Positiver Corona-Fall im Tennis:Flucht um 5.45 Uhr

24.10.2019, Wiener Stadthalle, Wien, AUT, ATP, Tennis Herren Tour, Erste Bank Open, im Bild Sam Querrey (USA) // Sam Qu

Sein monoton wuchtiges Spiel war nie besonders schön anzusehen – aber 2017 führte es ihn ins Wimbledon-Halbfinale: Sam Querrey.

(Foto: Eibner/imago images)

Eine Geschichte wie in einem Agentenfilm: Tennisprofi Sam Querrey bricht die Quarantäne-Regeln und stiehlt sich per Privatjet davon. Er gefährdet sich und die Tour.

Von Milan Pavlovic

Niemand muss sich grämen, wenn er bislang noch nie etwas von Sam Querrey gehört hatte. Der fast zwei Meter große Amerikaner mit dem Nussknacker-Kiefer, dessen monoton wuchtiges Spiel nicht besonders schön anzusehen ist, erreichte im Februar 2018 mal Platz elf der Tennisweltrangliste. Derzeit ist er die Nummer 49. Er hat elf kleinere Turniere gewonnen, stand 2017 im Wimbledon-Halbfinale und seit 2007 immer in den Top 100 der Welt. Bezeichnend ist aber, dass seine bemerkenswerteste Leistung bisher wohl jener Drittrundensieg 2016 in Wimbledon war, mit dem er völlig unerwartet die Grand-Slam-Serie von Novak Djokovic bei 30 Siegen beendete. Diese Tat hat Querrey jetzt getoppt, wenn auch nicht auf die Art, die ihm vorschwebte.

Der Kalifornier hatte gerade seinen 33. Geburtstag gefeiert, als sein Leben eine neue Richtung nahm, Ziel noch unbekannt. Er war in St. Petersburg für das mittelgroße Turnier gemeldet, war beim ersten Corona-Test negativ, wurde aber vier Tage später, am Tag vor seinem ersten Match, positiv auf das Virus getestet, genau wie seine Frau Abby und ihr gemeinsamer, gerade mal achtmonatiger Sohn. Die drei richteten sich auf eine zweiwöchige Quarantäne ein, kein Problem angesichts der Tatsache, dass das Hotel, in dem sie residierten, für seinen Komfort bekannt ist.

Dann aber kündigten die Behörden einen Arztbesuch an. Es gibt unterschiedliche Aussagen, wie das kommuniziert wurde. Die Russen gaben zu Protokoll, dass die infizierte Familie aus dem Hotel raus sollte, das ja - aber in ein abgeschottetes, komfortables Appartement transferiert ("premium class", wie die Veranstalter versichern), wo sie keine Gefahr für andere gewesen wäre. Querrey hingegen soll die Ansage so verstanden haben, dass die Familie eventuell getrennt werden sollte, falls die Erwachsenen Symptome zeigen würden - was sie wohl auch taten.

Deshalb mietete der Spieler, der in seiner Karriere 12,4 Millionen Dollar an Preisgeldern gewonnen hat, in Windeseile einen Privatjet jener Firma, für die er einst auf dem Ärmel seines Tennis-Shirts geworben hatte und ignorierte einen Versuch der russischen Behörden, mit ihm Kontakt aufzunehmen. (Die Russen behaupten, sie hätten mehrere Anläufe unternommen - und beim ersten Mal habe der Profi gesagt, das Kind schlafe gerade.) Am Donnerstag sollte die Familie wieder getestet werden. Doch am Dienstagmorgen flüchtete Querrey, wie Aufnahmen einer Überwachungskamera belegen, mit Frau und Kind um 5.45 Uhr aus dem Hotel, womit er gegen elementare Vorschriften der Corona-Regeln verstieß. Die drei jetteten in ein Land, das wohl ebenfalls in Europa liegt und keinen Negativtest verlangt. Sie wollen sich nun kurieren (angeblich in einem Airbnb) und erst danach erklären. Wenn's nach dem Amerikaner geht, rund um das Hallenturnier in Paris, für das er direkt qualifiziert ist. Allerdings glauben nur wenige Beobachter, dass die Verantwortlichen der Männertour das zulassen werden.

"Schlau war das nicht. Ich sag' mal so: Ich hätte das nicht gemacht", sagt Alexander Zverev

Die meisten Details der Affäre, die Züge eines Agentenfilms hat, erfuhr die Welt auf Twitter, in knackige Kurzmitteilungen wie ein Fortsetzungsroman verpackt von dem oft für die New York Times arbeitenden Journalisten Ben Rothenberg. Er war schneller und informierter als die Behörden, und die Tweets legen nahe, dass der Reporter nah an der Quelle war.

Im Internet und in der Tennisszene wird nun rege diskutiert, was da passiert ist. Hat Querrey nur im Sinne seiner Familie gehandelt ("Family first!"), also vertretbar? War er schlecht beraten und verantwortungslos? Alexander Zverev sagte in Köln etwas verlegen: "Schlau war das nicht. Ich sag' mal so: Ich hätte das nicht gemacht." Und Zverev muss wissen, wovon er redet, weil er im Sommer selbst zweimal in die Corona-Schlagzeilen geriet: bei der Virus-verseuchten Adria-Tour sowie als Gast einer großen Sause, für deren Besuch er hart kritisiert wurde. Zuletzt in Paris hatte Zverev eine Partie trotz Fieber bestritten. Die Selbstdiagnose (Erkältung) hatte er mit den ahnungslosen Veranstaltern der French Open nicht geteilt - in Zeiten von Corona sicher eine diskutable Entscheidung. Aber nichts im Vergleich zu Sam Querrey.

In Köln verzichtet der Veranstalter lieber ganz auf Fans

Die Sache ist wohlgemerkt nicht nur für den Profi heikel, dem je nach Regelauslegung eine mehrjährige Sperre und eine sechsstellige Dollar-Strafe droht. Sondern auch für die ganze Tennistour, die hart daran arbeiten musste, Turniere auf die Beine zu stellen und Gesundheitsämter davon zu überzeugen, dass die Events in keinem Fall die Gesundheit von Beteiligten oder Außenstehenden gefährden würden.

In Köln wurde in dieser Woche die Besucherzahl des Turniers trotz eines minutiösen, vielgelobten, fast 60-seitigen Hygiene-Konzepts so drastisch beschnitten (von ursprünglich etwas über 6000 auf 250), dass die Veranstalter ab Mittwoch lieber ganz auf Zuschauer verzichteten - in der Hoffnung, dass für das zweite Turnier in der kommenden Woche vielleicht wieder 999 Besucher zugelassen würden. Der Fall Querrey hat dieses Ziel garantiert nicht realistischer gemacht.

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