt zu halten. "Es geht mir jetzt darum, die Jule spielerisch zu formen, die ich 2020 sein will", sagt Görges. Kontrollierte Offensive, dafür will sie stehen. "Sie muss nicht sofort den Punkt machen", erklärt Gerlach, der in Oberhaching dabei ist.

Ihr Alter hilft ihr

Helfen bei diesem Justierungsprozess dürfte Görges ihr Alter. Denn auch wenn sie sich über ihres lustig macht und sich dafür bedankt, dass man sie an die 31 erinnere, weiß sie um die Kraft der Erfahrung. Sie wird zum Beispiel nicht mehr wie in jungen Jahren "von Turnier zu Turnier hopsen - wenn ich wo nicht spielen will, spiele ich nicht", Schlussstrich. Sie lässt ihre Karriere, das klingt auch durch, ausklingen - aber nur mit vollem Einsatz und zu ihren selbstbestimmten Bedingungen. Sie sehe immer noch "Raum für Verbesserung", sagt sie, körperlich sei sie fit, der Spaßfaktor im Team hoch.

Und doch benennt sie ihr Karriereende erstmals klar mit der Angabe: "Richtung zwei, drei Jahre" - "dann bin ich 33, 34, und es gibt auch ein Leben danach". Was sie meint? "Ich hoffe, dass ich dann irgendwann eine Familie gründen kann", sagt sie. Sie habe nicht bloß Träume. Sie wolle sie auch verwirklichen. Wobei mancher Traum so sachlich wirkt, dass Görges selbst wieder schmunzeln muss. Eine Vorliebe von ihr ist tatsächlich: Buchhaltung. "Es wäre schön, später mal ein paar Tage in der Woche in einem Betrieb zu arbeiten", sagt sie und biegt sich zurück.

Ja, es ist unübersehbar, dass die goldene Generation ihr letztes Kapitel angeht, Andrea Petkovic hat Essays verfasst und gerade ihr Debüt als Sportmoderatorin gewagt. Angelique Kerbers Manager Aljoscha Thron richtet 2020 in Bad Homburg ein Rasenturnier aus, Kerber dürfte dort später eine Rolle übernehmen. "Tennisdeutschland wird sich noch mal wundern, wenn wir alle abgetreten sind", sagt Görges, die weiß, dass ebenbürtige Nachfolgerinnen nicht in Sicht sind.

Sie wird 2020 mit Barty bei allen Grand Slams und den großen WTA-Events im Doppel antreten; dass die Australierin auf die Deutsche zurückgreift, zeigt auch den Respekt, den Görges genießt. "Es wäre schön, im Einzel noch mal in die Top Ten zu kommen", sagt sie. Mut macht ihr eine Erkenntnis: "Die Wege, die ich gegangen bin, haben mir fast immer den Erfolg gebracht, den ich wollte."

Eine Einstellung, die ihr übrigens auch bei der Familienplanung noch nützlich sein könnte. Auf die Frage, dass ja vielleicht auch ein Mann dafür ganz hilfreich wäre, erwidert sie herzhaft lachend: "Das wird sich auch noch regeln lassen!"

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