Tennis:"Mental ist es eine extreme Situation"

Tennistrainer Dieter Kindlmann über das streng geregelte Leben in der Blase beim Grand-Slam-Turnier in New York.

Von Gerald Kleffmann

Dieter Kindlmann hat den Sommer über in seiner Heimat im Allgäu verbracht. Aufgrund der Pandemie war der Turnierbetrieb der Frauentour (WTA) zum Erliegen gekommen. Auch mit seiner damaligen Spielerin Angelique Kerber konnte der 38 Jahre alte Tenniscoach aufgrund der Reisebeschränkungen nicht trainieren. Nach der Trennung der beiden Ende Juli erhielt Kindlmann, der drei Jahre als Hitting Partner für Maria Scharapowa sowie als Coach für Spielerinnen wie Anastasia Pawljutschenkowa, Madison Keys und Elise Mertens gearbeitet hat, das nächste Angebot - und ist nun von Oberstaufen nach New York gereist, um bei den US Open die Weltranglisten-Elfte Aryna Sabalenka aus Weißrussland zu betreuen.

SZ: Herr Kindlmann, es heißt ja immer, die US Open finden in einer Blase statt. Wie sieht dieses Leben darin konkret aus?

Dieter Kindlmann: Ich bin vor zwei Wochen in New York angekommen. Vom Flughafen ging es direkt zum Hotel auf Long Island, wo alle Spieler wohnen, bis auf ein paar wie Novak Djokovic, der sich ja eine Privatwohnung nahm. Mit Betreten des Hotels habe ich offiziell die Blase betreten. Man musste zunächst einen ersten Corona-Test in einem Raum machen. Danach erhielt man ein blaues Bändchen fürs Handgelenk. Man wurde aufs Zimmer gebracht und musste warten, bis das Ergebnis per SMS übermittelt wurde.

Durfte man in der Zwischenzeit aus dem Zimmer?

Nein, erst als das negative Ergebnis einem zugesandt wurde, durfte man zur Lobby hinunter. Dort erhielt ich die Akkreditierung. Mit dieser kann ich mich frei bewegen, sie ist auch das Zeichen, das ich negativ bin. Trotzdem müssen wir überall die Maske tragen, auch im Hotel, auf den Fluren oder wenn man in den Fahrstuhl steigt. Das ganze Hotel ist abgeriegelt. Man wird alle vier Tage getestet, das Ganze läuft stets über ein SMS-Verfahren ab.

Klingt wie eingesperrt.

So ist es ja auch, aber natürlich geht es um die Sicherheit aller. Überall ist Security, an diesen Anblick muss man sich gewöhnen. Die Regeln sind streng, man merkt, wie viel Mühe sich die USTA (amerikanischer Tennis-Verband, Anm. d. Red.) gibt. Wir bewegen uns ja nur zwischen Hotel und Anlage. Normalerweise würden wir zwischendurch auch mal in Manhattan etwas essen gehen. Diesmal kriege ich von New York als Stadt genau so viel mit, als wäre ich noch im Allgäu: nichts. Aber die USTA versucht, uns den Aufenthalt erträglich zu machen.

Precautions ahead of the US Open 2020, amid the spread of the coronavirus disease (COVID-19), in New York

Deutlicher Hinweis: Schilder erinnern die Profis bei den US Open, an die Hygienemaßnahmen zu denken.

(Foto: Amy Tennery/Reuters)

Inwiefern?

Wer Lust hat, kann ein bisschen zocken. Es gibt Golf-Simulatoren, einen Playstation-Raum. In Ecken sind Sitzgelegenheiten aufgebaut, alle mit genügend Abstand voneinander. In der Lobby fahren, das erinnert an R2-D2 bei Star Wars, Roboter herum und messen Fiebertemperaturen. Das Ganze wirkt manchmal sehr surreal.

Wie klappt der Transfer zur Anlage?

Die Shuttles fahren alle 15 Minuten los, es sind ungefähr 45 Minuten bis zur Anlage in Flushing Meadows. Für jede Fahrt muss man sich anmelden und einen Fragebogen ausfüllen, ob man etwa Symptome hatte oder Fieber. Vor Betreten des Busses wird Fieber gemessen. Im Bus darf man nur an der Seite sitzen, um genügend Abstand zu wahren. Vormittags geht es zur Anlage, abends zurück. So sieht das Prozedere aus.

Wenn Sie auf der Anlage ankommen: Wie spielt sich das Geschehen für alle dort ab?

Die Anlage ist ja riesig, und ohne Zuschauer haben wir diesmal die Möglichkeit, uns freier zu bewegen. In Bereichen, wo sonst die Fans entlanggingen, sind verschiedene Bereiche entworfen, man kann Tischtennis spielen, Minigolf, Basketball auf einem Basketball-Court. Es wurde einiges unternommen, damit sich die Spieler wohlfühlen. Es gibt sogar ein Outdoor-Gym. Im Indoor-Gym dürfen sich auch nur eine bestimmte Anzahl an Personen aufhalten, die Geräte werden sofort desinfiziert, wenn sie gewechselt werden. Das Ganze hat natürlich auch den Sinn, dass man uns quasi voneinander entzerren will, dass wir uns nicht zu sehr in Gruppen begegnen. Wir können uns frei bewegen und doch auch nicht. Wir sind ja von der Außenwelt komplett abgeschlossen. Wer die Anlage verlässt, verliert seine Akkreditierung.

