Tennis:Der letzte Pausengong

Tennis: Spaß? Ach, was, es geht um viel mehr: Roger Federer in Aktion.

Spaß? Ach, was, es geht um viel mehr: Roger Federer in Aktion.

(Foto: Clive Brunskill/Getty Images)

Roger Federer gibt ein Interview, das sich wie ein halber Rücktritt liest. Der Schweizer kehrt noch lange nicht auf den Platz zurück, selbst Wimbledon könnte er verpassen. Ohne Wunder geht's nicht mehr bei ihm - so ernst ist die Lage.

Von Gerald Kleffmann

An diesem Mittwoch veröffentlichte die Schweizer Online-Zeitung Le Matin ein Gespräch, auf Französisch. Im Tagesanzeiger erschien es parallel dazu übersetzt auf Deutsch. Im Internet übermittelten Reporter sofort die wichtigsten Aussagen auf Englisch, und es ist gut möglich, dass inzwischen auch die Bewohner Alaskas, der Cook Islands und am Amazonasbecken bestens informiert sind. Roger Federer, davon ist auszugehen, dürfte erleichtert sein. Er hatte das Bedürfnis, der Welt etwas mitzuteilen.

Davon zeugte schon die Genese dieses Interviews. Er, der 20-malige Grand-Slam-Sieger, der achtmalige Wimbledon-Champion, die Tennisinstanz und Stilikone, war es, der von sich aus den Journalisten Mathieu Aeschmann anrief. Höchstwahrscheinlich meldete er sich mit einem lockeren "Salut, c'est Rodsch", wie es seine Art ist bei Menschen, die er gut kennt. Bei aller Ehrerbietung, die ihm gerne global entgegengebracht wird, geht ja oft unter: Federer ist sehr unprätentiös. "Ich muss mal wieder sagen, wie es wirklich um mich steht", trug er also Aeschmann vor. Sollte es seine Absicht gewesen sein, die Tennisgemeinde zu beruhigen, glückte dieses Vorhaben indes nicht ganz. Das Interview liest sich wie ein halber Abschied mit Publikumsjoker. Wie ein Fahrplan für den endgültigen Rücktritt.

Nein, den einen ultimativen Satz, den seine Anhänger fürchten wie eine Horrorvision, sprach er nicht aus. Federer nannte kein Datum fürs Aufhören. Er wurde nicht konkret, was passieren müsste, damit er seine legendäre Karriere beendet. Er mache weiter! Was in seinem Fall aber weiterhin nur wenig mit Tennis zu tun hat. Den Federer, den die Tenniswelt kennt, gibt es im Grunde seit zwei Jahren nicht mehr. Und es wird ihn auch in absehbarer Zeit nicht geben. "Ob ich für eine kleinere Runde zurückkehre oder für etwas Größeres? Niemand weiß das, weder die Ärzte noch ich", bekannte er.

"Meine Welt wird nicht zusammenbrechen, wenn ich nie wieder ein Grand-Slam-Finale bestreite"

Im vergangenen Jahr musste Federer zwei Eingriffe im rechten Knie und in diesem Jahr noch einen über sich ergehen lassen. Neben dem Meniskus wurde auch ein Knorpel behandelt. Er habe einen längeren Reha-Prozess begonnen, "in den ich mein ganzes Herzblut stecke", betonte er. Präzise beschrieb er, dass er sein rechtes Knie eben mehr in seinem Spiel als Rechtshänder belastet habe. Dass gerade die letzte medizinische Maßnahme nötig gewesen sei, weil es um Grundsätzliches ging, weit über seine Laufbahn hinaus: "Ich hätte diese Operation auf jeden Fall durchführen müssen, um mein langfristiges Wohlergehen zu sichern." Mehrmals schon hatte er erklärt, er wolle nicht als Invalide aufhören. Er wolle auch mit seinen vier Kindern noch viel erleben, Ski fahren, wandern. Auch vom Eishockeyspielen träumte er.

Selbst wenn er heute einen Schlussstrich ziehen würde - nichts von alledem ginge. Er ist schlicht weiterhin nicht fit. "Die Ärzte sagen, dass ich im Januar wieder leicht joggen und allmählich auf den Court zurückkehren kann." Im März wolle er mit einem "tennisähnlichen Training beginnen, mit Ausfallschritten und komplexeren Bewegungen". Seine Rückkehr avisiert er grob für den "Sommer 2022", "im Frühling werde ich schon viel klarer sehen".

