Der Fall Peng Shuai:Sie nickt und schweigt

Chinese tennis player Peng Shuai signs large-sized tennis balls at the opening ceremony of Fila Kids Junior Tennis Challenger Final in Beijing

Die besorgte Tennisgemeinde fragte seit Wochen: Wo ist Peng Shuai? Hier ist sie mutmaßlich nun also. Bei einem Kinderturnier in Peking signiert sie Bälle.

(Foto: via Twitter @QINGQINGPARIS/via Reuters)

Nach Wochen ohne Lebenszeichen taucht die vermisste Tennisspielerin Peng Shuai auf, doch es gibt Grund zu Sorge: Viel mehr außer ein paar Bildern und Videoschnipseln, getwittert von chinesischen Staatsmedien, bekommt die Welt nicht zu sehen.

Von Christoph Giesen, Peking, und Gerald Kleffmann

Sie ist wieder da: Peng Shuai, die vermisste chinesische Tennisspielerin, die einen der mächtigsten Männer der Volksrepublik der sexualisierten Gewalt beschuldigt hatte. In der Nacht zu Samstag verbreiteten Reporter von Staatsmedien zunächst drei Fotos, die sie bei sich zu Hause zeigen sollen. Am Abend darauf dann eine wacklige Smartphone-Aufnahme: Man sieht Peng in einem Sichuan-Restaurant in Peking unweit der Verbotenen Stadt sitzen. Das Essen spülen sie und ihre Begleiter offenbar mit Rotwein aus bauchigen Gläsern herunter. Ein Mann in dem Video sagt: "Morgen ist der 20. November", wird aber sofort von einer Frau in der Runde korrigiert, dass dann der 21. November sei - und damit Sonntag. Peng nickt und schweigt.

Es hat etwas von einem Entführervideo, in dem eine Tageszeitung hochgehalten wird, zum Beweis, dass die Geisel noch lebt.

Am Sonntagmorgen gleich die nächsten Aufnahmen: Der Chefredakteur der staatlichen Global Times postet auf Twitter, einem Dienst, der in China gesperrt ist, ein Video, das die 35-Jährige in einer Pekinger Sporthalle bei der Eröffnung eines Jugend-Tennisturniers zeigt. Peng trägt eine marineblaue Sportjacke und eine weiße Trainingshose und steht inmitten einer Gruppe von Gästen, deren Namen unter Beifall aufgerufen werden. Ein Reporter der Staatszeitung twittert kurz darauf ein weiteres Video, in dem zu sehen ist, wie Peng Autogramme für Kinder schreibt und für Fotos posiert. Die Botschaft ist klar: Peng Shuai geht es gut - nun lasst uns endlich in Ruhe!

In den chinesischen Medien wird weiterhin eisern geschwiegen. Ausschließlich auf Twitter veröffentlichen die Staatsmedien ihre Fotos und Videos. Wer in Chinas sozialen Netzwerken nach Peng Shuai oder aber dem ehemaligen Vizepremierminister Zhang Gaoli sucht, dem sie einen sexuellen Übergriff vorgeworfen hatte, erhält eine Fehlermeldung.

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Inszenierung im Restaurant: Eine verbreitete Videoaufnahme zeigt Peng Shuai (Zweite von rechts) beim Essen in Peking.

(Foto: Hu Xijin/Twitter/via Reuters)

Entsprechend zurückhaltend fällt die Reaktion von Steve Simon, dem Chef des internationalen Frauentennisverbands WTA, aus. Es sei zwar "positiv", dass Peng zu sehen sei. Allerdings sei immer noch unklar, ob die Spielerin "frei und in der Lage ist, selbständig und ohne Zwang oder Einmischung von außen Entscheidungen zu treffen und Maßnahmen zu ergreifen", sagte er.

In der Tat: Warum schreibt Peng Shuai, eine dreimalige Olympia-Teilnehmerin und frühere Nummer eins der Doppel-Weltrangliste, nicht selbst etwas beim chinesischen Kurznachrichtendienst Weibo, auf dem sie am 2. November von ihren traumatischen Erfahrungen berichtet hatte? Warum antwortet sie nicht auf die vielen Nachrichten von Spielerinnen und Spielern (auch der Schweizer Roger Federer, 40, äußerte sich nun solidarisch), die sich allesamt um sie sorgen? Warum gibt sie nicht einfach ein Fernsehinterview, in dem nur sie alleine spricht und Fragen beantwortet? Warum wird nun auf einmal ihr Privatleben gezeigt, obwohl sie in der vergangenen Woche doch in einem Brief an die WTA angeblich geschrieben hatte, sich zu Hause ausruhen und bitte nicht gestört werden zu wollen.

