Jan-Lennard Struff:Premiere im 171. Versuch

BMW Open - Day 8

"Ich fand's wichtig, dass ich ruhig geblieben bin": Jan-Lennard Struff war auf dem Platz mal wieder ganz bei sich - und bei der Pressekonferenz dann sowieso.

(Foto: Alexander Hassenstein/Getty)

Jan-Lennard Struff erlebt ein Novum: Nach sieben verlorenen Halbfinals erreicht er in München erstmals ein Endspiel auf der ATP Tour. Das Problem im Finale ist aber sein Gegner.

Von Gerald Kleffmann

Sein erster Kommentar danach war typisch Struffi, wie er von Kollegen genannt wird. Sieben Mal stand er im Halbfinale von ATP-Turnieren, sieben Mal verlor er. Noch nie erreichte er ein Endspiel. Und jetzt, beim achten Mal also, hat der Weltranglisten-44. es geschafft. 6:4, 6:1 bezwang er am Samstag bei den BMW Open in München den Belarussen Ilja Iwaschka (107. der Weltrangliste), der zuvor den an Nummer eins gesetzten Alexander Zverev besiegt hatte.

Ein Blitzinterview auf dem Platz, auf Englisch, für das sogenannte Worldfeed, das internationale Fernsehen. Nett sei der Erfolg, sagte Jan-Lennard Struff, mit Fans wäre er sicher noch "nicer" gewesen, aber: "It is like it is." Es ist, wie es ist. Immer schön mit der Ruhe. Struff, 31 Jahre alt zu Beginn des Turniers im MTTC Iphitos geworden, ist keiner, der gleich abhebt. Warsteiner sind wohl so.

Struff ist weit davon entfernt, ein Star in Deutschland zu sein, dabei ist er wirklich ein ausgezeichneter Profi, seit Jahren. Das reicht ihm auch, er braucht nicht große Girlanden, manche würdigen ihn aber immerhin auch abseits des Tennis sogar ein bisschen. So listet ihn zum Beispiel die Wikipedia-Seite der nordrhein-westfälischen Kleinstadt Warstein in der Rubrik "Söhne und Töchter der Stadt" auf, zwischen dem Grünen-Politiker Christian Simmert und dem Hornisten Elmar Witt. Zweimal - 2016 und 2017 - rettete Struff die deutsche Davis-Cup-Mannschaft vor dem Abstieg.

Während andere schon mal rumbockten in der Vergangenheit (Alexander Zverev hat aktuell nicht so recht Lust auf den reformierten Nationenwettbewerb), musste Michael Kohlmann Struff nie groß fragen, ob er für sein Land spielen wolle. "Ich musste ihm nur sagen, wann es losgeht, dann packte er die Schläger", erzählte der Bundestrainer und Davis-Cup-Teamchef einmal. Mit Tim Pütz bildete Struff das legendäre Doppel mit dem Spitznamen "Tim&Struffi", lag ja auch nahe. Seit zwölf Jahren treibt sich Struff auf der Profitour herum, bis heute sucht man noch nach Zeugen, die etwas Negatives über ihn erzählen, aber wahrscheinlich gibt es diese gar nicht. Weil wirklich jeder mit Struff gut auskommt. Aber seine Geschichte in München ist noch besser.

Im Doppel holte Struff schon drei Titel

Das hat damit zu tun, dass Struff eben auch so lange um seine erste Finalteilnahme kämpfte, im Einzel. Und nun am Ziel ist, also fast. An 170 Turnieren hatte er bis München schon teilgenommen. Doch jedes Mal, wenn er nur ein Match vom letzten Turniermatch entfernt gewesen war, scheiterte er, so in den Halbfinals von Metz, München, Marseille (alle 2014), St. Petersburg, Winston-Salem (2017), Stuttgart, Auckland (2019). Im Doppel konnte Struff schon drei Titel erringen. Auf der Challenger Tour, der Serie unterhalb der ATP Tour, gewann er auch schon fünf Trophäen im Einzel, doch auch da musste er mehrere Finalniederlagen erst hinnehmen, ehe es klappte als Solist.