Das alles bedeutet freilich: keine Australian Open mit Federer im Januar. Er fehlt in Doha, Dubai, Indian Wells. In Paris, bei den French Open. Es droht noch Gravierenderes: "Die Wahrheit ist, dass ich unglaublich überrascht wäre, wenn ich in Wimbledon schon wieder spielen würde", sagte Federer zu Beginn des Interviews. Er fing gleich mal mit dem Schlimmsten an. Der Rasenklassiker im All England Club startet am 27. Juli. Federer, der Eindruck liegt nahe, will mit dem Interview auch Zeit gewinnen.

Tennis: War das sein letzter Gruß in Wimbledon? Im Juli erreichte Roger Federer im All England Club das Viertelfinale und scheiterte dann klar am Polen Hubert Hurkacz.

War das sein letzter Gruß in Wimbledon? Im Juli erreichte Roger Federer im All England Club das Viertelfinale und scheiterte dann klar am Polen Hubert Hurkacz.

(Foto: Alberto Pezzali/AP)

Zeit, die ihm nun mal langsam davonrinnt. Im vergangenen Juli hatte er sich noch einmal nach Wimbledon gequält, ein paar Turniere betritt er ja in dieser Saison, quasi notdürftig zusammengeflickt. Im Rückblick hat er eingeräumt, mit Beschwerden in England angetreten zu sein, was man seinem sonst so leichten Spiel ansah. Die Grazie war teils verflogen, die Viertelfinal-Klatsche gegen den Polen Hubert Hurkacz - mit 0:6 im dritten Satz - die logische, schmerzhafte Folge. Aber Federer hatte eben, das muss man ihm anrechnen, alles versucht, um bei dem für ihn wichtigsten Turnier anzutreten. Wimbledon war immer der Kompass seiner Karriere. Umso mehr gleichen seine Bekenntnisse nun einer Zäsur. Es geht ihm nicht mehr um Titel, um Siege. "Meine Welt wird nicht zusammenbrechen, wenn ich nie wieder ein Grand-Slam-Finale bestreite", gab er zu.

Ab jetzt geht es ihm wirklich - und so hat er das noch nie geäußert - um den finalen Akt: Wie und wann schließt er den Vorhang? Ohne Umschweife antwortete er auf die Frage, ob der Abschied auf dem Court nun für ihn im Vordergrund stehe: "Ja, und wenn man es genau nimmt, macht es keinen großen Unterschied, ob ich 2022 oder erst 2023 zurückkehre, mit 40 oder 41 Jahren. Das ist egal." Sein großes Ziel sei es, "nochmals ein paar große Spiele zu bestreiten" und zu sehen, "was ich als Tennisprofi leisten kann". Doch je länger er sprach, umso mehr klang Federer, als rede er sich Mut zu und wolle sich selbst vergewissern, dass er noch "das Herz" für all die anstehenden Qualen habe, wie er es an einer Stelle ausdrückte. Wie er die Chancen einschätze, dass es den alten Federer noch mal gibt, den, der filigran über die Plätze schwebt und die Leute verzückt? "Die Sportgeschichte schreibt manchmal solche Wunder. Ich bin realistisch: Es wäre ein großes Wunder."

Ohne Wunder geht's nicht mehr bei ihm. So ernst ist die Lage.

Selbstverständlich ist es Federers alleiniges Recht, darüber zu entscheiden, wann er sich als Aktiver aus dem Tenniskosmos ausklinkt. Bislang hatte er auch stets Meinungen an sich abprallen lassen, er habe den idealen Zeitpunkt des Rücktritts verpasst. Nun nimmt er allerdings auch explizit Stellung dazu, warum der Augenblick jetzt immer noch nicht passe: "Es wäre für mich okay, zu sagen: ,Es ist okay, ich habe viel gegeben und viel erhalten. Hören wir auf.' Aber dass ich alles investiere, um nochmals zurückzukommen, ist auch meine Art, mich bei meinen Fans zu bedanken. Sie haben Besseres verdient als das Bild, das meine letzte Rasensaison hinterlassen hat." Federers Anhänger sollten wohl die Taschentücher langsam bereithalten. Der letzte Pausengong ist ertönt.

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