Roger Federer:War's das?

Wimbledon 2021: Roger Federer nach dem Spiel gegen Hubert Hurkacz

Roger Federer (re.): Beim Wimbledon-Aus gegen Hubert Hurkacz klar unterlegen

(Foto: AFP)

Roger Federer weiß selbst nicht, ob er als Spieler noch einmal nach Wimbledon zurückkehren wird. Für ihn hat jetzt die Blues-Phase seiner Karriere begonnen.

Von Gerald Kleffmann

War's das? Mit ihm und Wimbledon?

Fragen wie diese klingen ja immer nach Gotteslästerung, bei einem wie Roger Federer, der schon vor sechs, sieben, acht Jahren Abgesänge zur Kenntnis hätte nehmen können, wenn er sich für diese interessiert hätte. Hat er aber nie. Zum Glück. Was wäre dem vielleicht größten Spieler seines Sports auch alles entgangen, wäre er den Unkenrufen vorzeitig gefolgt? Aber jetzt, hier und heute, an diesem Abend des 7. Juli 2021, war es an der Zeit, jene Fragen zu stellen, die Sportler fürchten und vor denen doch niemand wegrennen kann. Auch nicht Tennisprofis mit 20 Grand-Slam-Titeln, mit endlosen Rekorden, mit Millionen Fans.

Respektable 39 Jahre alt ist Federer, am 8. August wird er 40, zwei Knie-Operationen musste er im vergangenen Jahr verkraften, ein zäher Kampf zurück auf den Platz war das wirklich, auf den besonders für ihn heiligen Rasen im All England Club, wo er acht Mal herniedersank, im ergriffenen Jubel, während selbst die oft reservierte Gästeschar in der Royal Box sich jedes Mal für ihn erhob. Monatelange Reha, Starts bei kleineren Turnieren, um sich heranzutasten, um sich, die Fitness, den Schwung auszuloten. In Paris, bei den French Open, trat er zum Achtelfinale nicht mehr an, Wimbledon, Wimbledon, das war sein Ziel. Er war sein eigenes Experiment auf dem Weg dorthin. So was hat er ja noch nie durchlebt, sollte er später selbst sagen. Er mochte diese Phase, er fand das sogar spannend.

"Er war am Ende der viel bessere Spieler", sagte Federer über Hubert Hurkacz

Dann also Wimbledon, wirklich, er hatte es geschafft, zurückzukehren, schon das ein Erfolg. Ein Rumpelsieg zum Auftakt, ein paar flotte hinterher. Federer wurde langsam fast der, den alle lobpreisen. Man konnte das Aufatmen der Branche spüren. Und dann: Viertelfinale, alles krachte förmlich zusammen, zuvorderst die Hoffnung, dass der Gute, der Held in diesem Stück, sich ein letztes Mal aufschwingt, um den Gral an sich zu reißen. Stattdessen? War es, als stünde Federer im Regen, den Kragen hochgeklappt, vor dem legendären Pub Dog&Fox auf dem Hügel in Wimbledon Village und spielte eine Ballade auf dem Saxofon. Ja, für ihn hat definitiv jetzt die Blues-Phase seiner Karriere begonnen.

Denn das war ja keine normale Niederlage gewesen, die Federer in diesem Viertelfinale, seinem 58. auf Grand-Slam-Ebene, erlitten hatte. 3:6, 6:7 (4) und, kein Schreibfehler: 0:6. Insgesamt unterliefen ihm 31 leichte Fehler. Der 24-jährige Pole Hubert Hurkacz, wie so ziemlich jeder ein Roger-Bewunderer, unterdrückte auf beeindruckende Weise seinen Respekt vor Federer und spielte furios auf. Bis zum Schluss. Er war präziser in den Schlägen, wendiger, konsequenter, was bedeutete: Federer war in all diesen Bereichen unterlegen - was er anerkannte: "Er war am Ende der viel bessere Spieler." Und so musste zwangsläufig diese Frage kommen.