Das Players Restaurant war stets ein besonders beliebter Treffpunkt der Profis. Wie läuft das Essen ab?

Auf Distanz natürlich. Im Restaurant sind nur Zweiertische aufgestellt. Und jeder Profi darf nur eine Person aus seinem Team mitnehmen. Abends im Hotel nutzen viele Uber Eats, was gut funktioniert. Man bestellt sich Essen von Restaurants draußen, das wird dann angeliefert. Es gibt einen großen Tisch, auf dem alles abgestellt wird, versehen mit deinem Namen. So sieht bei den meisten das Abendessen aus.

Fotos gingen herum, die Spieler und Spielerinnen in Logen zeigten, die sonst von Zuschauern teuer gemietet werden.

Alle Gesetzten im Tableau haben eine Loge erhalten. Dazu auch die ehemaligen Weltranglisten-Ersten. Aryna ist ja auch gesetzt, das ist schon ein sehr großer Vorteil, wenn man sich als Team mit mehreren Personen zurückziehen kann. Wir halten uns die meiste Zeit dort auf, wir versuchen einfach, so wenig Kontakt wie möglich mit anderen zu haben. Man kann sich auch dorthin Essen bringen lassen, man hat einen Blick ins Arthur Ashe Stadium, eine Massagebank ist aufgebaut, ein Fernseher, um die Matches zu sehen. Das war eine clevere Entscheidung mit den Logen, weil alle gut auf Abstand bleiben. Und es ist sogar ein Hauch von Leben im Stadion, weil alle auf der Terrasse vor der Loge sitzen.

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Dieter Kindlmann, 38, war drei Jahre als Hitting Partner für Maria Scharapowa sowie als Coach für Profis wie Madison Keys, Elise Mertens und Angelique Kerber tätig. In New York betreut er die Weißrussin Aryna Sabalenka.

(Foto: Imago/Hasenkopf)

Es sind immer noch einige Tausend Menschen auf der Anlage. Allein der Hauptfernsehsender ESPN hat mehr als 500 Mitarbeiter. Kriegen Sie etwas davon mit?

Nein, überhaupt nicht. In den Bereichen, in denen wir uns aufhalten, ist alles sehr ausgedünnt. Das führt auch zu einer neuen, skurrilen Situation. Wenn man trainiert, sieht man plötzlich genau, wer alles zuschaut. Man kennt sich ja untereinander. Man fragt sich jetzt dann: Aha, wieso scoutet der unser Training? Das ist natürlich okay, aber eben auch ungewohnt.

Nun wurde der erste Profi in der Blase Corona-positiv getestet, der Franzose Benoît Paire. Wie schnell geht so eine Nachricht umher und wie sehr sorgt Sie es, dass es keine komplette Sicherheit gibt?

Die Information hat uns schnell erreicht. Natürlich mache ich mir auch Sorgen. Der Fall ist ein Warnschuss für uns alle, dass man sich nie zu hundert Prozent sicher sein kann. Nach einer gewissen Zeit fängt man ja an, sich sicher zu fühlen. Nur: Es gilt, immer wieder die Maske zu tragen, die Hände zu waschen, möglichst viel unter sich zu bleiben. Das Schlimmste, was passieren könnte, wäre, wenn man selbst positiv getestet wird und die Spielerin rausziehen müsste. Und keiner will riskieren, dass die US Open nicht stattfinden können.

Angesichts aller Umstände: Wie herausfordernd wird das Turnier für die Profis?

Mental ist es auf jeden Fall eine extreme Situation. Viele sehnen sich nach einem normalen Alltag. Wie wir alle natürlich. Aber es ist auch eine Erleichterung zu spüren, dass überhaupt wieder mal ein Grand Slam stattfinden kann. Es vermittelt ein bisschen das Gefühl von Alltag. Jeder will sich beweisen, das merkt man schon auch.

Die Zusammenarbeit zwischen Ihnen und Sabalenka ist noch neu, wie kam es dazu und wie klappt in diesen Zeiten der Einstieg in ein Team?

Ich hatte mir im Sommer in Dornbirn etwas Schönes aufgebaut, ich trainierte dort mit einigen hoffnungsvollen Talenten. Als ich nach der Trennung von Angelique frei wurde und das Aryna mitbekam, hat sie mich kontaktiert. Sie hatte sich von ihrem Trainer getrennt und suchte Unterstützung für die Amerika-Turniere. Die Aufgabe in Dornbirn macht mir Riesenspaß, aber sie nun erst mal für das New Yorker WTA-Turnier, das gerade war, und die US Open zu betreuen, ist eine tolle Aufgabe. Sie ist eine unheimlich interessante Spielerin. Beim Turnier in Kentucky konnte ich aufgrund von Visa-Problemen noch nicht sein. Nach New York setzen wir uns zusammen und schauen, wie es weitergeht. Nicht alles liegt auch in unserer Hand. Die Entwicklung der Corona-Zahlen in Europa ist nicht wirklich erbaulich. Und für uns kommt hinzu, dass die zukünftige Lage in Weißrussland auch nicht absehbar ist.

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