Alexander Zverev:Er drängt mit aller Macht in den Platz hinein

ATP Finals

Harter Aufschlag: Alexander Zverev scheint rechtzeitig zum Saisonfinale seine Bestform wiedergefunden zu haben.

(Foto: Action Images via Reuters)
  • Alexander Zverev startet mit einem Sieg über Rafael Nadal in die Mission Titelverteidigung beim Saisonfinale der ATP.
  • Nach einer schwierigen Saison hat er nicht nur privat und beruflich längst wieder Klarheit geschaffen, Zverev orientiert sich in seinem Spiel deutlich mehr in den Platz hinein.
  • In London dankte er Nadal und Roger Federer, die ihm beim Laver Cup wertvolle Ratschläge gegeben hatten.

Von Gerald Kleffmann

Ein Fan von Alexander Zverev ließ es sich nicht nehmen, noch in der Nacht auf Montag eine Videosequenz bei Twitter zu veröffentlichen. In den 34 Sekunden waren zwei Ballwechsel zu sehen, beide gewann der Deutsche mit jeweils einem krachenden Vorhandschlag die Linie entlang, wie es im Tennis heißt. Bei dem zweiten Punktgewinn riss er den Mund derart auf, als wolle er einen Braten auf einmal verschlucken. "Power Mode On", schrieb der Anhänger des Titelverteidigers im Internet als Überschrift dazu, und dieser Einschätzung konnte man tatsächlich Gewicht beimessen, auch wenn man dem Verfasser höchste Parteilichkeit unterstellen musste. Es war ja Alexander Zverev, der sich an den Fertigkeiten von Alexander Zverev erfreute.

Zverev, 22, hat eine skurrile Saison hinter sich, weil er sich zunächst lange selbst in einer Krise wähnte und genau so von der Öffentlichkeit behandelt wurde, ehe er sportlich zu überzeugen begann. Erst auf den letzten Drücker war er ins Feld des pompösen Abschlusses der ATP-Tour 2019 gerückt, eine für ihn durchaus auch emotional wichtige Qualifikation: Das Event der besten acht Profis hatte er vor zwölf Monaten höchstselbst gewonnen, als erster Deutscher seit 1995.

Damals hatte Boris Becker bei der Veranstaltung der besten acht Profis im Finale gegen Michael Chang gesiegt. Nun also ist Zverev gleich erfolgreich in die Mission Titelverteidigung gestartet, und für ihn gab es verschiedene Arten, den 6:2, 6:4-Erfolg im ersten Match der Gruppenphase zu deuten.

Von Boris Becker musste er sich sagen lassen, sein Spiel sei "zu eindimensional" geworden

Option 1: Sein Gegner hatte erst kürzlich eine Bauchmuskelverletzung überstanden und war bis zuletzt nicht sicher über einen Einsatz gewesen. Überbewerten musste Zverev den Sieg also nicht. Option 2: Oder doch? Sein Gegner war ja eindeutig nicht Max Mustermann, sondern Rafael Nadal gewesen, neben Roger Federer die zweite Galionsfigur des Tennissports. Überdies: Der Spanier selbst, inzwischen bei 19 Grand-Slam-Titeln angelangt, wollte keine Entschuldigung für seine mäßige Leistung gelten lassen. Und da war ja auch der Fakt, dass Zverev zuvor Nadal noch nie besiegt hatte. Option 3: Zverev konnte sich an seinem Premierenerfolg und besonders an der Qualität der eigenen Darbietung erfreuen. Zverev wählte diese Variante der Interpretation, eine gute Entscheidung.

Dass er nun wieder "aggressiv" Tennis spiele, so zitierte ihn die ATP-Homepage, sei der Grund, warum er nun "alle drei Jungs auf diesem Platz geschlagen habe". 2018 hatte Zverev in London im Halbfinale Federer und im Finale Novak Djokovic besiegt. Damals bestach er mit einem harten ersten Aufschlag und effizientem Powertennis, das ihm dann aber abhandenkam. Sein Grundniveau verhalf ihm zu Erfolgen, er holte den Titel in Genf, er kam bei den French Open ins Viertelfinale. Aber erstmals stagnierte er. Statt den nächsten Schritt nach vorne zu machen, musste sich Zverev von seinem Mentor Boris Becker sagen lassen, sein Spiel sei "zu eindimensional", "zu lesbar" geworden; er müsse sich weiterentwickeln. Vor allem an der allzu defensiven Position hinter der Grundlinie störte sich Becker, und tatsächlich hatte Zverev oft so weit weg vom Geschehen gestanden, als wolle er sich bereits einen guten Platz im Turnierrestaurant sichern.

Natürlich durfte Zverev in seinem Alter auch private Probleme oder die Turbulenzen mit seinem früheren Manager Patricio Apey sowie seinem früheren Trainer Ivan Lendl als belastende Faktoren geltend machen. Doch allein die zweite Saisonhälfte hat gezeigt, dass seine strategische Ausrichtung auf dem Platz zu lange die falsche war, beziehungsweise dass er durch sein gesunkenes Selbstvertrauen sich eben zu sehr versteckte in den Ballwechseln. Auch seine Phase, als er haufenweise Doppelfehler fabrizierte, drückte seine innere Dysbalance aus. Nicht nur privat (wieder liiert mit der Freundin) und beruflich (nun ist Federers Agent Tony Godsick sein Manager) hat Zverev längst wieder Klarheit geschaffen, er orientiert sich deutlich mehr in den Platz hinein. 28 Gewinnschläge und 30 von 34 gewonnenen Punkten nach dem ersten Aufschlag dokumentierten auch statistisch seine wiedergewonnene Präsenz.

In London erinnerte sich Zverev (am Mittwoch, 21 Uhr/Sky, gegen Stefanos Tsitsipas) an einen der Wendepunkte seiner Saison. Besonders dankte er Nadal und Federer, die ihn beim Laver Cup, dem Show-Mannschaftsevent von Federer, gecoacht und ihm wertvolle Ratschläge gegeben hatten: "Das half mir sehr." Wenn man so will, hat Nadal jetzt in London die Quittung für seine Hilfsbereitschaft bekommen.

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