War's das? Natürlich war Federer vorbereitet. "Ich weiß es nicht", sagte er ohne lange Pause. "Ich weiß es wirklich nicht."

Day Nine: The Championships - Wimbledon 2021

Aus der Balance: Roger Federer geriet für seine Verhältnisse viel zu oft in die Defensive - und produzierte auch zu viele Fehler.

(Foto: Julian Finney/Getty)

Allein diese zwei Sätze reichten, um die Zäsur zu spüren. Die Debatte, wie lange Federer, eine der größten Persönlichkeiten über seinen Sport hinaus, noch aktiv spielen wird, ist fortan keine Frage mehr, die die Öffentlichkeit, die Medien, die Anhänger führen. Er führt sie jetzt selbst, wie er mehrmals ankündigte, in der Video-Pressekonferenz an diesem schicksalsträchtigen Mittwoch in London. Er wolle alles sacken lassen, dann mit seinem Team reden, den Trainern Severin Lüthi und Ivan Lubjicic also, und "eher früher als später" eine Bekanntgabe machen, "für mich und jeden, für meine Familie und das Team". Und fügte hinzu: "Natürlich würde ich gerne noch mal hier spielen, aber in meinem Alter weißt du nie, was passiert."

In diesen Momenten, da er ein baldiges Karriere-Ende zwar ausschloss und es doch irgendwie zwischen den Zeilen anklingen ließ, wirkte Federer vor allem: menschlich. Da saß ein Mann, geboren in Basel, verheiratet, vier Kinder, vermögend und verehrt, er rang sichtbar, hörbar damit, was jetzt wohl der richtige Schritt für ihn sei. Er wusste für den Augenblick nur: Er werde jene Entscheidung treffen, bei der "ich mich am wohlsten fühle".

*** BESTPIX *** Day Nine: The Championships - Wimbledon 2021

"Ein Traum wurde wahr": Hubert Hurkacz, 24, steht nun in seinem ersten Halbfinale bei einem Grand Slam - und das nach einem Sieg gegen Roger Federer im All England Club.

(Foto: Mike Hewitt/Getty)

Die Tennisgeschichte hat oft genug gezeigt, dass so viele wissen, wie man hart aufschlägt, wie man auf Sand spielt und einen Tweener, durch die Beine. Aber wie man eine Karriere gebührend beendet, das ist ein Kapitel, für das es keinen Plan, kein Skript gibt. Boris Becker brauchte zwei Versuche für den Abschied, Stefan Edberg kündigte brav ein letztes Turnier zeitig genug an, Pete Sampras war von heute auf morgen weg. So dürfte es bei Federer nicht kommen, "das Ziel ist zu spielen, natürlich", sagte er. Aber zwei Aspekte muss er für sich nun doch klären. Zum einen legte Hurkacz spielerische Defizite offen: "Einiges fehlt in meinem Spiel", gab Federer zu, "das vielleicht vor zehn, 15, 20 Jahren sehr leicht und sehr normal für mich war." Zum anderen braucht er ein neues Fährtenbuch. In seiner Reha-Phase hatte er sich am Gedanken an Wimbledon hochgezogen, "du kannst nicht an den ganzen Berg auf einmal denken, den du besteigen willst".

"Es ist ein lustiges Gefühl, um ehrlich zu sein"

Doch was kann jetzt das Ziel sein? Dass er immer noch etwa über eine Olympia-Teilnahme grübelt, zeigt: Tokio kann nicht die ausschlaggebende Motivation sein. An vielen Stellen in seinen Vorträgen klang Federer sehr positiv und aufrecht, er werde bald wieder optimistisch sein, versprach er, und "mein altes Ich" zeigen. Aber tatsächlich strahlte er auch Erleichterung aus. "Es ist ein lustiges Gefühl, um ehrlich zu sein", sagte er, "du versuchst alles, und wenn es vorbei ist, möchte man nur noch schlafen, weil du auch mental so ausgelaugt bist."

Möglicherweise, nur ein Gedanke, fürchtet Roger Federer den ominösen Tag X ja weitaus weniger als alle glauben.

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