Tennis: Niki Pilic:"Ich musste viel lügen"

Niki Pilic über legendäre Matches im Davis Cup, das problematische Verhältnis zwischen Boris Becker und Michael Stich und seine Erfolge als Teamchef von Deutschland, Kroatien und Serbien.

René Hofmann

Nikola, genannt Niki Pilic hat viele aufregende Situationen erlebt, aber diese Tage sind selbst für ihn außergewöhnlich. Die Tennisakademie, die in Oberschleißheim bei München unter seinem Namen betrieben wurde, hat Insolvenz angemeldet. Der 71-Jährige sucht einen neuen Geschäftspartner. Zudem steht am Wochenende das Finale im Davis Cup an: In Belgrad trifft Serbien auf Frankreich.

Boris Becker Niki Pilic

Erfolgreiche, aber schwierige Zusammenarbeit: Niki Pilic und Boris Becker.

(Foto: Imago)

Für Pilic ist das eine besondere Begegnung, denn der Kroate ist Berater des serbischen Teams. Viermal hat Pilic den Wettbewerb bereits gewonnen: 1988, 1989 und 1993 mit Deutschland, 2005 mit Kroatien. Nun könnte ihm etwas Einmaliges gelingen: Siege mit drei Nationen - das hat noch niemand geschafft.

SZ: Herr Pilic, welche Bedeutung hat das Finale - für Serbien und für Sie?

Pilic: Für mich ist es sehr wichtig. Und für Serbien ist es die bedeutendste Tennispartie der Landesgeschichte. 17.000 Menschen passen in die Halle. Die Schlange beim Kartenvorverkauf war einen Kilometer lang.

SZ: Die Partie hat auch eine politische Dimension: Sie als Kroate führen die Serben an. Wie kam es dazu?

Pilic: Novak Djokovic wollte unbedingt, dass ich komme. Ich kenne ihn schon lange. Als er 13 Jahre alt war, kam er in meine Akademie, und er blieb, bis er 17 war. Vor drei Jahren hat er mich gefragt, ob ich dem Davis-Cup-Team helfen würde. Das war beim Mittagessen. Abends habe ich zugesagt. Hätte ein Offizieller gefragt, hätte ich länger überlegt.

SZ: Politisch ist die Mission heikel.

Pilic: Politisch ja, aber ich bin Sportler. Ich kenne keine Grenzen. Bevor ich die deutsche Davis-Cup-Mannschaft übernommen habe, hatte ich 20 Jahre lang für Jugoslawien gespielt. 1990 trafen die beiden Teams in Dortmund aufeinander. Obwohl ich Teamchef der Deutschen war, ließ ich Goran Ivanisevic, der ja für die Gegner spielte, bei mir wohnen. Auch damals wurde ich schon gefragt: Wie geht das? Für wen sind Sie eigentlich? Ich habe geantwortet: Das ist keine gute Frage, natürlich bin ich für Deutschland. Ich sehe mich als Profi: Wenn ich einen Job annehme, dann mache ich, was dafür nötig ist, zu hundert Prozent. Das komische Gefühl, wenn eine Hymne gespielt wird, die man gut kennt, geht schnell vorbei.

SZ: In Split, wo die Serben im Juli im Viertelfinale 4:1 gegen die Kroaten gewannen, sind Sie allerdings nicht gewesen. Warum?

Pilic: Ich komme aus Split, das ist immer meine Stadt gewesen. Und dort gibt es leider viele komische junge Nationalisten. Denen wollte ich nicht begegnen.

SZ: Gab es Anfeindungen?

Pilic: Das Medien-Echo war überraschend positiv. Und der Präsident des Nationalen Olympischen Komitees von Kroatien, den ich gefragt habe, bevor ich das Amt in Serbien antrat, hat nur gesagt: Niki, mach' was du denkst! Ich denke: Politik ist für Politiker. Sport ist für Sportler.

SZ: Als Sie das kroatische Team übernommen haben, war es viertklassig.

Pilic: ...es spielte in der Europa- Afrika-Zone gegen die Elfenbeinküste.

SZ: Die Serben waren zweitklassig, als Sie kamen. Was haben Sie geändert?

Pilic: Ich habe klare Regeln aufgestellt. Zum Team gehören acht oder neun Leute, nicht mehr. Im Hotel bewohnen wir eine Etage, die sonst niemand betreten darf. Das Gleiche gilt für die Umkleide. Es geht zwar nicht zu wie beim Militär, aber die Köche wissen, dass das Essen um Punkt zwölf Uhr auf dem Tisch zu stehen hat. Und die Spieler wissen, dass sie am Abend zu einer bestimmten Zeit im Zimmer zu sein haben. Das müssen alle akzeptieren. Die eigentliche Kunst aber ist, die Mannschaft in eine Stimmung zu bringen, in der jeder auf den Platz geht und kämpft wie ein Tier.

SZ: Wie geht das?

