Süddeutsche Zeitung

Trainer von Angelique Kerber:Diesmal ein Frauentennis-Kenner

Lesezeit: 2 min

Von Gerald Kleffmann, München

Es war in den vergangenen Wochen still um Angelique Kerber geworden, wofür es eine Erklärung gab: Sie hatte ihre Spielzeit früh beendet. Am 1. Oktober hatte sie ihr letztes Match bestritten, 4:6, 2:6 war sie in der zweiten Runde in Peking an der Slowenin Polona Hercog gescheitert und hatte einen für sich nachvollziehbaren Schritt vollzogen: Besser wird die Saison nicht mehr. Der 20. Weltranglistenplatz und 1,9 Millionen Euro Preisgeld wären für manche Akteurin der WTA Tour zwar ein Traum gewesen, doch Kerber ist nun mal kraft ihrer Erfolge längst in einer anderen Liga angelangt: in jener der Champions. So definiert der Tennissport jedenfalls Grand-Slam-Sieger; Kerber hat ja nicht nur die Australian Open, die US Open (beide 2016) und Wimbledon (2018) gewonnen, sondern zählt überhaupt seit sieben Jahren zur Spitze.

Zuletzt hatte sie ab und an Sponsorenfotos veröffentlicht, war im Urlaub, aber - so meldete sie sich am Donnerstag im Internet zurück - "so sehr ich die freie Zeit genoss, bin ich froh, zurück im Training zu sein". In ihre kleine Botschaft packte sie die Neuigkeit, dass Dieter Kindlmann ihr Trainer werde. Und das wiederum war eine große Botschaft. Die Personalie erzählt viel darüber, wo Kerber war und wo sie hinwill.

Der Allgäuer Kindlmann ist so ziemlich das Gegenteil von Rainer Schüttler. Der hatte Kerber vor gut einem Jahr übernommen, nachdem diese sich von Wim Fissette getrennt hatte; der Belgier hatte sie binnen weniger Monate zum Wimbledon-Titel geführt. Angenehme Zeitgenossen sind Schüttler, 43, wie Kindlmann, wobei Schüttler der weitaus erfolgreichere Profi war; er hatte es auf Rang vier der Weltrangliste geschafft, Kindlmann auf Rang 130 (beide 2004).

Kindlmann ist ein Mann für Insider und Branchenexperten

Schüttler ist also zweifellos der Prominentere, aber die zurückliegende Saison hatte ein Manko offenbart: Ihm fehlte Erfahrung im Frauentennis. Zuvor hatte Schüttler nur Männer trainiert, bis heute verantwortet er das ATP-Turnier in Genf (umso erstaunlicher war kürzlich auch die Bekanntgabe, dass Schüttler die deutschen Fed-Cup-Frauen übernehme). Kindlmann dagegen ist ein Mann für Insider und Branchenexperten, denn der 37-Jährige aus Sonthofen hat sich mit seinem Engagement abseits des Rampenlichts einen respektablen Ruf erarbeitet - und das ausschließlich auf der Frauentour.

2013 hatte Kindlmann bei Maria Scharapowa als Schlagpartner ausgeholfen, die Russin behielt ihn im Team, in dem Sven Groeneveld der strenge Coach war. 2014 errang Scharapowa ihren fünften (und bislang letzten) Grand-Slam-Sieg, in Paris bei den French Open. Als sie 2016 aufgrund ihres Dopingbefunds (Meldonium) gesperrt wurde, ging Kindlmann eigene Wege. Jede Spielerin, die er seitdem betreute, machte er besser. Die Russin Anastassija Pawljutschenkowa führte er in ihr erstes Grand-Slam-Viertelfinale, in Wimbledon. Madison Keys trainierte er gemeinsam mit Lindsay Davenport; die Amerikanerin erreichte 2017 ihr erstes Grand-Slam-Finale in New York. Auch die Belgierin Elise Mertens und die Australierin Ajla Tomljanovic kletterten im Ranking. Dass er sich oft auf neue Profis einstellen musste, liegt auch daran, dass das Frauentennis ein schnelllebiges Geschäft ist. Für Kerber etwa ist er der fünfte Coach. Und vielleicht liegen die Wechsel auch an dem, was Kindlmann einfordert. Aus der Zeit bei Scharapowa habe er eines verinnerlicht, wie er einmal sagte: "Viele Spielerinnen wollen in die Top Ten, aber die meisten wollen nicht alles dafür tun."

Der Ehrgeiz, keine halben Sachen zu machen, könnte zu Kerber passen. Die 31-Jährige, übergangsweise zuletzt von DTB-Trainer Dirk Dier angeleitet, muss sich in vielen Bereichen verbessern. Dass sie nun auch den Italiener Marco Panicci als Fitnesstrainer holt, der parallel weiterhin Novak Djokovic stählt, ist ein Signal: Sie will wieder jene Idealvoraussetzung erlangen, die sie für ihr Konterspiel benötigt. Kommenden Montag beginnt für Kerber und Kindlmann die Arbeit, nach Weihnachten bestreitet sie ein Showturnier auf Hawaii, dann stehen 2020 Brisbane, Adelaide und Melbourne an.

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Quelle:
SZ vom 22.11.2019
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