Tennis:Nur die Lederhose zwickt

BMW Open by FWU 2019 - Day 9

Zieht die Lederhosen an: Turnierdirektor Patrick Kühnen weist den Chilenen Cristian Garin in die Bräuche des Münchner Turniers ein.

(Foto: Alexander Hassenstein/Getty Images for BMW)

Zwei Titel 2019: In Cristian Garin hat Chile nach langer Zeit wieder ein Tennistalent für größere Turnier-Momente.

Max Ferstl

Die Probleme begannen für Cristian Garin nach dem Matchball. Er hatte gerade das Finale der BMW Open gewonnen, 6:1, 3:6, 7:6 (1) gegen den Italiener Matteo Berrettini. Er hatte den Pokal in die Luft gestemmt und in seiner Rede von einer "großartigen Woche" geschwärmt. Doch da wusste er noch nichts von dieser Lederhose, die jeder Sieger des Münchner Tennisturniers anziehen muss und behalten darf. Der Schotte Andy Murray machte 2015 eine passable Figur. Dessen Nachfolger Philipp Kohlschreiber wirkte als Augsburger ebenfalls nicht kulturgeschockt. Und Alexander Zverev, der in den vergangenen beiden Jahren gewann, kann ohnehin fast alles tragen.

Auf dem Center Court verschwand Garin also in einer improvisierten Umkleidekabine. Als er herauskam, wirkte er ungefähr so begeistert, als hätte man ihn in ein pinkfarbenes Kleid gesteckt. Schnell zog er sich wieder um. Die Lederhose sei zu klein gewesen, hieß es später, was direkt zur Lehre dieser Woche führt: Die Größe dieses Chilenen sollte man keinesfalls unterschätzen.

Cristian Garin, 22 Jahre jung, aus Santiago de Chile, gehört zu den aufstrebenden Spielern der Saison. Seit Montag steht er auf Platz 33 der Welt. Würden nächste Woche die French Open beginnen, wäre Garin gesetzt. Er hat vor wenigen Wochen in Houston sein erstes ATP-Turnier gewonnen, als erster Chilene seit Fernando Gonzalez in Vina del Mar 2009. Jetzt der Erfolg in München, bei dem Garin unter anderem den Titelverteidiger Alexander Zverev niederrang. "Ich habe sehr wichtige Matches für meine Karriere gespielt", sagte er.

Vor einem halben Jahr konnten nur sehr interessierte Beobachter des Tennisbetriebs mit seinem Namen etwas anfangen. Doch selbst diese dürften kaum mehr gewusst haben, als dass Garin im Juniorenfinale der French Open vor sechs Jahren den schon damals als hochbegabt geltenden Zverev besiegt hatte. Zverev stieg dann rasant in die Weltspitze auf, gewann die großen Turniere. Und Garin - steckte in den Niederungen der Weltrangliste fest.

So ergeht es vielen erfolgreichen Jugendspielern, die sich bei den Profis etablieren wollen. Sie reisen jede Woche zu den unterklassigen Challenger-Turnieren von Schymkent bis Savannah, um vor wenigen Zuschauern um wenig Preisgeld zu spielen. Es ist ein hartes Geschäft, nicht wenige scheitern. Noch vor einem Jahr war Garin die Nummer 212 der Welt.

Dass er gerade die beste Phase seiner Karriere erlebt, hat auch mit Andres Schneiter zu tun, seinem Trainer. Seit Wimbledon 2018 arbeiten die beiden zusammen. Schneiter, den Garin ob seiner blonden Haare "El Gringo" nennt, begleitet ihn fast das ganze Jahr. "Er ist großartig", sagte Garin. "Er weiß, was zu tun ist." Sie feilten an seinem Tennis. "Ich habe mein gesamtes Spiel verbessert." Die Rückhand sei sein bester Schlag. Glatt geschlagen schlitzt Garin mit ihr den Platz auf. Sein Spiel weist keine offensichtliche Schwäche auf. "Er spielt sehr aggressiv, versucht die Bälle früh zu nehmen", sagte Zverev.

Im Herbst 2018 gewann Garin drei Challenger-Turniere nacheinander, sein Ranking verbesserte sich. Dann, Ende Februar, der Durchbruch auf der ATP-Tour: Garin spielte sich in Sao Paulo ins Finale. Zwar verlor er, doch sein Spiel konnte auf dem hohen Niveau bestehen. Kurz darauf folgte in Houston der große Triumph. Als Garin nach München reiste und die Auslosung las, sah er die vielen hochkarätigen Gegner, die ihm im Weg stehen würden: Diego Schwartzman, ein Sandplatzspezialist, und Alexander Zverev, dessen Weg sich zum ersten Mal seit dem Juniorenfinale von Paris wieder mit Garins Pfad kreuzte. "Ich hatte nicht erwartet, das Turnier zu gewinnen", sagte der. Mit Zverev lieferte er sich das pointenreichste Match des Turniers. Im zweiten Satz vergab Garin drei Matchbälle, im dritten wehrte er selbst zwei ab. Einmal berührte sein Ball gerade so die Linie. "Der wichtigste Moment im Turnier", sagte Garin. Gerade in den engen Situationen gelingt ihm sein bestes Tennis. Bei seinem ersten Turniersieg in Houston hatte er in der zweiten Runde sogar fünf Matchbälle abgewehrt.

Chile, Heimat des früheren Weltbesten Marcelo Rios, hat nach langer Zeit wieder einen Tennisspieler für größere Momente. Nicolas Jarry, 23, auch aus Santiago, könnte ebenfalls so ein Spieler werden. Allerdings ist es nicht wirklich einfach, in Chile Profi zu sein. Für fast alle Turniere müsse er weit reisen, erzählte Garin in München. Und der chilenische Verband würde seine Spieler nur wenig unterstützen: "Meine Familie muss einen großen Beitrag leisten." Der Aufwand scheint sich auszuzahlen. 90 390 Euro Preisgeld bekam Garin für seinen Sieg in München, überdies noch einen Sportwagen - und natürlich die etwas zickige Lederhose. "Es war mein erstes Mal", sagte Garin. Es klang fast wie eine Entschuldigung.

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