Tennis:Schwarz auf weiß

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Serena Williams kann als erste Frau seit Steffi Graf den Grand Slam schaffen - ihre Rolle in der Tennis-Historie ist aber schon jetzt, vor dem möglichen 22. großen Turnier-Erfolg, eine ganz besondere.

Von Jürgen Schmieder

Es gibt ein beeindruckendes Bild des amerikanischen Künstlers Glenn Ligon. Mit schwarzem Graphit wiederholt er auf weißem Untergrund die Worte der Schriftstellerin Zora Beale Hurston aus deren Essay "How It Feels to be Colored Me" von 1928. "I feel most colored when I am thrown against a sharp white background", schreibt Hurston - ich fühle mich dann am farbigsten, wenn ich gegen einen krassen weißen Hintergrund geworfen werde. Ligon wiederholt den Satz, immer und immer wieder.

Am Donnerstag sitzt Serena Williams auf dem Podium im Presseraum des Arthur-Ashe-Stadions in New York. Sie trägt ein nachtblaues T-Shirt und verschwindet beinahe vor dem dunkelblauen Hintergrund. "Ich bin hier, um meinen Titel zu verteidigen, das ist alles", sagt die 33-Jährige so leise, als würde sie wünschen, dass ihre Worte nicht zu hören sind: "Ansonsten steht für mich nicht viel auf dem Spiel."

Nun, es geht schon um ein bisschen was für Williams bei diesen US Open. Sie kann ihren vierten Grand-Slam-Titel 2015 gewinnen. In der Profi-Ära haben es zuvor nur Margaret Court (1970) und Steffi Graf (1988) geschafft, binnen eines Kalender-Jahres auf den großen Turniere in Melbourne, Paris, Wimbledon und New York zu triumphieren. Für Serena Williams wäre es zudem der 22. Erfolg bei einem dieser vier Wettkämpfe, so häufig hat in ihrer Profi-Zeit nur Steffi Graf gewonnen.

Serena Williams steht also an einer bedeutenden Wegmarke. Und wie immer, wenn jemand eine solche Grenze erreicht, stellt sich die Frage: Wer oder was war die treibende Kraft? Bei Steffi Graf gab es Vater Peter. Zudem gab es Gegnerinnen wie Martina Navratilova, Gabriela Sabatini und Arantxa Sánchez Vicario. Serena Williams hatte ihren Vater Richard und ihre Schwester Venus. Ihre Rivalinnen sind, nun ja, wer sind sie eigentlich? Natürlich, es gibt Maria Scharapowa, Wiktoria Asarenka und Caroline Wozniacki - aber ist das wirklich eine Rivalität, wenn die Bilanzen 18:2, 17:3 und 10:1 lauten?

Vielleicht ist es so: Für Serena Williams ging es immer schon um mehr als um Titel, Statistiken, Rekorde. Seit Beginn ihrer Karriere sah sie sich gegen einen krassen weißen Hintergrund geworfen.

Als ihre Schwester Venus im Jahr 2000 in Wimbledon gewann, also dort, wo die Tennisspieler auch heute noch nur ausschließlich weiße Kleidung tragen dürfen, tanzte Vater Richard Williams vor Freude auf dem Dach der Kommentatoren-Kabine und hielt ein Schild in die Kameras: "It's Venus' party and no one was invited!" - es ist die Party von Venus, und niemand war eingeladen. Im vornehmen All England Club hatten sie derlei noch nie erlebt.

Der erste von bisher drei Grand-Slam-Titeln in diesem Jahr: Serena Williams mit der Australian-Open-Trophäe. (Foto: Thomas Peter/Reuters)

Bei der selben Gelegenheit wies Richard Williams auch auf die Herkunft seiner Familie hin: "Straight Outta Compton" komme diese, brüllte er im US-TV dazwischen - direkt aus Compton, einem gefährlichen Ort im Süden von Los Angeles. Straight Outta Compton: 1988 hatte die Gangsta-Rap-Gruppe N.W.A ihr Debütalbum so genannt. Die Texte waren so provokant, dass das FBI die Plattenfirma aufforderte, das Album zurückzuziehen; ein Song hieß "Fuck tha Police". Solche Töne waren im Tennis-Establishment neu. Es rümpfte die Nase.

Aber nicht nur das. 2001 wurde Serena im Finale des Turniers von Indian Wells ausgebuht. Zuvor, im Halbfinale, war Venus sehr kurzfristig nicht zum Schwestern-Vergleich angetreten. Das Publikum fühlte sich verschaukelt. Oder mehr noch? Vater Richard gab an, auch diskriminierende Worte gehört zu haben. Die Familie fühlte sich jedenfalls nicht willkommen. Mehr als zehn Jahre lang boykottierte sie daraufhin die Veranstaltung.

Ronald Reagan, Bill Clinton, Michelle Obama: So ein Publikum haben wenige

Nicht mitspielen zu dürfen: Für Kinder gehört das zu den schlimmsten Erfahrungen. Bei Venus und Serena Williams war früh klar, dass sie zumindest nach ganz eigenen Regeln spielen würden. Als Jugendliche trugen sie Perlen im Haar. Als sich in einem Match einige Perlen lösten, führte das umgehend zu einer Grundsatzfrage: Wie sollte der Referee mit der Unterbrechung umgehen? Derlei war im Regelwerk nicht vorgesehen.