Winnie Puuh ist auf einem Foto hinter Peng Shuai zu sehen - ein klitzekleiner Akt der Subversion

Der Fall erinnert in manchen Facetten an das Sterben von Liu Xiaobo, dem chinesischen Friedensnobelpreisträger 2017 - ein unwürdiges Schauspiel damals. Jeden Tag stellte das Krankenhaus in Nordchina ein Bulletin ins Netz. Klinisch kalt, die reinen Fakten: Nierenfunktion eingeschränkt, Bauchfell entzündet, der Krebs weitergewachsen. Septischer Schock. Intensivstation. Selbst der Tod wurde auf einer Website gemeldet. Ein Kämpfer für die Demokratie in China, reduziert auf schlechte Nierenwerte und Metastasen. In den chinesischen Nachrichten wurde Liu Xiaobos Sterben verschwiegen. Nur ein einziges Propagandablatt, die Global Times, berichtete und kommentierte auf Englisch, genau wie heute.

Immerhin, ein klitzekleiner Akt der Subversion kommt in Peng Shuais Fall zum Vorschein: Auf einem der Fotos, die sie angeblich am vergangenen Freitag zeigten, ist ein kleines gerahmtes Bild von Winnie Puuh hinter ihr zu sehen - jeder in China weiß, dass damit Xi Jinping gemeint ist. Für viele Chinesen ist der Vergleich mit der korpulenten Disney-Figur die vielleicht einzige unbeschwerte Möglichkeit, über ihren Präsidenten zu spotten, ein Witz, den der beinahe Allmächtige Xi offenbar jedoch nicht allzu gerne hat.

Alles begann, als Xi Jinping frisch im Amt 2013 zum Staatsbesuch in den Vereinigten Staaten weilte und ein Foto veröffentlicht wurde, das ihn mit dem damaligen US-Präsidenten Barack Obama zeigt. Beide haben sie ihre Jacketts abgelegt und spazieren über einen akkurat gemähten Rasen. Xi mit seiner etwas zu weit hochgezogenen Hose wirkt leicht pummelig neben dem drahtigeren Obama. Irgendwer im Netz hatte dann die Puuh-Idee. Xi der Bär und Obama, sein getreuer Comic-Kompagnon Tigger. Wurde natürlich auch radikal wegzensiert, wie heute der Name von Peng Shuai.

Steve Simon schreibt einen Brief an den chinesischen Botschafter - mit zwei Forderungen

Am Wochenende hat ihr Fall derweil neue politische Ebenen erreicht. WTA-Boss Simon, der resolut China die Stirn bietet, übermittelte dem chinesischen Botschafter Qin Gang in Washington einen unmissverständlichen Brief, den die New York Times veröffentlichte. In diesem fordert der Amerikaner abermals eine "unabhängige und nachweisbare Bestätigung, dass Peng Shuai sicher ist". Zudem, dass die Vorwürfe, die Peng Shuai gegen Zhang Gaoli erhob, "fair, umfänglich, transparent und ohne Zensur" untersucht werden. Bemerkenswert ist das Ende des Schreibens. Simon untermauerte nun auch auf diesem offiziellen Weg die Botschaft: "Wenn unseren beiden Bitten nicht entsprochen wird, haben wir keine andere Wahl, als ernsthaft darüber nachzudenken, ob wir wieder in China spielen können." Einen Bruch mit der Führung in Peking hat bislang noch kein hochrangiger Sportfunktionär gewagt.

Bereits am Freitag hatte sich das Weiße Haus "tief beunruhigt" zu Peng Shuai geäußert. Jen Psaki, die Sprecherin von US-Präsident Joe Biden, teilte auf einer Pressekonferenz mit: "Wir fordern die chinesischen Behörden auf, unabhängige und überprüfbare Beweise über ihren Aufenthaltsort und ihre Sicherheit zur Verfügung zu stellen." Zuvor hatte Biden selbst bestätigt, sein Land ziehe weiterhin generell einen diplomatischen Boykott der Olympischen Winterspiele im kommenden Februar in Peking in Erwägung.

Am Sonntagabend die nächste Beschwichtigung. Wie ein Reporter der Nachrichtenagentur Reuters meldete und das IOC kurz darauf bestätigte, habe IOC-Präsident Thomas Bach mit Shuai Peng ein Video-Telefonat geführt. Sie habe übermittelt, ihr gehe es gut, man solle nun ihre Privatsphäre respektieren. Auch das wirkte: höchst inszeniert.

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FILE PHOTO:  WTA Mandatory - Madrid Open

Tennisspielerin Peng Shuai
:Die Sorgen nehmen zu

Peng Shuai ist weiterhin nicht aufgetaucht, dafür eine dubiose Mail, die angeblich von ihr stammen soll. WTA-Präsident Steve Simon bezweifelt die Echtheit der Nachricht - unterdessen wächst die Solidarität mit der vermissten Chinesin.

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