Süddeutsche Zeitung

Tennis:"Es ist nicht normal, dass er da ist"

  • In Kitzbühel ist das Tennis-Turnier komplett auf Dominic Thiem zugeschnitten - auf ihm lastet enormer Druck.
  • "Das Wichtigste ist, dass du du selbst bleibst", sagt der Österreicher, der erst lernen musste, wie er sich bei diesen Heimspielen selbst schützt.

Von Gerald Kleffmann, Kitzbühel

Manchmal könnte er schon ein schlechtes Gewissen kriegen, das weiß Dominic Thiem. Allein 2019? War er in Doha, Melbourne, Rio, Miami, Madrid, Paris, London, Hamburg. Tennisprofi zu sein, ist nun mal nicht der beste Beruf, um sich gleichzeitig als Umweltschützer aufzuschwingen. "Wir müssen viel fliegen, wir Profis sind da leider vorbelastet", sagt Thiem. Aber trotzdem könne der Einzelne ja doch Gutes tun. Er zum Beispiel unterstütze die Organisation 4Ocean - "die holen Plastik aus den Meeren". Und er findet es richtig, dass auf der Tennistour endlich bei mehr Turnieren die Plastiktüten verschwinden, in die frisch bespannte Schläger gesteckt werden.

Es ist Montagmittag, Thiem hat sich in einem loungigen Raum Zeit genommen, um Fragen zu beantworten und zu sagen, was ihn beschäftigt, auch abseits der Plätze. Vorher sprach er bei einer Pressekonferenz, danach Fernsehinterviews. Thiem ist in Kitzbühel am Start, noch nie hat er das Turnier der 250er-Kategorie, der untersten auf der ATP-Tour, gewinnen können. Das soll jetzt endlich anders werden.

Thiem weiß: "In Österreich muss es immer einen Supersportler in der jeweiligen Sportart geben"

Außerhalb Österreichs mag dieses Ziel keine große Sache sein, aber wer einmal dieses herrlich sportverrückte Land besucht hat, ahnt, was auf Thiem zukommen könnte in den nächsten Tagen. Die Blicke sind vor allem auf ihn gerichtet. "Es ist nicht normal, dass er da ist", sagt Alex Antonitsch, früher ein stattlicher Profi und nun Chef des Turniers unweit der Stadtmitte. Er erinnert sich daran, wie Thiem als Sechsjähriger auf dem Center Court stand, mit leuchtenden Augen. Nun ist der Kleine von damals die Nummer vier der Welt - der Beste nach den Big 3, Novak Djokovic, Rafael Nadal und Roger Federer. Dass Thiem eine klitzekleine Antrittsprämie erhielt, im unteren sechsstelligen Bereich, ist im Übrigen schwer anzunehmen.

Der 25 Jahre alte Thiem ist eben ein Schwergewicht der Branche geworden, auch wenn ihm ein Grand-Slam-Titel noch fehlt. Anfang Juni war zum zweiten Mal nacheinander der Spanier Nadal im Finale der French Open unbesiegbar gewesen. Der Respekt, der Thiem in Kitzbühel entgegenschlägt, ist dennoch zu spüren, wo er geht, spricht, Autogramme schreibt. "Wie er sich gibt, ist ein Segen", sagt Antonitsch. Als Thiem von seinem möglichen Gegner sprach, redete er etwa vom "Luci" und vom "Ofi". Jeder wusste ja, wer gemeint ist: die österreichischen Spieler Lucas Miedler, der sich unter dem Jubel von Fans über die Qualifikation ins Hauptfeld gekämpft hatte, und Sebastian Ofner. Auf Letztgenannten trifft er nun am Mittwochabend. 5800 Zuschauer kommen, aber es gab weit mehr Anfragen für dieses Flutlichtspektakel.

Die Tenniswelt wird zwar von den großen Events geprägt, Wimbledon war gerade, die US Open stehen Ende August an, zuvor kommen noch zwei Masters-Veranstaltungen, in Montreal und Cincinnati. Erfolge und Niederlagen dort werden global beachtet. Und doch gibt es nach wie vor auch kleinere ATP-Turniere, die ein paar hundert Kilometer weiter nur wenige interessieren - die aber ihren eigenen Reiz haben, wenngleich sie bloß ein regionales Phänomen darstellen. Triumph und Leiden eines "Local Hero", eines Lokalhelden, funktioniert im Sport fast immer. Nirgends indes so intensiv wie in Österreich, jener Nation, die das Copyright auf Begriffe wie deppert und narrisch hat.

"In Österreich muss es immer einen Supersportler in der jeweiligen Sportart geben, mit dem sich die Österreicher identifizieren können. Ansonsten stürzt die Sportart ab", sagt Thiem mit einem Lächeln. Er weiß, er verkörpert diese Rolle im Tennis. Die Nummer eins bleiben natürlich die Skifahrer, der Hahnenkamm ist in Sichtweite der Generali Open. Thiems Streif ist nun das imposante Stadion, seit langem ausverkauft. Wie auch alle anderen Tage ausverkauft sind, wie Antonitsch sagt. Da Thiem früh zugesagt hatte, lief die Werbekampagne früh an. Auf Thiem ist nicht nur einiges, sondern fast alles zugeschnitten. Sogar der TV-Sender, der Thiem sponsort, überträgt erstmals und nicht der heilige ORF. Wobei Antonitsch, schon auch ein gerissener Verkäufer, betont, im Vorjahr hätte es beim Finale zwischen dem Slowaken Martin Klizan und dem Usbeken Denis Istomin "Standing Ovations gegeben". Mag sein, dass das so war, aber klar ist auch: Mit Local Heroes löst ein Turniere andere Emotionen im Land aus. Das ist auch in Basel und der Schweiz so, wenn Federer dort spielt. Und war gerade so in Hamburg, wo Alexander Zverev im Halbfinale scheiterte.

Das Herausfordernde für diese Art von Profis ist stets, dass sich das 250er-Turnier eher wie ein fünftes Grad Slam anfühlt. Viel Druck lastet auf ihnen. "Ich mache ihn mir aber auch selbst", sagt Thiem. Er wolle ja möglichst oft vor Fans und Familie spielen. Die Balance in diesem Zerrspiel zu finden, sei die Kunst. "Das Wichtigste ist, dass du du selbst bleibst", sagt Thiem. Früher hätte er "einige Fehler gemacht", etwa PR-Dinge mitgemacht, die nett waren, aber "Energie gesaugt" hatten. Diesmal will er sich nicht verlieren. So war nicht mal sicher, ob Thiem zur Spielerparty am Dienstagabend gehen würde. Antonitsch hatte ihm versprochen, wenn er am Montag alle Termine mitmacht, höre er die ganze Woche nichts von ihm. "Das Wichtigste für uns ist, dass er gut Tennis spielen kann", sagt Antonitsch, "und nicht abgelenkt wird."

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SZ vom 31.07.2019/tbr
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