Süddeutsche Zeitung

Tennisprofi Naomi Osaka:Sie redet nicht mehr

Ihr Tennis, aber auch ihre Botschaften haben Naomi Osaka populär gemacht. Nun will sie keine Pressekonferenzen mehr geben, um ihre mentale Gesundheit zu schützen. Es geht um die Kehrseite der Aufmerksamkeit, die viele Athleten beschäftigt.

Kommentar von Barbara Klimke

Noch vor dem ersten Aufschlag bei den French Open in Paris ist ein Verlust zu beklagen. Vermisst wird Naomi Osaka. Nicht die Tennisspielerin Naomi Osaka, eine viermalige Grand-Slam-Siegerin, die sich in der Auftaktrunde des Sandplatzklassikers am Bois de Boulogne programmgemäß mit ihrer Gegnerin, der Rumänin Patricia Maria Tig, mit Filzbällen duellieren wird. Sondern die Analytikerin Naomi Osaka, eine der scharfsinnigsten und feinfühligsten Deuterinnen des Tennissports, der die interessierte Öffentlichkeit seltene Einblicke in das Seelenleben von Berufsathleten verdankt.

Osaka hat einmal in Wimbledon bekanntgemacht, was ein Aufstieg zur "Nummer 1" der Tenniswelt bedeuten kann: nicht Befreiung, sondern Bürde, wenn damit die Angst verbunden ist, sich fortan bei jedem verschlagenen Ball eine Blöße zu geben. Bei anderer Gelegenheit erklärte sie, wie frühe Triumphe den Alterungsprozess beschleunigen: weil jugendliche Unbekümmertheit verloren ginge. Naomi Osaka, 23, hat in Pressekonferenzen nie einfache Antworten auf die komplexen Zusammenhänge ihres Lebens zwischen den weißen Linien geben. Das ist vorerst vorbei. Sie redet nun nicht mehr.

Für die Dauer der French Open hat sie einen privaten Medienboykott verhängt. Keine Interviews, keine Anwesenheit bei den obligatorischen Pressekonferenzen; teils dem Überdruss geschuldet, teils um ein Zeichen für mentale Gesundheit zu setzen. Zu oft, so teilte sie mit, habe sie dieselben Fragen gehört; zu oft "fehlende Rücksicht auf die psychische Verfassung der Athleten" gespürt. Das ständige Nachhaken könne eine Spirale der Selbstzweifel auslösen.

Bei unsensiblen Fragen ist jeder schon einmal zusammengezuckt

Es ist nicht schwer, Verständnis für diese Nöte aufzubringen: Tennisspieler sind Solisten, keine Mannschaftssportler, und nach einer Niederlage die einsamsten Menschen auf dem Court. Und wer mag sich nach einer Watschn auf dem Platz schon gern, eine Etage höher, der womöglich nächsten Watschn im vollbesetzten Konferenzraum stellen? Bei unsensiblen Fragen ist jeder schon einmal zusammengezuckt, der je dabei gewesen ist.

Die Japanerin Naomi Osaka, aufgewachsen in den USA, hat ihre Rolle als eine der beliebtesten Sportlerinnen zuletzt zunehmend gesellschaftlich interpretiert. Dem Appell für mehr Sensibilität beim Thema mentale Gesundheit ging im Herbst bei den US Open ein stiller Protest gegen Polizeigewalt voraus: Zu jedem Match trug sie eine Maske mit dem Namen eines Opfers - eine Aktion, die weltweit Beachtung fand. So wächst der Bekanntheitsgrad auch durch die Berichterstattung über ihre Botschaften, für die sie nicht selten ihre eigenen Plattformen nutzt.

Dieser mediale Kreislauf hat sie zur höchstbezahlten Sportlerin aufsteigen lassen. Die Kehrseite ist jene Kommunikationsflut, die viele Athleten kennen: hier die traditionellen Medien, dort die digitalen, dazwischen der gestresste Mensch. Pressekonferenzen verlaufen nach dem alten, analogen Muster mit Frage und Antwort, Rede und Gegenrede, von Angesicht zu Angesicht; die offene Konfrontation kann anstrengend wirken. Dies wird zunehmend als überflüssig empfunden, wenn sich zur Übermittlung von persönlichen Botschaften auch private soziale Kanäle nutzen lassen, die im Vergleich wie ein digitaler Schutzraum erscheinen. Weil man sie auch abschalten kann.

Es hat immer diverse Möglichkeiten gegeben, mit Pressekonferenzen umzugehen. Durch Einsilbigkeit, Schweigen - oder durch routiniertes Konversationsgeschick. Die drei großen Tennisspieler Rafael Nadal, Roger Federer und Novak Djokovic bringen es darin zur Meisterschaft. So zeigte Djokovic auch kaum Verständnis für Osakas Boykott: Pressearbeit, sagte er, sei "Teil unseres Sports und Lebens auf der Tour". Wenige jedoch haben derart oft Einblick in ihre Seele, in ihre Vulnerabilität gestattet. Naomi Osaka ist frei zu entscheiden, ob sie reden mag oder nicht. Die Strafe für das Schwänzen der Medientermine zahlt sie gern. Sie hoffe, sagte sie, das Geld komme einer Stiftung für mentale Gesundheit zugute.

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