Tennis: Rekordspiel in Wimbledon:70:68 nach drei Tagen

Nicolas Mahut und John Isner spielen in Wimbledon elf Stunden Tennis, bis ein Sieger feststeht. Ein Rekordmatch, das Gefahren birgt - deshalb soll es jetzt neue Regeln geben. Doch Traditionalisten und Altmeister protestieren.

René Hofmann

Nicolas Mahut war so weiß, wie das T-Shirt, das er trug. John Isner wankte. Die Geschwindigkeit, mit der er seine Aufschläge auf den Rasen schickte, war um 20 km/h gesunken. Aber immer, wenn er an der Reihe war, brachte er es doch noch fertig, die Bälle an Stellen zu setzen, die Mahut nicht erreichte. Bei 10:10 im entscheidenden fünften Satz war das so, als die Sonne noch hoch am Himmel stand. Bei 20:20. Auch bei 30:30, als sich bereits erste Schatten über Platz18 des All England Clubs legten. Bei 40:40 erreichte kein Sonnenstrahl mehr das Spielfeld, aber Mahut und Isner taten, was sie offenbar nicht lassen wollten: Aufschlag. Punkt. Ohne Break ging es dahin.

Tennis: Rekordspiel in Wimbledon: Erschöpfte Rekordspieler: John Isner (links) und Nicolas Mahut schleichen nach ihrem epischen Match vom Platz.

Erschöpfte Rekordspieler: John Isner (links) und Nicolas Mahut schleichen nach ihrem epischen Match vom Platz.

(Foto: afp)

Bei 50:50 kapitulierte die Anzeigetafel. Beim Stand von 59:58 bot sich Isner der vierte Matchball. Mahut wehrte ihn mit einem Ass ab. Das war genug, zumindest für den Tag. Der Schiedsrichter unterbrach die Partie wegen Dunkelheit beim Stand von 6:4, 3:6, 6:7 (7), 7:6(3) und 59:59 aus Sicht von Mahut. Gesamtspielzeit in diesem Moment: exakt zehn Stunden.

Bereits am Dienstag war die Erstrundenpartie nach dem vierten Satz abgebrochen worden, weil die Nacht kam. Allein am Mittwoch standen sich Isner und Mahut sieben Stunden und sechs Minuten lang gegenüber - allein das wäre länger gewesen als jedes andere Match zuvor. Als Rekord galt bisher das Hin- und Her zwischen Fabrice Santoro und Arnaud Clément bei den French Open 2004. Damals hatte es 6:33Stunden gedauert, bis Santoro als Sieger feststand.

112 Asse USA, 103 Frankreich

Mahut und Isner kamen am Ende auf elf Stunden und fünf Minuten. Im dritten Anlauf glückte es Isner am Donnerstag Abend schließlich, sich zu behaupten. Seinen fünften Matchball verwandelte er mit einem Passierschlag zum 70:68. Der Amerikaner hatte da 112 Asse geschlagen, der Franzose 103. Natürlich sind das alles zuvor undenkbare Marken. "Er ist ein toller Champion", sagte Mahut am Mittwochabend über Isner, der zurückgab: "Er schlägt toll auf. Ich auch. Das ist alles." Sport kann so einfach sein. Am Ende gingen die beiden fast freundschaftlich auseinander, nach einer Zeremonie, bei der sie dafür geehrt worden waren, "ein Stück Wimbledon-Geschichte und ein Stück Tennis-Geschichte geschrieben zu haben", wie ein Sprecher des All England Clubs sagte. "Wimbledon ist das großartigste Turnier. Und wir haben das großartigste Match geliefert", meinte Mahut, der Unterlegene.

Die Auseinandersetzung bot eine skurrile Szenerie. Elf Stunden: Das ist länger, als der Sieger beim Ironman auf Hawaii braucht. Das ist länger, als es dauert, die Herr-der-Ringe-Trilogie zu schauen. Je länger Isner und Mahut sich gegenüberstanden, desto mehr Publikum strömte an den Platz, der neben dem Fernsehzentrum liegt. Irgendwann war auf dessen Dach kein Stehplatz mehr zu bekommen. Um Viertel nach sechs am Mittwoch rief eine Zuschauerin: "Beeilt Euch! Ich hab' nur bis sieben einen Babysitter."

Murray grollt, McEnroe mahnt

Als die Tages-Spielzeit sich der Sieben-Stunden-Marke näherte, fing eine BBC-Kamera einen Flieger ein, der sich zum Landeanflug nach Heathrow senkte. Der Kommentator dazu: "Als Mahut und Isner sich heute Nachmittag aufwärmten, könnte diese Maschine in New York gestartet sein."

Bei 50:50 standen alle Zuschauer am Platz auf, aber nicht nur, um Applaus zu spenden. Den meisten waren einfach die Beine eingeschlafen. Auf der Internet-Plattform Twitter war die Partie eines der meistgesuchten Themen. Viele Spieler mischten sich in die Online-Diskussion ein. Die meisten waren angetan. Nur Andy Murray grollte. "Männer, werdet fertig!" Der Schotte hätte noch ein Doppel auf dem Platz bestreiten sollen. Das wurde verschoben - wie zwei andere Matches. Wetten wurden abgeschlossen, wann Schiedsrichter Mohamed Lahyani wohl zum ersten Mal auf die Toilette müsse. Die Times notierte, dass der Schwede häufig auf die Uhr blickte - "wohl um zu sehen, ob noch Juni ist".

Natürlich lässt sich die Sache so betrachten: lustig, aus der skurrilen Perspektive. Aber schnell wurden auch Stimmen laut, die fragten: Was soll das? Muss das sein? Isner hat nun einen deutlichen Nachteil. Der Niederländer Thiemo de Bakker, der in der zweiten Runde auf ihn wartet, ist ausgeruht. Isner müsste, wenn er es ins Achtelfinale schaffen will, bis Samstag durchspielen. "Bei 50:50 sollten sie Tie-Break spielen", schlug Novak Djokovic halb scherzhaft vor. John McEnroe findet, bei 30:30 könnte es Zeit für den Tie-Break sein: "Das ist Werbung fürs Tennis. Aber irgendwann wird es auch gefährlich", meint er.

Durchspielen bis Samstag

Die verkürzte Zählweise, bei der der Aufschlag nach jedem Punkt wechselt und derjenige gewinnt, der als erster mit zwei Punkten Vorsprung mindestens sieben Punkte erreicht, gibt es seit 1970. Im fünften Satz wird sie bei den vier Grand-Slam-Turnieren aber nur bei den US Open angewandt. Dass das Ende so lange offen bleiben kann, gilt als besondere Herausforderung. Roger Federer, der im vergangenen Jahr im Finale auch eine Marathon-Erfahrung hatte, als er im fünften Satz Andy Roddick 16:14 niederrang, findet, das solle auch so bleiben. "So, wie es ist, ist es perfekt", sagt er: "Die beiden finden es vielleicht gerade nicht gut. Aber ich liebe es!" Auch Andy Murray ist Traditionalist. "Die Regeln funktionieren", sagt er.

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