Die Schwestern waren besonders. Das weckte früh Begehrlichkeiten. Schnell wurden sie mit Tiger Woods verglichen, der im Golf viele Barrieren niedergerissen hatte. Im Sommer 2000, nach den ersten Grand-Slam-Triumphen der Schwestern, hörte sich die Zeitung USA Today unter US-Tennistrainern um. Venus und Serena hätten den Sport mit ihrer Athletik verändert, meinte einer: "Er gilt jetzt nicht mehr nur als einer für Weicheier." Selbst Jungs erschienen mit Perlen im Haar zu Tennisstunden. Mit Vorbildern wie den Williams-Schwestern ließe sich nun vielleicht sogar dem American Football so manches Talent abjagen, wurde gar spekuliert. Serena Williams war neun, als sich Ronald Reagan, der US-Präsident, und Ehefrau Nancy zum Foto mit ihr aufstellten. Als sie im Alter von 17 Jahren und elf Monaten die US Open erstmals gewann, rief Bill Clinton an. Er bei ihr. Bei ihrem Sieg bei Olympia 2012 in London sah ihr Michelle Obama zu. Tennis ist ein Spiel, aber das Spiel von Serena Williams wurde immer mit Erwartungen aufgeladen. Das muss eine Last sein. Williams fand einen Weg, dem zu begegnen: So, wie sie Anfeindungen lange begegnete - durch Rückzug, Abgrenzung. Ihr Spiel hat sie selten überhöht, eine Vorbildrolle selten gesucht. Wenn sie in all den Jahren durch eines aufgefallen ist, dann dadurch: Wie konsequent sie ihren Weg gegangen ist.

2009 wurde sie bei den US Open disqualifiziert. Einer Linienrichterin, die ihr einen Fußfehler ankreidete, drohte Serena, sie werde sie mit einem Tennisball füttern. Zwei Jahre später blaffte sie in New York eine Schiedsrichterin an: "Wollt ihr mich schon wieder verscheißern?" Das war eindeutig. Aber es gab auch Szenen, die Raum für Spekulationen ließen: Nach ihrem Olympia-Gold 2012 tanzte sie in Wimbledon drei Sekunden lang durchs Stadion. Für viele sah das elegant aus. Doch es gab Beobachter, die in der Aktion einen Crip Walk sahen, den Tanz von Gang-Mitgliedern aus Compton. Serena wurde vorgeworfen, den ehrwürdigen Ort entweiht zu haben. Es sind Anekdoten wie diese, die ihre Ausnahmestellung beschreiben. Maria Scharapowa verdient mit Werbung pro Jahr zehn Millionen Dollar mehr. Aber wie sie tanzt - das ist egal.

Serena Williams polarisiert. Immer noch. Zu Beginn ihrer Karriere wurden an ihre Physis Hoffnungen auf eine neue Tennis-Zielgruppe geknüpft. Inzwischen geht es darum, ob ihre Muskeln noch feminin sind? Ja, solche Artikel gibt es zuhauf, selbst die New York Times stellt die Frage.

Als ihre Profi-Karriere begann, spielten die Champions Pete Sampras und Andre Agassi noch. Beides Einwanderer-Kinder, die zu Symbolfiguren des amerikanischen Traums wurden. Und was ist aus dem Traum geworden, der sich mit dem Aufstieg der "Ghetto Cinderellas" ( Tennis Revue im Jahr 1995) verband?

Es ist nicht so, dass ein Tennisboom ausgebrochen wäre in Compton oder anderen Städten mit hauptsächlich schwarzen Einwohnern. Aber es ist auffällig, dass an den US Open zahlreiche junge schwarze Spielerinnen teilnehmen: Sloane Stephens, 22, Sachia Vickery, 20, Taylor Townsend, 19. Sie alle betonen, nur wegen den Williams-Schwestern mit Tennis begonnen zu haben. Auch die hellhäutige Madison Keys, 20, gibt das an. "Das erzeugt bei mir Gänsehaut, wenn eine sagt, dass sie sein will wie ich", sagte Williams dazu am Donnerstag in New York.

Den Boykott des Turniers in Indian Wells hat sie in diesem Jahr beendet - mit dem Hinweis: "Es ging nicht um Tennis, sondern um den Kampf für Gleichberechtigung." Bei der Rückkehr triumphierte sie. Und dieses Mal feierte sie das Publikum. Am Ende stand sie, der es scheinbar immer nur um Titel geht, mit Tränen in den Augen auf dem Platz. Später gestand sie: "Die Liebe der Zuschauer bedeutet mir sehr viel, das gehört zu den stolzesten Momenten in meinem Leben."

Ihre Karriere ist außergewöhnlich lang, sie ist voller ungewöhnlicher Geschichten. In der Gesamtschau wirkt sie heute ein wenig wie das Kunstwerk von Ligon: Es gibt da ein schwarzes Gemisch, das auf weißen Hintergrund geklatscht zu sein scheint. Die Konturen, die Botschaft, die Bedeutung - all das wird erst ganz oben sichtbar.

© SZ vom 29.08.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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