Zverev vor dem Match gegen Ruud:Wieder im Halbfinale, aber unter anderen Vorzeichen

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Alexander Zverev schätzt seine Chancen heute etwas realistischer ein. (Foto: Jean-Francois Badias/dpa)

Zum vierten Mal hat Alexander Zverev die Runde der besten Vier bei den French Open im Tennis erreicht. Mit 27 Jahren ist er nun der älteste verbliebene Spieler im Turnier – und will das für sich nutzen.

Von Barbara Klimke, Paris

Wie die Zeit vergeht und trotzdem stillzustehen scheint, lässt sich gut in Paris beobachten, wo die Seine noch immer gemächlich die Kathedrale Notre-Dame umfließt. Und wo weiter westlich in der Kathedrale des Tennis, dem Stade Roland Garros, ein Schläger schwingender Akteur Jahr für Jahr um den Einzug ins Finale der French Open spielt.

Zum vierten Mal hat Alexander Zverev, 27, die Runde der besten Vier erreicht, was in der Geschichte des Turniers außer ihm nur zehn weiteren Profis gelungen ist: unter anderem Björn Borg 1978 bis 1981. Nicht einmal der Dauersieger Rafael Nadal hat es diesen Sommer so weit geschafft, bekanntlich hat Zverev den Spanier vor elf Tagen aus dem Wettbewerb befördert. „Ein weiteres Halbfinale – vielleicht kann ich auch mal eines gewinnen!“, hat Zverev nach seinem Sieg in der fünften Runde gegen den Australier Alex de Minaur gesagt. Das wäre für ihn tatsächlich eine Premiere.

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Voriges Jahr verlor er auf der Anlage am Bois de Boulogne gegen den Norweger Casper Ruud (3:6, 4:6, 0:6). Im Jahr davor verlor er gegen Nadal, weil er stürzte und die Bänder im Knöchel rissen (6:7, 6:6). Im Jahr 2021 verlor er gegen den Griechen Stefanos Tsitsipas (3:6, 3:6, 6:4, 6:4, 3:6). An diesem Freitag wird ihm erneut Ruud auf der anderen Netzseite begegnen, wenn die Halbfinalisten Aufstellung nehmen. Die Sanduhr wird einmal umgedreht, in Roland Garros geht es von vorne los.

Zverev fehlt noch immer der ganz große Triumph bei einem Grand-Slam-Turnier

Dass Zverev hohe Erwartungen mit diesem Duell verbindet, das eine Revanche gegen Ruud werden soll, ist nichts Neues. Schon als er 17 Jahre alt war, sprach alle Welt von seinem Potenzial, mit 21 gewann er die ATP-Finals, die als inoffizielle Weltmeisterschaft gelten, mit 24 wurde ihm die Olympiagoldmedaille um den Hals gehängt. Statistisch gesehen, ist er der Beste der Generation der nach 1990 geborenen Tennisprofis mit 22 ATP-Titeln. Erst vor zwei Wochen hat er das Masters-Turnier in Rom für sich entschieden, und auf Sandplätzen ist er, inklusive des 6:4, 7:6 (5), 6:4-Erfolgs gegen de Minaur am Mittwochabend, seit elf Matches in Serie ungeschlagen. Und dennoch klafft eine Lücke in seiner Biografie, es fehlt der Pokal eines der vier Grand-Slam-Turniere in Melbourne, Paris, Wimbledon und New York: „Es ist kein Geheimnis, dass ich eines von diesen Dingern gewinnen will“, hat er in Paris gesagt.

Es gab Tage, da entwickelte er einen fast an Besessenheit grenzenden Jagdtrieb nach einer der Großtrophäen: 2021 nach der Niederlage gegen Tsitsipas, als er erneut ein Finale verpasste, gab er bei der Pressekonferenz enttäuscht folgenden interessanten Satz zu Protokoll: „Halbfinals interessieren mich nicht sonderlich. Das mag seltsam oder, ich weiß nicht, arrogant klingen. Ich will nicht arrogant sein. Ich sage es nur so, wie es ist.“ Auf der großen Bühne zu stehen, reichte ihm nicht, wenn der große Preis, auf den die Scheinwerfer gerichtet waren, außer Reichweite blieb.

Casper Ruud hat zwar ebenfalls noch keinen Grand-Slam-Pokal gewonnen, stand aber schon dreimal im Finale. (Foto: Dimitar Dilkoff/AFP)

Das hat sich offenbar geändert. Mittwochnacht, vor einem weiteren Halbfinalversuch, blickte er mit kritischer Distanz zurück auf diese Phase seines unbändigen Willens: „Früher war ich mental einfach nicht bereit für Grand Slams“, sagte er: „Ich wurde oft nervös, ich konnte nicht mein bestens Tennis zeigen. Für mich waren Grand Slams die Turniere, die ich unbedingt gewinnen wollte. Ich hatte immer das Gefühl: Jetzt bin ich schon 21 Jahre alt und habe immer noch keinen gewonnen.“ Diese Nervosität habe sich mit der Zeit gelegt; vor allem die Phase nach seiner schweren Knöchelverletzung, die ihn fast ein Jahr lang pausieren ließ, habe ihn geduldiger werden lassen.

Er ist mit 27 nicht mehr der junge Herausforderer, sondern nun der älteste Tennisspieler im Quartett am Freitag. Das erste Halbfinale, das um 14.30 Uhr beginnt, machen zwei bereits hochdekorierte junge Champions unter sich aus: Australian-Open-Sieger Jannik Sinner aus Italien, 22, und der 21-jährige Wimbledonsieger Carlos Alcaraz. Zverev schlägt anschließend gegen den 25-jährigen Ruud auf. Der Norweger hat zwar ebenfalls noch keinen Grand-Slam-Pokal gewonnen, stand aber dreimal im Finale, zuletzt 2022 und 2023 in Paris, wo er nacheinander den Seriensiegern Rafael Nadal und Novak Djokovic unterlag.

Für Ruud spricht, dass er drei Tage vor dem Duell spielfrei hatte und kampflos weiterkam nach der Meniskusverletzung von Djokovic, der sein Viertelfinalgegner gewesen wäre. Zverev hat zwei lange Fünfsatzmatches und das frische Duell gegen de Minaur in den Knochen, fühlt sich aber fit. Der Prozess gegen ihn in Berlin wegen angeblicher Körperverletzung – er weist den Vorwurf zurück – belastet ihn nach eigenen Aussagen nicht.

Seine Chancen schätzt er womöglich realistischer ein als vor den vergangenen drei Versuchen. 2023 bei der Rückkehr nach der Verletzung sei er einfach nur „unfassbar glücklich“, aber bei Weitem noch kein Spieler in Bestform gewesen. „Deshalb hoffe ich, dass es diesmal anders wird.“ Wie das Resultat ausfällt, wenn der rote Pariser Sand durch das Stundenglas gerieselt ist, wird man dann Freitagabend wissen.

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