Süddeutsche Zeitung

Tennis in Stuttgart:Ein bisschen verloren

Naomi Osaka, die Weltranglisten-Erste aus Japan, ist auch in Stuttgart der große Hingucker. Bei ihrem ersten Auftritt wird deutlich, wie sehr die 21-Jährige mit ihrer neuen Rolle noch immer fremdelt.

Von Gerald Kleffmann, Stuttgart

Celebrity? Naomi Osaka kichert erst mal, als sie in einer Frage als Berühmtheit bezeichnet wird. Sie verdreht die Augen. Nein, man solle sie bitte nicht so nennen. Schüchtern anmutend lässt sie eine unbedeutende Antwort folgen, und in diesem Moment ist Naomi Osaka, die Celebrity, weit weg und sehr abstrakt. Und auch so manche Nachricht, die 2019 um die Tenniswelt sauste und die Rolle ausdrückte, die über diese erst 21 Jahre alte Frau gestülpt wurde. Ein globaler Star. Jüngst vom Time-Magazin in die Liste der 100 einflussreichsten Menschen aufgenommen. Die Werbemillionen fliegen ihr um die Ohren. Und nun: Sitzt da also diese junge Person im Medienraum des Stuttgarter Frauentennisturniers - und wirkt unscheinbar. Dirk Nowitzki sagte einmal, er wundere sich, was er alles erreicht habe, er könne ja nur einen Ball in ein Körbchen werfen. Osaka strahlt ähnliche Ungläubigkeit aus.

In dieser Woche findet bis zum Sonntag der Porsche Tennis Grand Prix statt, das Turnier hat viel Tradition, große Spielerinnen der Geschichte siegten hier. Damals, als noch Filderstadt der Austragungsort war, etwa Tracy Austin, Martina Navratilova und Martina Hingis, später in Bad Cannstatt, wo die Turnierarena nun beheimatet ist, auch Maria Scharapowa und Angelique Kerber. Der Ausrichter, der schwäbische Autokonzern, ist natürlich mächtig stolz auf seine (stattlich alimentierte) Veranstaltung, die seit jeher eine besondere Dichte an Top-Profis bietet. Nicht selten waren fast alle Top-Ten-Akteurinnen vertreten, das feine Hotel ist nebenan, der Fuhrpark luxuriös, das Essen vornehm-lecker. Das alles lockt. Nur dieses Mal sagten einige kurzfristig ab, die Ukrainerin Elina Svitolina, die Amerikanerin Sloane Stephens, auch Maria Scharapowa, am Dienstag die auf Rang 19 abgerutschte Spanierin Garbiñe Muguruza sowie die Rumänin Simona Halep, vor Osakas Aufstieg noch Nummer eins der Welt.

Für die deutschen Spitzenkräfte Kerber und Julia Görges bedeutet dies, dass sie vielleicht ein bisschen mehr in den Fokus geraten. Wie Osaka. Wobei: Ob die Japanerin in einem starken oder leicht schwächeren Feld antritt, ist unerheblich bezüglich der Art, wie sie wahrgenommen wird. Sie ist jetzt, mit allen guten und weniger guten Begleiterscheinungen, eine Art Celebrity.

Neuer Trainer, neuer Ausrüster, eine angebliche Liebschaft - ganz schön viel auf einmal

Dass ihr Leben aufgrund ihrer Erfolge in den vergangenen 15 Monaten nicht mehr das gleiche ist, lässt Osaka an einer Stelle durchklingen. Sie sei sehr gespannt, wie die "German Fans" zu ihr seien. Nicht, dass diese sie nicht kennen würden von ihren Reisen auf der Tennistour, aber sie sei nun mal kein "Nobody" mehr. Allerdings. Im vergangenen Herbst triumphierte sie bei den US Open im Finale gegen die motzende Serena Williams und untermauerte bei den Australian Open mit dem zweiten Grand-Slam-Titel, dass sie keine ist, die zufällig Großes gewann. Stammte Osaka aus einer geopolitisch nicht ganz so wichtigen Region wie - Entschuldigung! - Österreich oder Neuseeland, vielleicht hätte sich nicht die Meute in Bewegung gesetzt und wäre über sie hergefallen, Firmen, Fans, Medien. Aber Osakas Vater stammt aus Haiti, ihre Mutter aus Japan, damit steht sie auch für den nicht gar so winzigen asiatischen Markt sowie - aufgrund des Bezugs zum Karibikstaat - für eine Schicht, die in der Weltgemeinschaft ums Überleben kämpfen muss. Das, was Osaka in sich vereint, hat es so im Tennis bei einem Champion wohl selten gegeben, und es spricht für ihr Wesen, dass sie einräumt, wie sehr sie manches überfordere. "Ich dachte, dass ich mit allem klarkomme", gestand sie im März, als sie mal wieder früher als sonst verloren hatte, "aber ich nehme an, ich tue es nicht."

Im Narrativ stellt Osaka, selbst wenn sie es nie so wollte, das dar, was mit einem Leistungssportler passieren kann, wenn alle Ingredienzen fast perfekt zusammengemixt sind: Kraft ihrer Herkünfte spricht sie unterschiedliche Menschen und Märkte an. Sie hat die Klasse, sich gegen Widerstände zu behaupten, wie sie im US-Open-Endspiel gegen Williams bewies. Sie ist immer noch authentisch und kauzig, was ihre hunderttausenden Fans in den Sozialen Medien schätzen. Osaka will nicht perfekt erscheinen, aber doch muss sie nun einen Spagat schaffen, der mehr Kalkül erfordert: Sie muss aushalten, dass an ihr gezerrt wird und sportlich die Balance finden. Eine Herausforderung, die unlängst erste Spuren hinterließ.

Seit ihrem Erfolg in Melbourne hat sie drei schwächere Turniere in Dubai, Indian Wells und Miami gespielt. Die Nebengeräusche abseits der Plätze wurden auch knarziger. Sie trennte sich überraschend von ihrem deutschen Trainer Sascha Bajin und musste inmitten der vielen Bewerber einen neuen auswählen; es wurde Jermaine Jenkins, früher im Dienst von Venus Williams. Osaka wurde kreuz und quer geehrt. Erhielt in Japan ein Museum. Geriet zwischen die Fronten der Sportbekleidungsindustrie, Nike warb sie von Adidas ab. Plötzlich tauchte auch ein ehemaliger Jugendcoach von ihr auf, der eine horrende Summe forderte. Der Fall läuft. In Japan wird sie weiter bejubelt, auch nach Stuttgart reisten Reporter. Aber das Land debattierte auch darüber, wie japanisch sie sei. Weil Osaka dunkelhäutig ist, Japan mit drei verließ und die Sprache noch nicht so gut beherrscht. Neuerdings wird ihr dazu noch eine Liebschaft mit einem Rapper angedichtet. Ein bisschen viel auf einmal.

In Stuttgart, am Dienstag, kam das alles nicht zur Sprache. Es ist ja bekannt. Sie wolle nur ans erste Match denken, sagte sie, sie spielt gegen Qiang Wang oder Su-Wei Hsieh. Sie sei keine Sandexpertin. Eine kurze Frage zu Bajin blockte sie ab und sprach nur holprig von "unüberbrückbaren Differenzen". Als es um Tennis ging, sah sie gleich wieder entspannter aus.

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Quelle:
SZ vom 24.04.2019
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