Tennis-Profi Novak Djokovic:King Kong trommelt

BNP Paribas Open - Day 8

Novak Djokovic: Hat doch noch etwas gefunden, was er noch nicht erreicht hat

(Foto: AFP)

Körperlich ausgemergelt, mental ausgelaugt: Novak Djokovic fehlten nach seinem größten Erfolg neue Ziele und Motivation. Nun hat der Serbe wieder Biss - auch ohne Boris Becker.

Von Jürgen Schmieder, Indian Wells

Es gibt in jeder Partie von Novak Djokovic diese Ballwechsel, bei denen es aussieht, als sei der Gegner gleichwertig oder gar überlegen - in Wahrheit hat er ohne Zauberschlag keine Chance auf einen Punktgewinn. Djokovic spielt die Bälle aus der Bedrängnis geduldig zurück, so wie ein Mühlespieler bei Attacken des Gegners seine Steine emotionslos über das Spielfeld schiebt. Seine Schläge werden immer präziser und wuchtiger, die des Gegners langsamer und ungenauer. Die Zwickmühle ist aufgestellt, es folgt entweder ein verzweifelter Versuch des Kontrahenten oder ein Gewinnschlag von Djokovic.

Es gibt diese Djokovic-Ballwechsel, die dann in Djokovic-Partien münden wie jene am Sonntagabend in Indian Wells. Der Brite Kyle Edmund wird nach dem 4:6, 6:7 (5) glauben, dass er sich gegen einen der besten Spieler der Welt wacker schlug und im zweiten Durchgang aufgrund des Break-Vorsprungs überlegen war - in Wahrheit hatte er keine Chance, zu gewinnen. Djokovic kümmerte sich um die Ballwechsel, um die er sich kümmern musste. Er wehrte sich gleichmütig gegen die Fallen seines Gegners und baute die eigenen geduldig auf - bei wichtigen Ballwechseln agierte er genauer, aggressiver. "Es war ein guter Test, ich habe wenig Fehler gemacht und gute Ballwechsel gespielt", sagte Djokovic. So beschreiben andere ihr Frühstück.

Djokovic hat mit Djokovic-Ballwechseln und Djokovic-Partien bislang zwölf Grand-Slam-Turniere gewonnen, mehr haben nur Roger Federer (18), Rafael Nadal und Pete Sampras (beide 14) geschafft. Vor einem Jahr, nach dem Sieg bei den French Open, waren die Pokale sämtlicher Grand-Slam-Turniere in seinem Besitz, er hatte die meisten Punkte in der Geschichte der Weltrangliste auf seinem Konto, er war unter den besten Tennisspielern der Allerbeste. Mehr gibt es nicht zu schaffen in diesem Sport, Djokovic stand auf dem Gipfel und blickte hinab auf all die anderen.

Unkonzentriert und lustlos

Danach jedoch gab es immer seltener Djokovic-Ballwechsel und Djokovic-Partien, in Wimbledon scheiterte er in der dritten Runde, bei Olympia verlor er die erste Partie und kürzlich in Australien das zweite Spiel. Dazwischen erreichte er bei den US Open das Finale, profitierte dabei aber auch von den Aufgaben seiner Gegner. Er wirkte bisweilen wie eine abgemagerte Version seiner selbst, als wäre er nicht nur gegen Gluten allergisch, sondern gegen alle Nahrungsmittel der Welt. Er agierte unkonzentriert und lustlos und war plötzlich nur noch die Nummer zwei der Weltrangliste.

Es muss an dieser Stelle freilich erwähnt werden, dass sich von den besten 100 Spielern der Welt genau zwei darüber geärgert hätten, wenn sie so wenige Partien gewonnen hätten wie Djokovic. Die beiden sind: Andy Murray, der einzige Spieler, der in der Weltrangliste ganz vorne liegt. Und natürlich Djokovic selbst, der zugibt, dass ihn Niederlagen doch tierisch nerven. So ist das nun mal, wenn einer so gut ist, dass er enttäuscht sein muss, wenn er nicht mehr der Beste ist.

