So beginnt sie also, die „Riyadh Season“: mit sechs Königen und ihren Tennisschlägern. Am Mittwoch soll in der Hauptstadt Saudi-Arabiens, in einer neu gebauten Halle namens „The Venue“, die herbstliche Unterhaltungssaison des Landes beginnen. Im Laufe der nächsten Monate wird es dort laut Veranstalter Essen aus aller Welt, „unzählige Überraschungen“ geben – und Höhepunkte wie einen UFC-Kampf, ein Fashion-Event von Designer Elie Saab und eine Ausgabe von „Power Slap“, einem Wettkampf, bei dem sich Sportler darin messen, wie gut sie dem anderen eine Ohrfeige verpassen können.
Organisiert wird das alles von der „General Entertainment Authority“, dem Staatsorgan für Unterhaltung. Dass man dort die Eröffnungsbühne dieser illustren Veranstaltungsreihe den Tennisspielern und ihrem „Six Kings Slam“ zuschiebt, zeugt von der großen Bedeutung, die die klassischen Sportarten im Königreich schon haben und in Zukunft noch mehr haben sollen: Fußball, Tennis, Golf, Boxen, perspektivisch Olympia – was im westlichen Weltsport funktioniert, findet längst auch in Saudi-Arabien statt, das eines der Drehkreuze der Sportwelt werden möchte. Und der Tennissport ist das aktuellste Objekt der Begierde.
Fußball-Weltverband:Die Geldmaschine des Fußballs stottert
Präsident Gianni Infantino hat Rekordeinnahmen versprochen. Doch tatsächlich knirscht es finanziell bei der Fifa gewaltig - wie sich besonders rund um die neue Klub-WM zeigt. Der Einfluss von Saudi-Arabien wird so immer stärker.
Sechs Spieler treten daher zu einem dreitägigen Schaukampf im Wüstenstaat an: Novak Djokovic und Rafael Nadal stehen bereits als Halbfinalisten fest und werden erst ab Donnerstag eingreifen, in der Runde zuvor duellieren sich der Weltranglistenerste Jannik Sinner und Daniil Medwedew sowie Holger Rune und Carlos Alcaraz. Vorgestellt wurden alle in einem Hollywood-reifen Trailer mit Spezialeffekten – es fehlte nur Roger Federer, bei dem weiterhin nicht bekannt ist, ob er als Zuschauer in Riad dabei sein wird. Bezahlt werden die Spieler jedenfalls königlich: 1,5 Millionen US-Dollar Antrittsgeld bekommt jeder, der Sieger noch einmal sechs Millionen US-Dollar obendrauf. Das ist doppelt so viel Preisgeld wie für den Titel bei den US Open.
Finanziell verständlich ist es daher, dass die eingeladenen sechs Kandidaten den Weg in die Wüste antreten, obwohl viele Tennisprofis gerade umfassend über den dichten Turnierkalender klagen. Zudem bietet sich noch einmal die Gelegenheit für ein Duell mit Nadal: Dass der Spanier – Botschafter des saudi-arabischen Tennisverbands – eines seiner finalen Karrierespiele in Riad bestreiten wird, ist ein Coup für die Veranstaltung. Beim übertragenden Sender Dazn dürfte sich allein deshalb niemand mehr darüber sorgen, dass dem Show-Turnier zu wenig Aufmerksamkeit zuteilwerden könnte.
Nadals Teilnahme war von so herausragender Wichtigkeit für die Veranstalter der Saudis, dass sie den Kings Slam offenbar eigens für den Spanier verlegten. Er war ursprünglich im Frühjahr geplant und wurde nach einer erneuten Verletzungsthematik Nadals in den Oktober geschoben, berichtete der britische Telegraph. Auch war es wohl kein Zufall, dass die Wahl auf diese Woche fiel.
Das Show-Turnier in Riad wartet mit einer kuriosen Regel auf
Die Kalendergestaltung im Tennis ist mindestens genauso kompliziert wie in vielen anderen Sportarten, die Grundregeln schreibt die Spielergewerkschaft ATP vor: Profis aus den ersten 30 der Weltrangliste dürfen nicht in Wochen bei Schaukämpfen antreten, in denen auf der ATP-Tour Events der 500- oder 1000-Punkte-Klasse stattfinden. Das ist in dieser Woche der Fall; die kleinen 250-Punkte-Turniere in Antwerpen und Stockholm hätten allerdings vermutlich ohnehin auf eine Teilnahme der sechs Könige verzichten müssen.
Es ist nicht die einzige Regel, die in Saudi-Arabien beachtet werden musste: Wenn Spieler bei Show-Turnieren antreten, die länger als drei Tage dauern, wird ihnen auf der ATP-Tour der sogenannte „Platinum Status“ entzogen, mit dem die besten Spieler am Saisonende Zugriff auf Sonderzahlungen haben – weshalb der Six Kings Slam kurzerhand einen Pausentag am Freitag eingeführt hat.
Offenkundig ist: In Saudi-Arabien will man die ATP nicht nachhaltig verärgern, allenfalls unter Druck setzen, indem man die besten Spieler mitunter für Rekordsummen nach Riad lockt. Das soll zeigen, dass die wahre Macht dort ist, wo das Geld wohnt – ohne die guten Beziehungen etwa zu ATP-Chef Andrea Gaudenzi zu gefährden. Das Interesse an einer noch intensiveren Zusammenarbeit ist von beiden Seiten verbrieft, es geht einerseits um Milliardeninvestitionen, andererseits darum, neben dem Saisonfinale der Frauen bald ein Turnier der Masters-Serie (1000 Weltranglistenpunkte) in Saudi-Arabien auszurichten. Als Sponsor ist der Staatsfonds PIF bereits beteiligt und präsentiert unter anderem das „PIF ATP Ranking“, die Weltrangliste. Doch das wird auf Dauer nicht reichen.
Das Beispiel Golf hat gezeigt, was passiert, wenn sich eine Sportart der Zusammenarbeit mit Saudi-Arabien verweigert: Der PIF investierte in eine eigene, neu gegründete Tour und holte die besten Spieler für hunderte Millionen auf seine Seite. Ein Szenario, das im Tennis vermeidbar wäre, würde man den Großfinanziers einen Platz am Tisch einräumen. Dass man dafür akzeptieren muss, mit einem Land zusammenzuarbeiten, das sich trotz aller Modernisierungsvorhaben weiter mit Vorwürfen von Menschenrechtsverletzungen auseinandersetzen muss, ist offensichtlich zu vernachlässigen.
Aus der „Riyadh Season“ könnte also bald die Saudi-Ära im Tennis werden von der ATP. Sportswashing wird dafür längst akzeptiert, von den sechs Königen mit ihren Tennisschlägern genauso wie im Königshaus. Stilprägend bleibt der Ausspruch von Saudi-Kronprinz Mohammed bin Salman, ihm seien solche Vorwürfe „egal“ – solange sein Bruttoinlandsprodukt vom Sport profitiere.