Tennis:Tausendmal verletzt, tausendmal zurück

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"Sobald ich nur eine oder zwei Wochen trainiere, spiele ich wieder richtig gutes Tennis": Cedrik-Marcel Stebe genießt es, endlich mal beschwerdefrei zu sein. (Foto: Sven Hoppe/dpa)

Die Tenniswelt staunt oft über Rafael Nadals Durchhaltewillen - der von Cedrik-Marcel Stebe ist auf andere Art kaum weniger beeindruckend. Dass der 30-jährige Profi nicht längst hingeworfen hat, ist ein Wunder.

Von Gerald Kleffmann, München

Das Ende war kurz. Ein paar Schritte ans Netz, mit der Faust dem Gegner gratuliert, einmal Federico Coria zugenickt, dann drehte er ab. 3:6, 6:3, 2:6, dieses Ergebnis lief sogleich über die Nachrichten-Ticker, Cedrik-Marcel Stebes Niederlage am Montagabend festgehalten in Zahlen. Die Geschichte hinter diesen ist weitaus komplexer. Auch wenn Stebe enttäuscht war, dass er sein Erstrundenmatch bei den BMW Open nicht überstehen konnte - einen kleinen Neuanfang erlebte er beim MTTC Iphitos in München trotzdem. Doch das steht nirgends in Statistikteilen.

Im deutschen Tennis gibt es keinen Profi, der so sehr von Rückschlägen gebeutelt ist wie der 30-Jährige aus Vaihingen. Und dabei besitzt er ein spielerisches Repertoire, mit dem er eigentlich Saison für Saison zu den besten 60, 70 Spielern zählen müsste. Ein agiler, zu wenigen Fehlern neigender Linkshänder ist er, mit viel Ruhe, man muss ihn aktiv besiegen, von alleine passiert das nicht. Doch auch jetzt in einem Gespräch sagt Stebe wieder einen Satz, den er viel zu oft in seinem Leben aufgesagt hat: "Dieses Jahr ist relativ schwierig angelaufen." Seine Odyssee allein 2021 beinhaltete zwar auch etwas Glück. Aber noch mehr Pech.

Bei der Qualifikation für die Australian Open knickt er im dritten, entscheidenden Match um, verliert gegen den Serben Viktor Troicki. Als Lucky Loser rückt er aber ins Feld des Grand-Slam-Events. Doch erst zwei Wochen Hotel-Quarantäne, wie alle. Dann kriegt er den starken Kanadier Felix Auger-Aliassime zugelost. Er scheitert. Danach: rechte Schulter ausgekugelt. Erneut 14 Tage Pause. Zuletzt in Cagliari: Bauchmuskelzerrung, Aufgabe in Runde zwei der Qualifikation. Es sei schwer für den Kopf, "wenn man merkt: Man wird immer wieder zurückgeworfen", gibt er unumwunden zu. "Es nagt an meinem Selbstvertrauen. Aber auch an dem ganzen Sinn der Sache."

Einmal wurden gar Handgelenksknochen abgefräst

Nur im Scherz habe er schon mal den Gedanken geäußert, ob es die Mühen stets wert ist und es nicht besser wäre, seinen Körper von den Strapazen zu entlassen und aufzuhören. Seine ganze Karriere ist gespickt von Themen, die Medizinstudenten sicher spannend finden, Leistungssportler nicht. Mal waren Sehnen herausgesprungen, Wirbel verschoben, Handgelenksknochen wurden abgefräst. Probleme hatte er schon an Rücken, Hüfte, Schambein, Sprunggelenk. Am vergangenen Wochenende staunte die Tennisbranche darüber, wie Rafael Nadal seinen dreihunderttausendsten Sieg bei einem Sandplatzturnier (diesmal in Barcelona) errang und sich trotzdem zu Boden warf. Ein beeindruckendes Beispiel für Motivation ist aber auch einer wie Stebe. Auf andere Art.

Dass er sich trotz seiner Pausen - einmal fehlte er fast drei Jahre - jetzt schon wieder den Top 100 nähert als 134., spricht für seinen zähen Willen. Auch wenn Stebe oft mit sich zu kämpfen hat, er lässt nicht locker, setzt sich kleine Ziele. Längst ist er auch ein Krisenbewältigungsprofi. Auch abseits des Platzes. Er spielt Klavier, meditiert, lenkt sich ab. Als er seine langwierige Handgelenksverletzung hatte, lud er sich eine Anatomie-App aufs Handy. Er läuft aber nicht weg vor seiner Situation.

Seit kurzem ist Stebe tatsächlich beschwerdefrei, sofort sind seine Fähigkeiten sichtbar. Er selbst spürt das auch auf dem Platz. "Im Moment geht es mir echt gut. Ich fühle mich fit", sagt er, "das merke ich selber - sobald ich nur eine oder zwei Wochen trainiere, spiele ich wieder richtig gutes Tennis." In der Qualifikation hat er prompt zwei vor ihm in der Weltrangliste platzierte Kontrahenten geschlagen, den Japaner Yuichi Sugita und den Österreicher Dennis Novak. Gegen Coria hatte Stebe Chancen, doch ein Hänger im dritten Satz - und der jüngere Bruder des früheren French-Open-Finalisten Guillermo Coria zog weg. "Ich hoffe, dass ich da drauf aufbauen kann", sagt Stebe. "Ich hoffe, dass ich noch vier, fünf Jahre spielen kann."

"Ich muss schauen, dass ich mir wieder die Matchhärte aneigne"

Zumindest in diesen Tagen kann er sich einen Luxus leisten: normal die nächsten Wochen planen. Stebe erklärt, dass es ihm Anfang der Saison leichter fiel, die größeren Turniere zu spielen, sie motivierten ihn mehr. "Ich werde im Sommer aber das eine oder andere Challenger mit einstreuen." Er tüftelt an der richtigen Turniermischung, mit dem übergeordneten Ziel: "Ich muss schauen, dass ich mir Matchhärte aneigne. Dass ich vier, fünf, sechs Matches am Stück spielen kann, ohne dass ich verletzt bin."

Stebe zählt auch zu jenen, die sich sofort impfen lassen würden, wenn sie die Chance erhielten. Manche Profis zögern da ja noch. Dann hätte er wenigstens ein kleines Problem weniger, denn er gesteht: "Es schwingt die Angst immer ein bisschen mit, mal positiv getestet zu werden. Es gibt ja auch falsch positive Tests. Wenn man dann weiter weg ist in fernen Ländern, weiß man dann nicht, wie die das handhaben." Und in Hotel-Quarantäne war er wahrlich genug in diesem Jahr. Stebe glaubt fest daran, dass er sein höchstes Ranking, Platz 71, noch einmal erreichen und übertreffen kann. "Ich meine, dass ich mein Potenzial noch nicht voll ausgeschöpft habe. Das gibt mir Antrieb zu sagen, ich möchte noch mal alles rausholen."

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