Süddeutsche Zeitung

Tennis in Wimbledon:Venus Williams: Mit Fleiß und Willen gegen das Sjögren-Syndrom

  • Zum ersten Mal seit sechs Jahren steht Venus Williams wieder im Halbfinale eines Grand-Slam-Turniers - ihre Gegnerin ist Angelique Kerber.
  • Die US-Amerikanerin kämpft seit längerem mit einer Autoimmunkrankheit, in Wimbledon wirkt sie aber voller Energie und träumt sogar von Olympia 2020.

Von Gerald Kleffmann, Wimbledon

Die Schwingtür geht auf, herein kommt eine Frau in T-Shirt und Jogginghose, sie schleicht vielmehr, sie schaut nicht in den Raum, sondern steuert einfach nur den Stuhl an, um sich plumpsend niederzulassen. Sie seufzt. Venus Williams hat ihr ganz eigenes Tempo, sie muss mit ihren Kräften, ihrer Energie gut haushalten, denn sie leidet an einer Autoimmunkrankheit, sie wird gleich darüber reden, aber nie fällt das Wort Sjögren-Syndrom, Williams spricht vielmehr von der "journey", der Reise, die nicht immer leicht sei, weil ihr ob der Müdigkeitsanfälle und Gelenkschmerzen oft "die Kontrolle fehlt".

Venus Williams, 36 Jahre, ist die nächste Gegnerin von Angelique Kerber. Im Halbfinale von Wimbledon am Donnerstag. Sie ist eine bemerkenswerte Person.

Auch wenn Kerber im Januar die Australian Open gewann, kann sie das Vermögen der Amerikanerin gut einschätzen, "50:50" seien die Chancen für beide, was die Unterstützung der Zuschauer betrifft, könnte sie aber im Nachteil sein. Kerber, die mit einem Triumph am finalen Samstag zur Nummer eins der Welt aufsteigen könnte, hat sich den Ruf einer exzellenten Kämpferin verdient. Bezüglich Venus Williams schwingt ein anderer Respekt mit, er ist bedeutungsschwerer.

"Dass sie hier wieder um den Titel spielt, dafür ist der Begriff Sensation gar kein Ausdruck", sagt Lindsey Davenport, die frühere Wimbledonsiegerin, die 1999 Steffi Graf in deren letztem Grand-Slam-Finale bezwungen hatte, arbeitet fürs Fernsehen. Davenport gab am Mittwoch bei einem Pressetermin die immer wieder gleichen Schwärmereien von sich, Venus Williams sei ein Vorbild, sie beeindrucke mit Willensstärke, Demut, Fleiß.

Dieses Lob lässt sich nicht widerlegen, Williams staunte ja selbst darüber, dass sie ihren ersten Grand-Slam-Sieg 2000 in Wimbledon errang, dass sie vor sechs Jahren letztmals im Halbfinale bei einem der vier Majors stand. Dann aber gab es einen Bruch in ihrer Karriere, die nicht losgelöst von der ihrer Schwester Serena betrachtet werden kann.

Beide entstammen einem Problemviertel in Los Angeles, ein beispielloser Aufstieg, zuerst dominierte Venus das Frauentennis, nunmehr Serena, die im zweiten Halbfinale auf die Russin Jelena Vesnina trifft. Als während der US Open 2011 aber bei Venus ihre Erkrankung diagnostiziert wurde, war das ein Schock. Heute lächelt Venus aber über den Befund, sie wusste wenigstens, "dass ich nicht verrückt bin".

Dieser Moment war der Beginn ihrer Reise, die sie seitdem alleine bestreiten muss, auch wenn natürlich Serena ihre engste Vertraute und Freundin ist.

In Wimbledon hat Venus Williams ihre Geschichte gut erklärt, ein Rücktritt wäre für sie eine Flucht gewesen, sie spüre Hingabe zu ihrem Sport, auch in Durststrecken fühlte sie sich nicht schwach, weil sie als siebenmalige Grand-Slam-Gewinnerin wusste: "Ich habe das Spiel in mir." Nur manchmal braucht es eben Zeit, "bis sich die Puzzleteile fügen". Wie jetzt in London. Die Älteste im Feld mit 36 Jahren hatte drei Tie-Break-Sätze zu spielen, gegen die junge Russin Daria Kasatkina siegte sie mit 10:8 im dritten Satz, "nichts wird einem geschenkt", so sieht sie ihren Beruf. Serena Williams hat mal die Schwester als Inspiration bezeichnet. Eine verständliche Sicht.

In jedem Fall wird die Reise von Venus Williams weitergehen, sie hat gerade erst davon gesprochen, dass Olympia 2020 für sie ein Ziel sein könnte. "Das wusste ich auch nicht, das wäre unglaublich", sagte Davenport. Williams betonte, sie habe gelernt, mit Ängsten umzugehen, an sich zu glauben. "Das ist mein Leben", ergänzte sie, "Ich wünsche mir kein anderes. Es ist ein schönes Leben, eine tolle Erfahrung."

Williams sagte dann, sie müsse bald weg, ein Doppel mit Serena stand noch an. Zwei Stunden später erreichten die zwei das Viertelfinale in diesem Wettbewerb, Julia Görges und Karolina Pliskova sind dort ihre Gegnerinnen. Nein, die Reise dieser Ausnahmesportlerin ist noch lange nicht zu Ende.

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Quelle:
SZ vom 07.07.2016/jbe
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