Pilic: Ich versuche den Spielern von morgens bis abends klar zu machen, was es bedeutet, für sein Land zu spielen. In Wimbledon, in Roland Garros, bei den US Open kannst du ein Champion werden. Um aber ein Held zu werden, musst du den Davis Cup gewinnen. Beim Fußball ist das ja auch so: Wenn der FC Bayern die Champions League gewinnt, jubeln 15 Millionen. Wenn Deutschland Weltmeister wird, jubeln 80 Millionen.

Niki Pilic über die größten Erfolge

SZ: Was war für Sie der größte Erfolg?

Tennis: Niki Pilic: Erfolg mit Kroatien: Niki Pilic (Mitte) mit den Spielern Goran Ivanisevic (links) und Mario Ancic.

Erfolg mit Kroatien: Niki Pilic (Mitte) mit den Spielern Goran Ivanisevic (links) und Mario Ancic.

(Foto: AFP)

Pilic: Der erste Sieg mit Deutschland 1988 in Göteborg war etwas Besonderes, weil wir Außenseiter waren. Mats Wilander war die Nummer eins der Welt, Stefan Edberg stand an Position drei oder vier. Und dann war die Partie schon nach dem Doppel für uns entschieden und die mitgereisten 1600 deutschen Fans schwenkten alle kleine Fähnchen. Göteborg war in dem Moment eine deutsche Stadt.

SZ: Der Sieg 1993 in Düsseldorf gegen Australien.

Pilic: ...war auch ein besonderer. Weil wir ihn ohne Boris Boris Becker geschafft haben.

SZ: Becker und Michael Stich mochten einander nicht besonders. Wie sehr waren Sie zwischen ihnen Vermittler?

Pilic: Mal mehr, mal weniger. Es gab Momente, in denen war ihr Verhältnis okay. Und es gab andere Momente. Wenn Becker beispielsweise vom "Spieler Stich" gesprochen hat, war das nicht einfach. 1992 haben die beiden bei Olympia in Barcelona im Doppel Gold gewonnen. Aber gesprochen haben sie nicht miteinander. Das musste ich erledigen. Ich bin zwischen den Zimmern hin- und hergependelt - und ich musste viel lügen.

SZ: Um wie viel einfacher wird das Kapitänsamt, wenn es eine klare Nummer eins im Team gibt?

Pilic: Es hilft. Eine Nummer eins ist wie eine Wirbelsäule - du kannst die Mannschaft um sie herum bauen. Aber vielleicht geht es dann zwischen der Nummer zwei und der Nummer drei eng zu - und du musst entscheiden, wer spielt. Davis-Cup-Matches sind nie leicht, weil sie unberechenbar sind.

SZ: Ein Beispiel, bitte.

Pilic: 1987, erste Runde gegen Spanien in Barcelona - Becker verliert das entscheidende letzte Einzel gegen Sergio Casal. Und wieso verlor er? Weil die Spanier mit platten Bällen spielen ließen! In Monte Carlo hatte Becker zuvor mit Dunlop-Bällen unglaublich gespielt. Die gleichen Bälle sollten auch im Davis Cup zum Einsatz kommen, das hatte ich schriftlich. Als ich den Schwindel bemerkte, bat mich Claus Stauder, der Präsident des Deutschen Tennis-Bundes: ,Herr Pilic, bitte keinen Skandal!'

SZ: So kam es in der Relegationsrunde in Hartford zu dem epischen Duell mit den USA.

Pilic: Die beiden wohl stärksten Mannschaften spielen gegen den Abstieg aus der Weltgruppe - das war ein unmenschlicher Druck. Das erste Match, Eric Jelens Sieg gegen Tim Mayotte, dauerte vier Stunden und 50 Minuten. Danach rang Becker in sechs Stunden und 35 Minuten John McEnroe nieder. Mehr als elf Stunden Tennis - an einem Tag. Am Ende haben wir denkbar knapp 3:2 gewonnen.

SZ: Nicht Ihre einzige denkwürdige Begegnung mit den USA.

Pilic: Von sieben Spielen gegen die USA habe ich nur eines verloren: 1991 mit Deutschland in Kansas City. Ansonsten habe ich immer gewonnen: Dreimal mit den Deutschen, einmal mit den Serben und zweimal mit den Kroaten, wobei dem Erstrunden-Erfolg mit den Kroaten im Jahr 2005 eine besondere Bedeutung zukam. Als wird damals in Los Angeles landeten, war auf allen Titelseiten vom amerikanischen Dreamteam die Rede: Andre Agassi und Andy Roddick, dazu die Bryan-Brüder, das weltbeste Doppel. In 106 Jahren hatten die USA zu Hause keine Erstrunden-Partie verloren. In dieser Atmosphäre 3:2 zu gewinnen - das war ein unglaublich inspirierendes Erlebnis für die Mannschaft. Und einer der Gründe, warum sie in dem Jahr den Cup gewonnen hat.

SZ: Welche Bedeutung hatte der Erfolg für das junge Land?

