Tennis in Wimbledon:Das ist der Trick von Angelique Kerber

Tennis in Wimbledon: Angelique Kerber: Zurück zu alter Stärke

Angelique Kerber: Zurück zu alter Stärke

(Foto: AP)

Vor ihrem Wimbledon-Halbfinale gegen Venus Williams zeigt sich: Angelique Kerber macht sich selbst nicht mehr so viel Druck wie früher.

Von Gerald Kleffmann, Wimbledon

Die Vorstellung ist ganz lustig, dass sich der lange Schlaks Torben Beltz am Sonntag möglicherweise eine Badehose anziehen muss, um in ein kleines Becken zu steigen. Aber ganz sicher würde der Tennistrainer aus Itzehoe das gerne tun, auch wenn ihn Angelique Kerber vorab schon auf eine Unannehmlichkeit hinwies. "Es kann sein, dass ich alle mit ins Eisbad nehme", sagte die 28-Jährige nach ihrem 7:5, 7:6 (2)-Viertelfinalsieg am Mittwoch gegen die Rumänin Simona Halep, mit dem sie zum zweiten Mal nach 2012 das Halbfinale beim wichtigsten Rasen-Turnier in Wimbledon erreichte. "Ich bin da jeden Tag drin - und es ist wirklich sehr kalt."

Für den Erfolg würde aber auch ihr Team leiden. In Melbourne zum Beispiel, als Kerber mit einem Knall die Australian Open gewann und die erste deutsche Grand-Slam-Siegerin seit Steffi Grafs letzten Triumph 1999 bei den French Open wurde, machten sie in Kerbers Entourage einen Tanzkurs aus. Hoffentlich bricht sich Beltz also nicht die Beine, wenn sie ihn eines Tages absolvieren. Kerber kommen gerne mal Siege dazwischen. So wie jetzt in Wimbledon.

Als Kerber am Mittwochabend zur Pressekonferenz erschien, gelöst und strahlend, eierte sie nicht lange herum, wie es Sportler manchmal tun. Auch Kerber war ja beizeiten mal ausweichend - diesmal aber brachte sie direkt ihren Leistungsstand auf den Punkt: "Ich fühle mich richtig gut, ich spiele richtig gutes Tennis gerade. Yeah, ich denke, ich spiele wie in Australien, also wirklich High-Class-Tennis." Die Replik von der anderen Seite der Erde kam ein paar Stunden später. "Wir freuen uns, dass wir diese Wirkung auf dich hatten", schrieb das Turnier süffisant auf Twitter, versehen mit einem Smiley-Symbol.

Eine andere Botschaft hat Kerber derweil noch nicht vernehmen können, "ich habe in den letzten Wochen keinen Kontakt mit Steffi gehabt, aber vielleicht schreibt sie mir", sagte sie lächelnd. Es wäre schon verwunderlich, würde Graf das nicht tun. Denn die nuancenhafte Verwandlung der Angelique Kerber von einer Mitläuferin auf hohem Niveau zu einem Maßstab in den Top Ten hatte Graf ja auch mit bewirkt. Und es geht jetzt um deutsche Tennisgeschichte. Also auch irgendwie um Graf.

Die inzwischen 47-Jährige hatte am 6. Juli 1996 ihren letzten von insgesamt sieben Titeln im All England Club gewonnen, mit 6:3, 7:5 gegen die Spanierin Arantxa Sánchez Vicario. Drei Jahre später stand die ewige Brühlerin, die seit langem mit Ehemann Andre Agassi und zwei Kindern in Las Vegas lebt, noch einmal im Finale, unterlag dort aber der Amerikanerin Lindsey Davenport 4:6, 5:7.

Kerber sagte, sie wusste gar nicht, dass Grafs letzter Erfolg 20 Jahre her sei. Sie zuckte aber nicht zusammen, mit der Last der Historie konfrontiert zu werden. Sie entscheidet mittlerweile selbst, was auf sie Druck ausüben darf. Seitdem sie nur selbst auf sich schaut und sich Großes ernsthaft zutraut, kann sie tatsächlich Großes gewinnen. Das ist ihr Trick.

Was ein bisschen untergeht: Kerber hatte bis zum Viertelfinale diesmal in Wimbledon nicht die besten Gegnerinnen. Im Schnitt musste sie gegen Spielerinnen um Weltranglisten-Platz 120 spielen. Aber das darf ihren Erfolg nicht abwerten, denn erstens strauchelten Kolleginnen wie French-Open-Siegerin Garbiñe Muguruza genau über diese Kategorie von Kontrahentinnen. Und zweitens hat Kerber sich von Spiel zu Spiel gesteigert und auch gleich die Probe gegen die Weltranglisten-Nachbarin am Mittwoch bestanden. Kerber ist vierte, Halep fünfte.

Sie kann ihr Naturell nicht austricksen

Das ist eine Kunst, die nötig ist, um Pokale stemmen zu dürfen, und Kerber hat darüber geredet, wieso sie nicht mehr so oft im Verlauf eines Turniers einbricht. "Ich glaube, ich zweifle nicht mehr so an mir wie damals", sagte sie. "Ich weiß, dass ich solche Turniere gewinnen kann. Ich weiß, dass es ein langer Weg ist." Und: "Ich habe mehr Erfahrung."

Die Amerikanerin Venus Williams wird nun ihre Gegnerin sein, im zweiten Halbfinale stehen sich deren Schwester Serena und die Russin Jelena Wesnina gegenüber, auch an diesem Donnerstag. Sechs Jahre ist der letzte große Triumph der nun 36-Jährigen her, sie gewann damals im Finale den sogenannten Sister-Act mit 7:5, 6:4. Venus Williams erlebt auf ihre Weise gerade eine Erfolgsgeschichte. Für Kerber wird es ein ganz anderes Match als gegen Halep, die wie ein Wiesel schnell in die Ecken läuft.

Kerber hatte sich aber darauf eingestellt. "Vertraue deinen Fähigkeiten", diese Botschaft hat sich ja bei ihr eingebrannt, die ihr Steffi Graf mal mit auf den Weg gab, als Kerber in Las Vegas zum Training war. "Venus macht mehr Fehler, aber auch mehr Winner", erklärte Kerber nun, "ich kann nicht hoffen, dass es reicht, nur links und rechts zu rennen." Sie will die Initiative ergreifen. Weil es notwendig ist.

Die Flucht nach vorne, der Angriff, das ist jetzt in den bedeutenderen Matches ihre Spielweise - sie, die Konterspielerin, kann auch ihren Stil verändern und mutiger, aggressiver, bestimmender agieren, wenn es sein muss. Sie hat sich zu einem Chamäleon entwickelt, nur manchmal kamen ihr zu viele Gedanken dazwischen. Noch immer ist das so.

Man kann sein Naturell nie ganz austricksen. Aber Kerber weiß jetzt mit diesem Dilemma umzugehen, sie kann sich in wackligen Situationen selbst auf dem Platz therapieren. Es funktioniert nicht immer. In Paris bei den French Open etwa erwartete sie selbst zu viel von sich, bei ihrem ersten Auftritt bei einem Grand Slam nach ihrem Coup von Melbourne.

In Wimbledon hat Kerber gezeigt, dass sie weiterhin aus Fehlern lernt. Und manchmal kann dieser Weg dann direkt in ein Eisbad führen.

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