Kurz vor Saisonbeginn erreicht man Karl-Heinz Kas im Schwimmbad. Sei ihm gegönnt, der Mann ist schließlich 67 und im Ruhestand. Wobei das so natürlich überhaupt nicht stimmt. Wie sollte einer wie Kas es denn in diesem Ruhestand aushalten? Man muss nur mal kurz den Namen Jule Niemeier, die sein Sohn Christopher gerade in Wimbledon betreut, ins Handy rufen, und schon legt er los, der ewige Reporter: "Ja, das läuft super. Gerade spielt sie Doppel mit der Petko, ich schau so a bissl nebenher. Den ersten hamm's im Tiebreak gewonnen, den zweiten verloren, im dritten sann's wieder vorn..." - und sie gewannen. So viel zum Thema Ruhestand. Auch am Sonntag wird er wieder ein Mikro in der Hand halten: Bundesliga-Saisonauftakt des TC Großhesselohe, Heimspiel-Derby gegen Rosenheim (Spielbeginn: 11 Uhr), moderiert von Stadionsprecher Kas. "Natürlich bin ich dabei!", ruft er ins Handy, "das ist wie beim Biathlon in Ruhpolding: ohne mich keine Stimmung."
Sein Sohn Christopher dagegen wird passen müssen. Eigentlich selbstverständlich, dass der sportliche Leiter der Bundesligamannschaft am ersten Spieltag an Bord ist, doch wenn die große, weite Tenniswelt in Form von Wimbledon ruft, dann wird es schwierig. Und weil Niemeier, die Kas junior seit drei Monaten sporadisch betreut, ihren Lauf auf dem Londoner Rasen fortgesetzt hat, muss Kas sein Team wohl aus der Ferne aufstellen. In Wimbledon lief für Großhesselohe vieles wie gewünscht: frühe Niederlagen der Protagonisten. Der Argentinier Francisco Cerundolo, Nummer 41 der Welt? Raus in Runde eins gegen Rafael Nadal. Arthur Rinderknech aus Frankreich, Nummer 62 der Welt? Raus in Runde eins gegen Denis Shapovalov. Der Finne Emil Ruusuvuori, Nummer 49 der Welt? Raus in Runde zwei gegen Botic van de Zandschulp. Der Argentinier Federico Coria, Nummer 67 der Welt: Raus in Runde eins gegen Jiri Vesely. Jiri Lehecka aus Tschechien, Nummer 72 der Welt: raus in Runde eins gegen Filip Krajinovic. Kamil Majchrzak, polnische Nummer 91 der Welt: raus in Runde eins gegen Thanasi Kokkinakis. Für die deutschen Spieler beim TCG lief es nicht besser: Peter Gojowczyk, Nummer 92 der Welt: raus in Runde eins gegen Oscar Otte. Jan-Lennard Struff, Nummer 155 der Welt: raus in Runde eins gegen Carlos Alcaraz. Philipp Kohlschreiber, Nummer 231 der Welt: raus in der Qualifikation. Wohl keiner von den Top Ten der Bundesliga-Mannschaft wird beim Derby gegen Rosenheim wegen Wimbledon fehlen.
Alle Top-Spieler sind in Wimbledon früh ausgeschieden, in die Karten schauen will man sich aber nicht
Nur der an sieben gesetzte Franzose Jeremy Chardy war nicht in England - der 35-Jährige peilt nach langer Covid-Erkrankung ein Comeback an. Ob das in München sein wird, ist offen, wie man sich auch sonst nicht in die Karten schauen lassen will. Nur der Einsatz des frisch aus der ATP-Tour ausgestiegenen Philip Kohlschreiber ist bestätigt.
Acht Top-100-Weltranglistenspieler, fünf Neuzugänge, neben den Shootings-Stars Rinderknech und Lehecka noch der Slovake Jozef Kovalik (ATP 220), der Pole Kacper Zuk (ATP 271) und Doppelspezialist Jan Zielinski: Großhesselohe hat offenbar einiges vor. Erstmals wurden zudem zwei TCG-Talente in der Bundesliga-Mannschaft gemeldet: Der 16-jährige Nicolas Pfennig und der noch zwei Jahre jüngere Lovis Bertermann nehmen die Positionen 17 und 18 ein. Ein alter Bekannter fehlt dagegen: Florian Mayer hat sich dem Bayernligisten TC Grün-Weiß Bayreuth in seiner alten Heimat angeschlossen. Das Trio Rudi Molleker, Jürgen Melzer und Lucas Miedler wurde von Bundesliga-Aufsteiger Essen abgeworben.
Im dritten Jahr seiner Zugehörigkeit zur Eliteliga seit dem Aufstieg 2018 will sich der deutsche Vizemeister von 1986 und 1987 nach Platz drei im Vorjahr noch mal verbessern. "Wir wollen den TCG weiter als eines der Spitzenteams der deutschen Eliteliga etablieren", sagt TCG-Bundesligachef Bernard Eßmann in Sachen Saisonziel, "wegweisend wird ein guter Start sein. Mit Rosenheim haben wir gleich ein starkes Team direkt am Anfang. Ein erfolgreicher Auftakt gegen einen Mitfavoriten wäre wichtig."
Mit den Gästen, die heuer ohne einen einzigen deutschen Spieler und wieder unter dem etwas sperrigen Teamnamen TSV 1860 Rosenheimer Unterstützungskasse in ihre zweite Erstligasaison gehen, haben es die Ergebnisse aus Wimbledon nicht ganz so gut gemeint. Der an eins gesetzte Ex-Großhesseloher Nikolos Bassilaschwili verpasste zwar mit einer Dreisatzniederlage am Freitag den Einzug ins Achtelfinale - es ist dennoch unwahrscheinlich, dass der Georgier am Sonntag schon wieder auf Sand spielt. Immerhin sind Rosenheims Nummer zwei und drei, der Slowene Aljaz Bedene und der Slovake Norbert Gombos, in London jeweils in Runde eins ausgeschieden und dürften bereit sein fürs Derby. Und dass es ein stimmungsvolles Match wird, dafür wird der Mann aus dem Schwimmbad schon sorgen.