Süddeutsche Zeitung

Tennis in Wimbledon:Nozzer ist in Ordnung

Von 17 britischen Profis hat sich nur Cameron Norrie ins Viertelfinale des Grand-Slam-Turniers in Wimbledon gerettet. Obwohl der freundliche 26-Jährige der beste Vertreter seiner Heimat ist, fremdeln manche dort mit ihm.

Von Gerald Kleffmann, London

Am Sonntagabend gewann Cameron Norrie, 26, sein Achtelfinalmatch im All England Club, nach dem 6:4, 7:5, 6:4-Erfolg gegen den Amerikaner Tommy Paul war die Arbeit für ihn aber noch nicht erledigt. Norrie musste diverse Fragen beantworten, und weil er ein Brite ist, war die Anzahl an Fragen nicht zu knapp. Und sie waren auch, nun ja, bisweilen sehr britisch. "Meine Zeitung liebt es, Leuten Spitznamen zu geben", sagte jemand auf den Sitzen im Pressekonferenzraum. "Wir nennen Wayne Rooney Wazzer. Andy Murray war Muzzer. Ist es in Ordnung, wenn wir dich Nozzer nennen?" Diese Herleitung klang einerseits völlig plausibel. Andererseits gab es ein Problem bezüglich der Urheberschaft. "Das war schon mein Spitzname", erwiderte Norrie freundlich. Doch er erlöste den Reporter: "Ihr dürft mich auch so nennen." Nozzer also, darf man jetzt festhalten, ist der, der als einziger von 17 ins Wimbledon-Turnier gestarteten britischen Spielerinnen und Spielern das Viertelfinale erreicht hat. Gleich zwei Alleinstellungsmerkmale auf einmal.

Norries Geschichte ist insofern speziell, weil er als Zwölfter in der Weltrangliste der beste Brite ist, gleichzeitig aber gerne etwas übersehen wird, weil sich so vieles erst mal um Andy Murray und Emma Raducanu drehte. Erst als diese Protagonisten, denen seitenweise Betrachtungen gewidmet wurden, ausgeschieden waren und nun nur noch Norrie übrig blieb, richtete sich der Blick wirklich auf ihn. Er kommt damit aber bestens klar.

Skurril ist seine Lage dennoch. Norrie darf man das Attribut zuschreiben, einer der weltbesten Profis zu sein, der gleichzeitig am wenigsten Beachtung findet. Irgendwie wird er gerne übersehen, auch international. Dabei ist er wirklich ein sympathischer Mensch, der gefühlvolles Tennis spielt, das etwas ungewöhnlich aussieht. Er scheint die Bälle mehr zu schieben als zu schlagen. Spektakeltennis bieten andere. Gut ist er trotzdem, aber - auch das passt zu seiner Lage - selbst das reicht nicht, um Kritik zu verhindern.

Die Times verwies an prominenter Stelle in ihrer Ausgabe vom Montag auf Kommentare in sozialen Medien, in denen Leute klagten: Norrie ist in Südafrika geboren! Der Vater aus Glasgow! Die Mutter aus Wales! Er wuchs in Neuseeland auf! Er kam erst mit 17 nach London und erhielt dann erst die britische Staatsbürgerschaft! "Mein Hintergrund sind eben verschiedene Orte", antwortete Norrie am Sonntag auf die Frage, wie englisch oder britisch er sich fühle, und betonte ruhig, wie gerne er in Putney im Südwesten Londons nun lebe. Er möge Rugby, Cricket, unterstütze Newcastle United. Fast klang es wie ein Bewerbungsgespräch.

Es war aber ein charmanter Auftritt von Norrie, der nun als erster Brite seit 2017 im Viertelfinale steht; damals kam "Muzzer" Murray so weit in Wimbledon. Er nutzte die Gelegenheit, für sich zu werben. "Ich bin der letzte, der übrig blieb, da könnten mich doch alle jetzt noch mehr unterstützen." Auf welche Weise, wusste er auch. Die Zuschauer dürften ihn gern mit "Norrie, Norrie, Norrie, Oi! Oi!, Oi!" anfeuern. Gelegenheit dazu gibt es am Dienstag, wenn er in der Runde der letzten Acht auf den Belgier David Goffin trifft.

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