Tennis:Fast der König von Madrid

Tennis: Mit ganzem Einsatz: Jan-Lennard Struff erlebt in Madrid ein ganz besonderes Finale.

Mit ganzem Einsatz: Jan-Lennard Struff erlebt in Madrid ein ganz besonderes Finale.

(Foto: Juan Medina/Reuters)

Jan-Lennard Struff wird beim Masters-Finale von Madrid erst nach großem Kampf vom spanischen Überflieger Carlos Alcaraz gestoppt. Beim größten Erfolg seiner Karriere zeigt der Deutsche, dass er sich gewandelt hat.

Von Gerald Kleffmann

Die Partie begann so, wie sie erwartet worden war. Carlos Alcaraz nahm Jan-Lennard Struff sofort das erste Aufschlagspiel ab. Der Spanier, gerade erst 20 Jahre alt geworden und als Weltranglisten-Zweiter der Favorit, führte 2:0. Doch dann tauchte er auf, dieser neue, transformierte Struff. Der Deutsche, mit 33 Jahren deutlich älter und auch nach 14 Jahren als Profi noch ohne Titel im Einzel, hämmerte die ersten Gewinnschläge ins Feld. Er griff an, in seinem Falle: Er tauchte immer wieder am Netz auf, 51-mal sollte er dies im gesamten Match unternehmen. Er legte jede Furcht ab. Alcaraz haderte, zauderte, streute Fehler übers Netz. Agierte beeindruckt von diesem Dauerangreifer, privat ein sehr ruhiger Mann aus Warstein. Und so entwickelte sich am Sonntagabend in Madrid ein Match, das ein enges, packendes werden sollte.

Um 21.07 Uhr, nach 2:26 Stunden Spielzeit, hatte dann doch Alcaraz drei Matchbälle. Er verwandelte den ersten bei 40:0 und gewann 6:4, 3:6, 6:3. Struff war kurz davor, eine spektakuläre Woche zu krönen mit dem bedeutsamsten Triumph seiner Karriere. Er gratulierte höflich am Netz, wie es seine Art ist. In jedem Fall erlebte er eine Woche, an die er sich noch lange erinnern wird. Und auch andere, die ihn bislang weniger verfolgten, horchten auf. Struffi nennen ihn viele, was ein bisschen nach Schluffi klingt. Und er ist ja auch etwas schluffig unterwegs, manchmal. Aber dieser Tage muss man sagen: Er spielt jetzt wie jemand Tennis, der Struff heißt und nicht Struffi.

"Es ist wunderbar. Ich habe mir vorher so was nicht vorgestellt", hatte Struff nach seinem Halbfinalsieg am Freitag gegen den Russen Aslan Karazew gesagt. Es war nun sein zweites Finale im Einzel; 2021 hatte er in München gegen den Georgier Nikolos Bassilaschwili verloren. Das war bei einem Turnier der 250er Kategorie, da geht die ATP-Tour quasi erst los. Madrid gehört zur Masters-Serie, neun Events gibt es davon jede Saison, sie werden seit 1990 abgehalten. Sie sind die wichtigsten Veranstaltungen nach den vier Grand-Slam-Turnieren. Dieses Endspiel in Madrid hatte demnach eine andere Dimension als das in München.

Die Geschichte von Struff ist nicht nur deshalb so gut, weil er nun den größten Erfolg seiner Karriere erzielte. Der Weg dorthin war auch höchst ungewöhnlich und beinhaltet sogar einen Rekord. Noch nie hatte ein Lucky Loser ein Endspiel bei einem Masters erreicht. So werden jene Spieler genannt, die in der letzten Runde des Qualifikationsturniers scheitern, dann doch ins Teilnehmerfeld des Hauptturniers rücken, weil überraschend ein Platz frei geworden ist. Zum Beispiel, weil sich jemand verletzte.

"Er hat sich ab und zu kleingemacht früher", sagt Struffs Manager

Struff hatte in besagter letzter Runde bereits gegen Karazew antreten müssen. 4:6, 2:6, so klar war er vom Platz gefegt worden. Aber in diesem Jahr ist etwas mit Struff passiert, gar nicht einmal so sehr mit seiner Technik, seinen Schlägen. Sein Manager Corrado Tschabuschnig aus Italien, der fließend Deutsch spricht, erklärte das im Interview bei Sky anschaulich: "Er weiß jetzt endlich, dass er mächtig ist", sagte er. "Dass er groß ist auf dem Platz, dass er stark ist. Er empfindet das auch jetzt immer mehr. Er hat sich ab und zu kleingemacht früher, obwohl er immer die Schläge gehabt hat. Aber jetzt merkt man, man kann nicht an ihm vorbeischlagen. Er ist so riesig auf dem Platz."

