Süddeutsche Zeitung

Tennis:Mal wieder Profi sein

Die Szene plant eine Corona-kompatible Turnierserie - und will davon profitieren, dass der Sport ohne Körperkontakt gespielt wird.

Von Gerald Kleffmann

Dirk Hordorff ist einer dieser Funktionärsmenschen, die man sich am besten immer am Telefon vorstellen kann. Vermutlich benutzt er mehr Handy-Netze, als es gibt, zuletzt allerdings führten ihn seine Gespräche nicht ganz so weit hinaus in die Welt. Von Bad Homburg aus korrespondierte er sehr oft mit Alex Antonitsch. Der frühere Profi ist eine Art österreichischer Hordorff in der Leicht-Version, auch bestens vernetzt und umtriebig. Die zwei grübelten, wie man Tennis trotz des Coronavirus beleben könne - so entstand eine Idee, die verwegen klingt: Eine Turnierserie wollen die beiden jeweils in ihren Ländern ausrichten. In Deutschland ab dem 8. Juni, in Österreich ab dem 25. Mai. Mit Spielern, Preisgeld, TV-Übertragungen sowie Zuschauern, sofern erlaubt.

Einen Namen soll der Wettbewerb auch bekommen, aber dieser ist noch offen, auch, weil man einen Titelsponsor sucht. Fest steht: Statt Teams kämpfen 32 Männer und 24 Frauen in Gruppenrunden um den Einzug in ein finales Turnier. Hordorff, Vizepräsident im Deutschen Tennis-Bund, zieht das Event mit dem DTB auf, Antonitsch, Turnierdirektor in Kitzbühel, hat Österreichs Verband ÖTV hinter sich - und kann als Herausgeber der Plattform tennisnet.com sowie als Kommentator bei Servus.tv gleich sein selbst erschaffenes Produkt medial aufbereiten.

"Bei allem, was wir machen, halten wir uns an die gesetzlichen Vorschriften", versichert Hordorff hinsichtlich der Corona-Risiken und betont, der einzige Gedanke sei es, "den Spielern in dieser Zeit Matchpraxis zu ermöglichen". Und sie ein bisschen Geld verdienen zu lassen. Rund 350 000 Euro wolle der DTB an die deutschen Teilnehmer ausschütten, mit den Davis-Cup-Spielern Jan-Lennard Struff und Philipp Kohlschreiber ist Hordorff längst im Austausch, grundsätzlich sei die Serie aber für Profis jenseits der Top 100 gedacht. Angelique Kerber sei nicht die Zielgruppe, wobei die dreimalige Grand-Slam-Siegerin ohnehin in ihrer anderen Heimat Polen festsitzt. Aber Andrea Petkovic werde man kontaktieren, dazu viele andere dahinter.

In einem Brief ans Kanzleramt heißt es: "Körperkontakt ist nicht Teil der Sportart Tennis."

"Das Konzept ist exakt festgelegt", sagt Hordorff. An jeweils einem Ort tragen acht Profis pro Tag vier Matches aus, "sagen wir um 10, 13, 16, 18 Uhr". Männer und Frauen wechseln sich mit den Spieltagen wöchentlich ab. Jeder spiele gegen jeden in Vierergruppen, die besten Zwei kommen weiter, die anderen in eine Hoffnungsrunde. Die Spieler wolle man wenig reisen lassen, das Feld regional bündeln. Der Modus ist komplex, "aber mathematisch geht alles auf", sagt Hordorff, so dass nach einigen Wochen je vier Männer und Frauen im Finalturnier stehen. Gespielt werden soll in Bundesligaklubs, die nun auf den Ligabetrieb verzichten müssen, sowie in Klubs, die ein Challenger oder Future-Turniere ausgetragen hätten, nun aber aufgrund der Pandemie alle Vorhaben streichen mussten. Es gebe schon Bewerber, betont Hordorff.

Unübersehbar ist, dass mit den ersten Lockerungen sowie den Debatten darüber etwas in Tennis-Deutschland in Bewegung geraten ist. Der DTB setzt sich neuerdings für eine Öffnung ein, in einem Schreiben auch an das Bundeskanzleramt formulierte der Verband die Botschaft: "Körperkontakt ist nicht Teil der Sportart Tennis. Nach wie vor absolut notwendige Infektionsschutzmaßnahmen können umgesetzt werden." Offensichtlich folgen die Behörden zunehmend dieser Sichtweise. Rheinland-Pfalz und Mecklenburg-Vorpommern haben unter Vorgaben das Betreiben dieses Sports erlaubt, Brandenburg will nachziehen. Am 1. Mai wird, so ist es geplant, der Tennissport sein erstes Profimatch seit dem ATP- und WTA-Turnier in Indian Wells erleben: in Höhr-Grenzhausen im Westerwald.

Dustin Brown, der mal Rafael Nadal in Wimbledon bezwang, wird an dieser Veranstaltung partizipieren, die so ablaufen soll wie Hordorffs und Antonitschs Serie: keine Linienrichter, keine Ballkinder, keine Zuschauer (außer es gibt Ausnahmeregeln), dafür ein Stuhlschiedsrichter. Aber nicht nur die Deutschen wagen sich nun aus der Corona-Deckung: Patrick Mouratoglou, Trainer von Serena Williams, zieht ab dem 16. Mai ein ähnliches Projekt auf, in seiner Akademie in Biot an der Côte d'Azur; der Belgier David Goffin ist sein bester Spieler, mit dem er wirbt.

Hereinkommen soll das Geld beim DTB etwa über die Vergabe von TV- oder Streamingrechten. Die veranstaltenden Klubs sollen wiederum für die Verpflegung aufkommen - und an eine Wohltätigkeitsstiftung spenden, die der DTB gründen und bald vorstellen will; mittels dieser Einrichtung soll jenen geholfen werden, die aufgrund des Coronavirus finanziell zu leiden hätten, etwa Klubtrainer. "Da werden wir einen sechsstelligen Betrag zusammenbringen", kalkuliert Hordorff. Ausdrücklich sagt er, der DTB mache keinen Profit.

Auch für die Touren der Männer (ATP) und Frauen (WTA) sind die geplanten Matches (mit Sätzen im Best-of-3-Modus) offiziell unproblematisch. "Spieler sind freie, selbständige Unternehmer", teilt ATP-Sprecher Simon Higson der SZ mit, "und können als solche freie Entscheidungen treffen, solange die Tour ausgesetzt ist." Bis 13. Juli pausiert der Betrieb vorerst. Für Hordorff ist es aber "schwer vorstellbar, dass wir schon bei den US Open Tennis sehen". Das letzte Grand-Slam-Turnier 2020 wäre ab Ende August. Der 63-Jährige, früher Coach und Manager von Rainer Schüttler, weist auf ein großes Problem hin, das der Tennissport hat: "Ohne Reisefreiheit wird es so schnell kein internationales Tennis geben." Dabei hätten Hordorff und Antonitsch noch einen besonderen letzten Plan geschmiedet: Sollte das Reisen zwischen Deutschland und Österreich möglich sein, würden sie gerne einen Länderkampf mit den besten Spielern ihrer Serie ausrichten.

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Quelle:
SZ vom 21.04.2020
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