Vom 16. bis 19. Oktober findet in Saudi-Arabien erstmals das Tennischauturnier „Six Kings Slam“ statt, es ist in die sogenannte Riad-Saison eingebettet. Die General Entertainment Authority des Königreiches hat 2019 diese Veranstaltungsreihe bestehend aus Konzerten, Ausstellungen und Sportevents initiiert. Weil Geld keine Rolle in dem aufgrund von Menschenrechtsverletzungen umstrittenen Land zu spielen scheint, sollen in gut drei Wochen nicht nur einfach sechs Tennisprofis vorbeikommen und ein paar Matches bestreiten. Sie werden regelrecht auf Mission geschickt.
Ein gerade veröffentlichter spektakulärer fünfminütiger Werbefilm zeigt die auserwählten Protagonisten, von denen jeder 1,5 Millionen Dollar Preisgeld und der Sieger sechs Millionen Dollar erhalten soll, in bester Game-of-Thrones-Manier. Bei dem ganz großen Image-Aufschlag erhält jeder der Spieler eine Rolle: Der Spanier Carlos Alcaraz ist der Orkan in der Wüste, der Norweger Holger Rune der Wikinger auf See, der Russe Daniil Medwedew der Bären-Reiter, der Spanier Rafael Nadal der Sandkrieger, der Serbe Novak Djokovic der Anführer des Wolfsrudels.
Ob Rafael Nadal wirklich in Riad spielt?
Sportlich ist der Six Kings Slam völlig belanglos, und zum jetzigen Zeitpunkt ist möglich, dass der Werbefilm nachbearbeitet werden muss. Der 38 Jahre alte Nadal leidet auch 2024 wieder aufgrund wiederholter Verletzungen und steht kurz vor seinem Karriereende. Rune ist seit Langem im Formtief und wirkt auf dem Platz eher bedrohlich wie eine Maus. Und Jannik Sinner, der rothaarige Weltranglisten-Erste, der in dem Video den edlen Renaissance-Mann verkörpert? Der Italiener wird seinen Dopingfall nicht los.
Die Welt-Anti-Doping-Agentur (Wada) hat just am Samstag, als Saudi-Arabien seine eingekauften Könige im Internet stolz vorführte, verkündet, am vergangenen Donnerstag beim Internationalen Sportgerichtshof (Cas) Berufung gegen den Freispruch Sinners eingelegt zu haben. Der 23 Jahre alte Südtiroler war im März im Rahmen von Kontrollen bei den Turnieren in Indian Wells und Miami zweimal positiv auf das anabole Steroid Clostebol getestet worden. Im Eilverfahren hatte er Einspruch erhoben und als Verursacher der Kontamination seinen damaligen Physiotherapeuten Giacomo Naldi benannt. Der habe, nach einer Schnittwunde am Finger, von Sinners damaligem Athletiktrainer Umberto Ferrara das Wundspray Trofodermin erhalten, welches das im Sport verbotene Clostebol beinhaltet, und dann selbst verwendet. Durch Massagen und Behandlungen sei der Wirkstoff auf ihn, Sinner, übertragen worden.
Meinung Tennis:Jannik Sinner hat die US Open verdient gewonnen. Eigentlich hätte er aber nicht spielen dürfen
Sinner durfte, während das Verfahren ohne Wissen der Öffentlichkeit lief, weiterspielen und – siegen. Kurz vor den US Open, am 20. August, gab dann die International Tennis Integrity Agency (Itia), die Kontrollbehörde im Tennis, bekannt, dass ein unabhängiges Schiedsgericht in London Sinner für unschuldig erklärt habe. Obwohl Sinner in New York nach diesen Begebenheiten unter besonderem Druck stand, gewann er den Titel, sein zweiter Grand-Slam-Triumph nach den Australian Open im vergangenen Januar. Für ihn schien der Fall abgeschlossen zu sein, er fuhr auch wieder seine Werbeaktivitäten hoch, tauchte mal als Botschafter von Gucci auf oder warb für die Olympischen Winterspiele 2026 in Mailand und Cortina d’Ampezzo.
Die Wada begründet ihre Berufung damit, dass die Feststellung des unabhängigen Gerichts, Sinner habe „kein Verschulden oder Fahrlässigkeit“ erkennen lassen, „nach den geltenden Vorschriften nicht korrekt“ sei. Im Grunde heißt das nichts anderes, als dass Sinner durchaus Konsequenzen zu tragen habe, wenn zwei Mitarbeiter aus seinem engsten Umfeld unfähig sind, ihn vor Kontaminationen zu schützen. Dann hafte er eben als Spieler.
Die Wada fordert ausdrücklich keine Streichung der Ergebnisse von Sinner
Als Rechtsgrundlage könnte ein Artikel der Anti-Doping-Regularien der Wada ins Spiel kommen. Im Abschnitt 2.6 heißt es, dass der Besitz einer verbotenen Substanz durch einen Athletenbetreuer als Verstoß gegen den Kodex erachtet werde, außer es liegt eine Sondergenehmigung vor (TUE). Die Wada beantragte daher eine Sperre zwischen einem und zwei Jahren, allerdings ausdrücklich keine Streichung der Ergebnisse von Sinner auf der Tour. Die Itia teilte auf SZ-Anfrage mit, die Wada habe „das endgültige Recht, gegen alle derartigen Entscheidungen Berufung einzulegen“ und verwies auf das unabhängige Schiedsgericht, das in aller gebotenen Sorgfalt den Fall untersucht und bewertet habe. Das Verfahren sei zudem gemäß den Wada-Richtlinien durchgeführt worden.
Sinner wurde bei den China Open in Peking, wo er im Viertelfinale steht, mit der Wada-Entscheidung konfrontiert, von der er „enttäuscht und überrascht“ sei. In einer schriftlichen Erklärung am Samstagnachmittag äußerte er einerseits Verständnis, dass „diese Dinge gründlich untersucht werden, um die Integrität des Sports, den wir alle lieben, zu bewahren“. Andererseits brachte Sinner deutlich sein Missfallen zum Ausdruck. Er sei bereits von unabhängigen Richtern entlastet und für unschuldig erklärt worden. Es sei „schwer zu erkennen, was es nutzen soll, wenn man drei andere Richter bittet, die gleichen Fakten und Unterlagen noch einmal zu prüfen“. Sinner wies abschließend darauf hin, er habe „nichts zu verbergen“, was angesichts der Tatsache, dass seine beiden Positivtests fünf Monate vor der Öffentlichkeit unter Verschluss gehalten wurden, eine zumindest erstaunliche Aussage war.