Pilic: Auf dem Platz der Republik in Zagreb empfingen 80.000 Menschen die Mannschaft. Ich war aber nicht dabei. Ich bin nach München gefahren, meine Tochter hatte Geburtstag. Für mich ist es genug, gewonnen zu haben. Ich muss nicht auch noch eine Rede halten.

SZ: Auf welche Davis-Cup-Bilanz sind Sie besonders stolz?

Pilic: Da gibt es einige. Mit Deutschland habe ich elf Jahre lang zu Hause kein Match verloren. Und Ivan Ljubicic hätte 2005 unter mir fast einen Rekord aufgestellt: Wenn er im Finale keine Nackenprobleme und deshalb zwei große Spritzen bekommen hätte, wäre er wohl in der gesamten Davis- Cup-Saison ungeschlagen geblieben. Aber ich bin auch stolz darauf, dass ich, bis ich 46 Jahre alt war, im Training mithalten konnte. Boris Becker war der erste, der mich da bezwungen hat, 1985, nach seinem Wimbledon-Sieg.

SZ: Wie lange haben Sie professionell gespielt?

Pilic: Mit 39 Jahren bin ich noch in Wimbledon angetreten. Und bei den Senioren habe ich mit 57 ein 100.000-Dollar-Turnier gewonnen. Danach hat meine Frau gesagt: Jetzt ist es genug! Ich hatte einen Vorteil: Ich habe spät angefangen, gut zu werden.

SZ: Wie kam das?

Pilic: Ich hatte lange keinen Trainer. Auf dem Platz in Split, auf dem ich angefangen habe, gab es keinen.

SZ: Wie sind Sie dann überhaupt zum Tennis gekommen?

Pilic: Als ich 13 war, hat mein Vater ein altes Fahrrad gekauft. Mit dem bin ich losgefahren. Ein paar Kilometer von unserer Wohnung entfernt gab es einen Tennisplatz. Dort hat ein Schulkamerad gespielt, der ganz wild aufs Fahrradfahren war. Als er mich gesehen hat, hat er gerufen: ,Hey Niki, komm wir tauschen!' Ich habe ihm für eine Stunde das Fahrrad geliehen und er mir seinen Schläger. Der Junge, gegen den er gespielt hat, war vermutlich nicht besonders gut. Auf jeden Fall habe ich gewonnen. Das hat mir Spaß gemacht. So ging es los. Um mir einen eigenen Schläger kaufen zu können, habe ich anschließend sechs Monate lang Geld bei meiner Mutter abgezweigt. Das reichte für einen elf Jahre alten Schläger, einen Maxima aus Italien.

"Manchmal tut der Rücken weh"

SZ: Wie viel Geld haben Sie später als Davis-Cup-Spieler verdient?

Pilic: Keines. Ich habe bei jeder Partie ungefähr 500 Dollar draufgelegt.

SZ: Wieso das?

Pilic: Der jugoslawische Verband war arm. Er hat uns die Reise und das Hotel bezahlt. Fürs Essen gab es jeden Tag fünf Dollar. Das reichte nie.

SZ: Als der Deutsche Tennis-Bund Sie engagierte, haben Sie hoffentlich besser verhandelt.

Pilic: Ich habe gar nicht verhandelt. Der Lohn oder die Arbeitszeiten haben mich nicht interessiert. Ich habe nur eine Bedingungen gestellt: Wenn ich die Mannschaft trainiere, dann nominiere ich auch. Dafür gab es im DTB vorher eine Kommission.

SZ: Ihr Engagement beim Deutschen Tennis-Bund endete wenig versöhnlich. Ausgerechnet einer ihrer Zöglinge drängte Sie aus dem Amt: Becker. Mit wie viel Genugtuung haben Sie sein Scheitern als Teamchef verfolgt?

Pilic: Es war klar, dass er in der Rolle scheitern würde. Ich habe mich gewundert, dass er sie unbedingt haben wollte. Mit seinem Namen konnte er nicht in die zweite Reihe treten - und er wollte das auch gar nicht.

SZ: Wie verfolgen Sie das deutsche Tennis heute?

Pilic: Mit Patrik Kühnen rede ich oft. Ich denke, er macht seine Sache als Davis-Cup-Chef ganz gut. Die Mannschaft ist solide, aber nicht herausragend. Wie soll er mit ihr in Spanien oder in Frankreich gewinnen?

SZ: 2011 trifft Deutschland in der ersten Runde auf Kroatien. Was tippen Sie?

Pilic: Die Chancen stehen ganz gut. Die Kroaten sind nicht mehr so stark wie vor fünf Jahren.

SZ: Wie geht es bei Ihnen nach dem Finale weiter?

Pilic: Ich habe noch nicht darüber nachgedacht.

SZ: Kein Gedanke an Ruhestand?

Pilic: Nein. Ich spiele jeden Tag noch gerne Tennis. Manchmal tut mir zwar am Abend der Rücken weh oder der Arm. Aber meistens bin ich einfach froh, wenn ich müde bin, weil ich etwas getan habe.

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