Tennis:Nummer eins für eine Woche

Jan-Lennard Struff (GER) Tennis - BMW Open 2021 - ATP, Tennis Herren - MTTC Iphitos - Munich - - Germany - 1 May 2021. *

Lamentiert nie, macht sich nicht wichtig, spielt zuverlässig: Jan-Lennard Struff.

(Foto: Juergen Hasenkopf/imago)

Jan-Lennard Struff erreicht beim Münchner Turnier erstmals ein ATP-Finale, das er dann gegen den Georgier Nikolos Bassilaschwili verliert. Der 31-Jährige überzeugt trotzdem als deutsche Führungspersönlichkeit.

Von Gerald Kleffmann, München

170 Turniere auf ATP-Tour- und Grand-Slam-Ebene hatte Jan-Lennard Struff bestritten, oft genug in der Hoffnung, dass sein Tag kommen würde. Einmal im Finale stehen, "egal wo", war sein Ziel. Sieben Halbfinals erreichte er, nur weiter kam er eben nie. Doch bei den BMW Open, seinem 171. Turnier als Tennisprofi, klappte es. Im Achtelfinale wehrte Struff, die deutsche Nummer zwei, den Angriff der deutschen Nummer drei, Dominik Koepfer, ab, siegte nach 2:38 Stunden. Im Viertelfinale rang er Filip Krajinovic aus Serbien in 3:01 Stunden nieder. Im Halbfinale gab's dann einen Erfolg in zwei Sätzen gegen Ilja Iwaschka aus Belarus, der zuvor die deutsche Nummer eins Alexander Zverev ausgeschaltet hatte. Struff hatte sein erstes Finale erreicht, unter tristen Umständen: keine Zuschauer beim MTTC Iphitos erlaubt, Freundin und Söhnchen abgereist. Schade, oder? "Ne, ne, der Uwe ist hier, und dann ist gut", sagte Struff entspannt und bezog sich auf seinen Physiotherapeuten Uwe Liedtke. Am Sonntag verlor er das Endspiel gegen den starken Georgier Nikolos Bassilaschwili 4:6, 6:7 (5). Die Woche war dennoch ein Erfolg für ihn.

Der 31-Jährige aus Warstein hat sich, wie Michael Kohlmann, Head of Men's Tennis des Deutschen Tennis-Bundes (DTB), betont, "zu einer Führungsperson" entwickelt. Nicht nur, weil er zweimal das deutsche Davis-Cup-Team vor dem Abstieg gerettet hat und für Kohlmann ein Rundum-Sorglos-Paket darstellt: Struff lamentiert nie, macht sich nicht wichtig, spielt zuverlässig. Selbst als ihn ein juristischer Prozess belastete, da eine frühere Trainerin Geld von ihm einforderte (und eine sechsstellige Summe bekam), trat er nie nach. "Er nimmt eine absolute Vorbildfunktion ein", lobte Kohlmann, der in München wohlwollend registrierte, wie auch der Weltranglisten-44. Struff versuchte, Zverev zur Teilnahme am Davis Cup Ende des Jahres zu überreden.

Zverev lehnt das neue Format ab und lederte gegen Gerard Piqué, der ja mit einer Investorengruppe den Nationenwettbewerb übernahm: "Eine 120- oder 130-jährige Tennis-Historie kannst du nicht einfach mit Geld kaputtmachen", sagte der 24-Jährige, "vor allem nicht, wenn dann ein Fußballspieler reinkommt und sagt: So wird da jetzt gespielt." Struff sieht das anders, zumindest gibt er dem Format eine Chance. Generell könnten Zverev und Struff, die beiden deutschen Topprofis, kaum unterschiedlicher sein. Zverev übrigens ist auch Vater, seit März. Mit der Mutter der Tochter ist er nicht mehr zusammen.

Struff schwärmt von den Analysen des Tennisdaten-Experten Craig O'Shannessy

Natürlich ist Zverev der bessere Tennisspieler. 14 Titel errang er, ATP-Weltmeister wurde er, ist die Nummer sechs der Welt. Trotzdem lebt Struff ihm manches vor, das Zverev für sich in Erwägung ziehen könnte. Beide spielten ja in München gegen Iwaschka, da fiel zum Beispiel auf, wie akribisch sich Struff auf den Gegner vorbereitet hatte. Auch mit der Hilfe seines Trainers Carsten Arriens, mit dem er seit 2015 zusammenarbeitet und der großen Anteil an der Entwicklung Struffs hat: "Der Wechsel zu Carsten war schon ein sehr entscheidender Faktor, auf jeden Fall", sagt Struff. "Das war sehr wichtig, auch für meine Persönlichkeit abseits des Platzes."

Arriens gibt Linien vor, eröffnet Sichtweisen und Strategien, vermittelt mentale Aspekte, vor dem Halbfinale notfalls per achtminütiger Sprachnachricht übers Handy, wie Struff verriet. Zverev agierte indes konzeptlos, kaum dass es nicht lief. Insbesondere das Aufflammen seiner Aufschlagschwäche brachte zum Ausdruck, dass er Hilfe brauchen könnte. Vater Alexander ist zwar wie immer offiziell sein Trainer. Aber es ist kein Geheimnis, dass Zverev eine neue Autorität bräuchte, einen zweiten Trainer, den er oft genug hatte. Doch langfristig blieben weder Juan Carlos Ferrero, Ivan Lendl, noch David Ferrer, aus verschiedenen Gründen. Struff schwärmt auch von den Analysen des Tennisdaten-Experten Craig O'Shannessy, der schon dem Weltranglisten-Ersten Novak Djokovic half. Bei Zverev wirkt es so, als vertraue er am liebsten auf Talent, Training, Selbstvertrauen. Ging ja auch oft gut genug.

Zumindest in München tauschten sie für eine Woche die Rollen. Struff trat wie eine deutsche Nummer eins auf, in jeder Hinsicht. Als er im Halbfinale 0:3 zurücklag, blieb er ruhig und seiner aggressiven Linie treu. Als Zverev unsicherer wurde, zog er sich weit hinter die Grundlinie zurück, in seine "Wohlfühlzone", wie Boris Becker vor Jahren monierte. Einmal wagte Zverev Serve&Volley, planlos schoss er ans Netz, was komplett schiefging. "Ich muss anfangen, besser zu spielen", sagte er, ehe er sich auf den Weg nach Madrid machte: "Ich muss momentan mehr auf mich schauen." Seine Ellbogenverletzung immerhin hat er weitgehend überstanden.

Struff konnte mit der Finalniederlage leben, Bassilaschwili ist auf Sand eine Macht, zweimal siegte er in Hamburg, nun in München. "Es war trotzdem eine gute Woche", sagte Struff. Ein bisschen wehmütig sah er aber zu, wie dem 29-Jährigen aus Tiflis das Sieger-Auto übergeben wurde.

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