Es ist schwer, das loszulassen, was man liebt. Das gilt im Leben wie auf dem Tennisplatz. Noch schwerer ist es, sich umzudrehen und auf Nimmerwiedersehen durch eine Tür zu verschwinden, wenn man hinter sich, im Rücken, die Welle der gegenseitigen Zuneigung spürt.
Rafael Nadal hätte es fast geschafft. Er dankte am Montagabend in Paris dem Publikum, dem Gegner, den Veranstaltern, auch den vielen Menschen hinter den Kulissen, die ihm in den vergangen zwei Jahrzehnten seine Aufgaben als Tennisprofi so angenehm wie möglich gemacht hatten. Adieu zu sagen, das brachte nicht übers Herz. Stattdessen behalf er sich mit folgenden Worten: „Die Wahrscheinlichkeit ist hoch, dass ich nicht noch einmal zurückkomme, um hier in Roland Garros zu spielen, aber ich kann es nicht zu einhundert Prozent sagen.“ Zum Schluss seiner kurzen Rede ließ er dann doch noch eine kleine Liebeserklärung zu: „Was ich an Gefühlen erleben durfte auf diesem wunderbaren Platz im Laufe meiner Karriere, das ist unbeschreiblich.“

Tennis:Komplimente zum Klassentreffen
Bei den French Open in Paris begegnen sich die alten Rivalen Stan Wawrinka und Andy Murray – und haben sich viel zu erzählen. Vielleicht sogar, wie lange sie ihre großen Karrieren noch fortsetzen wollen.
Rafael Nadal aus Manacor in Mallorca, der kommende Woche 38 Jahre alt wird, ist kein sentimentaler Mensch. Er sei „ein einfacher Kerl“, der die Dinge gern nach Kräften erledigt im Bewusstsein, alles gegeben zu haben, was möglich war, hat er am Montag noch einmal betont. Bei schweren Niederlagen ist er nie in Tränen ausgebrochen wie zum Beispiel sein langjähriger Rivale Roger Federer. Als der Schweizer Maestro vor vielen Jahren, nach dem verlorenen Finale der Australian Open 2009, von Weinkrämpfen geschüttelt wurde, war es der Sieger Nadal, der die allgemeine Verlegenheit beendete, ihm den Arm um die Schulter legte und Trost zusprach. Auch diese Empathie hat zu seinem Renommee beigetragen – zumal sie in Kontrast steht zum Bild des gnadenlosen Matadors auf dem Platz, das er kultivierte.
Das Erstrundenmatch gegen Alexander Zverev, das der 14-malige Turniersieger auf dem Centre Court von Paris, dem Court Philippe-Chatrier, in drei Sätzen verlor (3:6, 6:7, 3:6) stellt eine Zäsur dar. Womöglich besiegelte es bereits eine Ära. Auch die Kollegen haben dies intuitiv gespürt. Carlos Alcaraz, Novak Djokovic und die Weltranglistenerste Iga Swiatek hatten sich in der Halle eingefunden, um Zeuge eines raren Ereignisses zu werden: der erst vierten Niederlage Nadals in 19 Jahren und 116 Partien bei den French Open in Paris.
Wie sich sein Körper anfühlte? Als wäre er „im Dschungel“ sagt Nadal
Dass er sogar zweimal nacheinander Niederlagen auf Sandbelägen, gewissermaßen in seinem Souveränitätsgebiet, kassiert, so etwas hatte es überhaupt noch nicht gegeben. Doch im Gegensatz zum frühen Aus in Rom Mitte Mai hat Nadal den Auftritt gegen Zverev, die Nummer vier der Welt, nicht als Desaster gesehen. Erstmals seit seiner Operation am Hüftbeuger und der Muskelverletzung an selber Stelle, die er sich zu Jahresanfang in Brisbane zugezogen hatte und deren Folgen ihn die Berufungsunfähigkeit fürchten ließen, konnte er jetzt in Frankreich ohne Einschränkungen trainieren. Mit etwas mehr Zeit, glaubte er, würde er mit peitschender Vorhand wieder zu alter Wettkampfform finden.
Auch Zverev bestätigte diesen Eindruck: „Seine Schläge sind komplett da, er hat sich richtig gut bewegt.“ Hätte die Auslosung Nadal zum Turnierauftakt einen anderen Gegner beschert, sagte Zverev, „wäre er vielleicht nach der dritten Runde wieder zu einem der großen Favoriten geworden“. Besonders im zweiten Satz, in dem Nadal 5:3 führte, sprang er mit der Explosivität eines Panthers über den Platz.

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Apropos Panther: Sein Körper habe sich in den vergangenen zwei Jahren angefühlt, als wäre er „im Dschungel“, erzählte Nadal am Montag mit selbstironischem Lächeln, als er vor den Journalisten der Welt nach einer Metapher für seine Leidenszeit suchte. Er sei sich vorgekommen wie im falschen Film – oder zumindest wie am falschen Ende der Nahrungskette: „Ich wusste nie, was als Nächstes passiert, manchmal dachte ich beim Aufwachen, ich werde von einer Schlange gebissen, manchmal war’s eher ein Tiger.“ Er hat sich aus dieser Wildnis herausgekämpft – auch deshalb sei Vorsicht geboten.
Ein letztes Hurra bei Olympia
Zum Turnier nach Wimbledon, das im Juli beginnt, wird Nadal nicht reisen, das hält er für fast ausgeschlossen. Die gesamte Rasensaison will er meiden – damit ihn nicht eine Viper im Gras attackiert. Bei der Umstellung der Spielweise vom Sandplatz auf rutschige Halme hält er das Risiko für den geschundenen Körper zu groß. Im Kalender notiert hat Nadal dagegen im Spätsommer den Auftritt bei den Olympischen Spielen in Paris, deren Tenniswettbewerbe auf der geliebten roten Terre Battue von Roland Garros vorgesehen sind.
Auf Olympia hat er seine Jahresplanung ausgerichtet, erklärte er. Und an diesem Punkt wird deutlich, worum es Rafael Nadal, dem 22-maligen Grand-Slam-Sieger, im Abschiedsjahr auf der Tennistour wirklich geht. Sein Freund und Kollege Roger Federer hatte die Karriere nach Knieoperationen mit einem Auftritt im Doppel ausklingen lassen – beim Laver Cup in London, einem von Federer ins Leben gerufenen Turnier, an Nadals Seite übrigens. Aber eine Party zum Schluss, ein melancholisches Winken ins Publikum, das genügt dem Derwisch mit der peitschenden Vorhand nicht. Auch in dieser Hinsicht ist er, anders als das Tennisgenie Federer, ein harter Arbeiter geblieben. Er hat sich gequält für das Comeback. „Ich bin ein leidenschaftlicher Sportler, ich bin ein Wettkämpfer“, sagte er, und er wolle sich nicht in zwei Jahren den Vorwurf machen, nicht noch einmal versucht zu haben, alles aus sich herauszuholen. Wenn er geht, dann nur auf die harte Tour.
Und so hat Rafael Nadal nach der Partie gegen Alexander Zverev, nach einem Grand-Slam-Match gegen die Nummer vier der Welt, ein versöhnliches Fazit gezogen: „Wenn das mein letztes Spiel hier gewesen sein sollte“, sagte er lächelnd, „dann bin ich mit mir im Reinen.“ Auch das ist eine Umschreibung für: Adieu.