"Ich bin wieder hungrig, ich bin wieder ich selbst"

Djokovic lieferte Erklärungen dafür, warum er plötzlich nicht mehr der Beste war: In Wimbledon sprach er von Erschöpfung nach den French Open, bei Olympia von einem verletzten Handgelenk, in New York von privaten Problemen.

Nun, in der kalifornischen Wüste, fasst Djokovic all diese Begründungen zusammen und liefert indirekt eine Erklärung dafür, warum Boris Becker nicht mehr sein Trainer ist. "Es war großartig, die French Open zu gewinnen und mich für all die Jahre harter Arbeit zu belohnen", sagt er: "Gleichzeitig hat mich all das viele Emotionen und Energie gekostet - ich habe ein bisschen gebraucht, um das zu verarbeiten und auch ein bisschen über mich selbst nachzudenken." Da stand er, auf dem höchsten Gipfel, den dieser Sport zu bieten hat. Er entdeckte am Horizont jedoch keinen Berg mehr, den er noch erklimmen könnte, er sah stattdessen viele Dinge, die ein Leben auch erfüllen können: eine Ehefrau und einen Sohn etwa.

"Ich will ein guter Tennisspieler sein, aber auch ein guter Vater und Ehemann", sagt Djokovic: "Bevor mein Sohn geboren wurde, da war Tennis das wichtigste in meinem Leben - das ist es jetzt nicht mehr. Ich kann nicht jeden Tag 100 Prozent in jeder Rolle geben." Das dürfte auch Becker erfahren haben, der drei Jahre zuvor angetreten war, aus dem hochbegabten Djokovic den hocherfolgreichen Djokovic zu machen. Er kitzelte aus seinem Schützling die versprochenen zwei Prozent heraus, er sorgte für Djokovic-Ballwechsel und die Djokovic-Partien.

Neues Ziel ist gefunden

Becker war als Spieler selbst so gut, dass er bisweilen enttäuscht war, wenn er nicht der Beste war, nach einem verlorenen Wimbledon-Finale etwa. Wie sollte er einem Spieler helfen, dem die Herausforderungen fehlen und der diesen Sport als nicht mehr so wichtig ansieht? War er nicht genau deshalb verpflichtet worden? "Bei einem Trainerjob mit nur einem Spieler ist irgendwann alles gesagt", sagte Becker über die freundschaftliche Trennung: "Dann hat man all das voneinander bekommen, was man sich erwartet und gewünscht hat. Und dann ist es gut."

Djokovic präsentiert sich in Indian Wells bestens gelaunt, er holte während des Trainings einen Jungen auf den Platz, beim Doppel mit Viktor Troicki verwandelte er seinen Schläger in ein Saxofon. Das sind Djokovic-Momente, denen er im Einzel eine Djokovic-Partie folgen ließ. "Ich bin wieder hungrig, ich bin wieder ich selbst", sagt er: "Ich glaube, dass ich mich in die richtige Richtung bewege." Jemand hat ihm am Horizont eine Bergkette gezeigt, die in der Geschichte dieses Sports noch niemand bestiegen hat: neben allen Grand Slams und dem Tour-Finale auch alle neun Turniere der so genannten ATP-World-Tour-Masters-1000-Serie zu gewinnen. "Es wäre großartig, das als erster Spieler zu schaffen - mir fehlt ja nur noch Cincinnati", sagt Djokovic: "Aber ich muss mich beeilen, die anderen holen auf." Federer fehlen zwei, Nadal drei Erfolge bei diesen Turnieren.

Djokovic hat wieder ein Ziel, er will wieder der Beste sein, diese zwei Prozent mehr in sich selbst finden. Nach seinem Sieg gegen Edmund stand er auf dem Platz und forderte das Publikum auf, gefälligst mehr Lärm zu machen. Aus den Boxen dröhnte das Lied "Hall of Fame" von The Script. Der Text lautet: "Du kannst der Größte und Beste sein und dir wie King Kong gegen die Brust trommeln." Djokovic grinste, als er das hörte, er klopfte mit der Faust gegen seine rechte Brust. Dann schlug er Bälle ins Publikum.

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