Entspannt allerdings sieht Struffs Tennis zurzeit nicht aus, schon gar nicht ist es das für seine Gegner. Mit seinem langjährigen Trainer Carsten Arriens, der mal Davis-Cup-Teamchef war, hat er schon viel an seinem Selbstvertrauen gearbeitet, das manchmal nicht so stark war, wie es sein Spiel sein kann. Aber mit dem früheren Profi Marvin Netuschil aus Hamm, der zu Arriens und Struff gestoßen ist und in Madrid als Coach dabei war, hat Struff noch einmal eine neue Ausstrahlung erlangt.

Vor oder nach Ballwechseln erinnert er an Skirennfahrer, die auf der Streif in Kitzbühel im Starthaus stehen und sich noch mal heftig Mut zusprechen. Struff hebt ständig die Faust, ein Signal an sich selbst. Ich bin da. Ich bin bereit. So spielt er fast schon Punkt für Punkt. Und neu ist, dass da draußen in der Box gerade nicht der ruhige Arriens sitzt. Netuschil ist ganz anderer Natur. Er macht eine fast schon kampfeshungrige Miene und brüllt Struff oft etwas zu. Er wirkt wie ein Panther auf der Lauer. Im Tennis ist das kurze Coaching von außen ja nun erlaubt. Struff selbst verwendet oft das Wort "Energie". Die brauche er. Auch Netuschil vermittelt sie ihm.

Im Viertelfinale bezwang er Stefanos Tsitsipas

Struff attackiert, wann immer er kann und eine Chance sieht. Er gibt den Gegnern kaum Zeit zum Atmen. Er steht dicht an der Grundlinie, und weil er 1,93 Meter groß ist und lange Arme hat und sich dieser Tage richtig gut bewegt, deckt er wirklich den ganzen Platz gut ab. Sein Aufschlag ist eine Wucht. Und er ist robust. Er gewann nun fünf Matches hintereinander, jeweils im dritten Satz. Er besiegte in Madrid unter anderem den hochgehandelten jungen Amerikaner Ben Shelton, den soliden Strategen Dusan Lajovic aus Serbien, und im Viertelfinale gelang sein Museumssieg gegen Stefanos Tsitsipas. Der Grieche stand im vergangenen Januar gerade wieder mal in einem Grand-Slam-Endspiel, in Melbourne, und zählt seit vielen Jahren zu den weltbesten Profis.

Und auch Alcaraz setzte Struff immer wieder mit diesem risikobereiten Tennis zu.

Tennis: Oft in der Defensive im Endspiel: Carlos Alcaraz.

Oft in der Defensive im Endspiel: Carlos Alcaraz.

(Foto: Manu Fernandez/AP)

Bei den Australian Open hatte man die neue Zuversicht von Struff schon gespürt. Nach überstandener Qualifikation traf er auf den starken Amerikaner Tommy Paul. Furcht? "Ach was. Den muss ich weghauen", sagte er damals der SZ. Er war bereit, den Kampf anzunehmen, so war das gemeint. Er verlor dann zwar in drei Sätzen. Aber es ist diese Einstellung, die ihn nun in Madrid in sein bislang größtes Finale gebracht hat. Im Davis Cup war Struff, außerordentlich beliebt bei allen Kollegen, schon mehrmals der Retter und bewahrte das deutsche Team zweimal vor dem Abstieg. Nun ist der Erfolg allein sein Erfolg.

Struffs Chancen fürs Endspiel wurden vorab eher als niedrig eingestuft. Alcaraz, der die US Open gewann, ist zurzeit das Maß. Vor allem da Rafael Nadal (sagte auch für das Turnier in Rom ab) und Novak Djokovic (müde) in Madrid fehlten. Struff aber glaubte an sich, "ich konnte ihn ja schon mal schlagen", sagte er sich. 2021 war das tatsächlich der Fall gewesen, bei den French Open. Nur wenige Punkte machten diesmal den Unterschied aus (99:96 für Alcaraz).

Struff war der siebte deutsche Mann, der ein Masters-Finale erreichte. Zuvor hatten das Boris Becker (22 Mal), Alexander Zverev (10), Michael Stich (3), Tommy Haas (2), Nicolas Kiefer und Rainer Schüttler (je 1) geschafft. In der Weltrangliste verbessert sich Struff auf den 28. Platz, so hoch stand er noch nie. Nun sitzt er dort auch Alexander Zverev (22.) im Nacken.

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