Nun also die Belohnung, wobei die allerletzte Krönung ja noch aussteht. "Er hat sich das jetzt absolut verdient, mal im Finale zu stehen", sagte Kohlmann, der in München auch im Stadion saß und das Match Struffs verfolgt hatte, der SZ: "Dass sein erstes Finale hier in Deutschland klappt, ist großartig. Er hat sich zu einer Führungsperson entwickelt, auf ihn war immer Verlass." Nun hofft der frühere Profi Kohlmann für Struff, "dass er auch am Sonntag das Turnier dann gewinnt".

Die Vorhand von Nikolos Bassilaschwili ist ein Vorschlaghammer

Struff selbst erklärte in der Pressekonferenz sehr aufgeräumt und analytisch seinen Erfolg. So wild er auf die Bälle zimmern kann, so sehr steckt mittlerweile auch Strategie und Kalkül hinter seinen Auftritten. Bewusst habe er sich etwa diesmal viel Zeit vor seinen Aufschlägen genommen, um bei sich zu bleiben. Als er schnell mit 0:3 in Rückstand geriet, wurde er auch nicht panisch. "Ich fand's wichtig, dass ich ruhig geblieben bin", sagte er, "ich habe ihm dann Stück für Stück den Zahn gezogen." Natürlich hatte ihm sein langjähriger Trainer Carsten Arriens geholfen. Sie hätten zwar nicht direkt miteinander telefoniert, aber Arriens hatte Struff eine acht Minuten lange Sprachnachricht übers Handy geschickt. Der frühere Profi, der auch mal Davis-Cup-Teamchef war, sei generell sehr wichtig für seine Persönlichkeitsentwicklung gewesen, betonte Struff. Arriens denkt ganzheitlich und bezieht auch mentale, ernährungswissenschaftliche und Spiel-statistische Aspekte in die Arbeit mit ein.

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Gewann bereits zweimal das ATP-Turnier in Hamburg: Nikolos Bassilaschwili kann in München nun seinen dritten Titel in Deutschland gewinnen.

(Foto: Alexander Hassenstein/Getty)

Im Finale trifft Struff auf Nikolos Bassilaschwili, der Georgier setzte sich im zweiten Halbfinale mit 6:1, 6:2 gegen den an Nummer zwei gesetzten Norweger Casper Ruud durch. Struff und er kennen einander gut, sie haben das selbe Management, und in Australien verbrachten sie auch die Zeit der zweiwöchigen Quarantäne miteinander; für ein paar Stunden durften damals die Profis das Hotel verlassen, um mit einem festen Partner zu trainieren. So taten sich Struff und Bassilaschwili zusammen. Der 29-Jährige aus Tiflis ist ein Spieler, der immer wieder mal mit starken Leistungen auffällt, drei ATP-Turniere der 500er Kategorie gewann er bereits, darunter zweimal die Sandplatzturniere in Hamburg (2018 und 2019). In Doha (auf Hartplatz) hatte er im vergangenen März Roger Federers Comeback vermiest, als er den Schweizer zum Staunen der Branche niederrang. Der 29-Jährige aus Tiflis ähnelt von den harten Grundschlägen her dem argentinischen Grand-Slam-Sieger Juan Martín del Potro, vor allem seine Vorhand ist ebenfalls ein Vorschlaghammer. Das letzte Duell zwischen Struff und Bassilaschwili verlor der Deutsche erst Anfang April beim Turnier in Cagliari, in drei Sätzen.

"Das wird kein langsames Spiel", ahnte Struff, der nun aber auch den letzten Schritt gehen will. "Ich möchte einen Turniersieg haben, es ist mir völlig egal, wo", hatte er zu Wochenbeginn gesagt. Nun trennen ihn noch zwei gewonnene Sätze von der letzten Erfüllung dieser tiefen Sehnsucht.

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