Tennis in Paris:Mitternachtsspitzen

2021 French Open - Day Seven

Nicht die feine Art: Dominik Koepfer spuckt auf einen Ballabdruck auf der gegnerischen Seite. Im Hintergrund staunt Roger Federer.

(Foto: Julian Finney/Getty)

In einer faszinierenden Night Session gegen Roger Federer zeigt sich Dominik Koepfer von seiner besten und seiner schlechtesten Seite - Punktabzug inklusive. Am Ende gewinnt der Schweizer und erlebt in seinem 1519. Match auf der Tour einige Premieren.

Von Milan Pavlovic, Paris/München

Plötzlich saß Dominik Koepfer in einem Boot mit Martina Hingis - nicht mit der schlauen Schweizer Spielerin wohlgemerkt, die Ende der 1990er als Teenager das Frauentennis beherrschte. Sondern mit ihrem anderen Ich, das einen der herausragenden Fehltritte der Sportgeschichte hinlegte, als Hingis im Finale der French Open 1999 mit der Hybris der Jugend auf die Seite ihrer Gegnerin Steffi Graf stiefelte, um der Schiedsrichterin einen Ballabdruck zu präsentieren - ein echtes No Go, den Koepfer in der Nacht zu Sonntag noch einmal überbot. Es war Mitternacht, der vierte Satz auf dem Court Central hatte gerade begonnen, als der 27-Jährige die Grenzen überschritt: Er drang nach einem knapp verlorenen Punkt in das Terrain von Roger Federer ein, und während der Schweizer lieber zur Seite ging und sich abwandte, spuckte der Deutsche Richtung Ballabdruck. Als er daraufhin mit einem Punktabzug bestraft wurde (er war vorher schon einmal verwarnt worden), knötterte Koepfer minutenlang. Nachher sagte er zu dem Vorfall salopp: "Der Schiedsrichter hat mir gesagt, ich dürfe nicht spucken. Keine Ahnung. Covid-Regeln. Es ist, wie es ist. In jenem Moment war ich einfach angepisst, das kommt vor."

Auch wenn das Betragen unentschuldbar war, so war die Laune nachvollziehbar. Hier stand Koepfer auf einer der größten Bühnen seines Lebens, er zeigte mutiges, knallhartes, facettenreiches Tennis, und er hatte einen der Größten der Tennisgeschichte fest am Wickel gehabt. Aber da drängte sich Unmut in den Auftritt des Herausforderers, manchmal sah es so aus, als würde er sich sagen: Stell dir vor, du schlägst Roger Federer - und keiner ist da.

Federer musste sich vorkommen wie eine Maus in einem Versuchslabyrinth

Bei den French Open gilt pandemiebedingt bis zum Mittwoch immer noch die Sperrstunde, die neu erfundenen Night Sessions finden deshalb unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt, was dem Geschehen auf dem großen Court Central etwas Gespenstisches verleiht - auch weil der übliche Begleittross der Spieler auf ein Minimum reduziert ist. Tennis hat in dieser Atmosphäre Labor-Charakter, und Koepfer, der einen wichtigen Teil seiner Karriere als College-Spieler an der Tulane University in den USA bestritten hat, schlüpfte in die Rolle des Tennisprofessors, während Federer sich vorkommen musste wie eine Maus in einem Versuchslabyrinth. Würde Koepfer vor leeren Rängen seinen größten Erfolg landen? Hätte er lieber in einem vollbesetzten Stadion knapp verloren?

Wie kurios das Duell grundsätzlich anmutete, lässt sich mit zwei Zahlenspielen unterstreichen. Federer hat in seiner schier unendlichen Karriere 1246 Partien auf der Tour gewonnen, also 56 Mal so viele wie der Deutsche (22). Solche vergleichenden Spielchen kann man angesichts von Federers außerordentlichen Statistiken mit sehr, sehr vielen Profis anstellen - aber bei Koepfer kommt hinzu, dass er auch schon 27 Jahre alt ist.

Tennis in Paris: Dominik Koepfer (links) über das Phänomen Federer: "In den entscheidenden Momenten gewinnt er das Match wahrscheinlich einfach, weil er Roger Federer ist."

Dominik Koepfer (links) über das Phänomen Federer: "In den entscheidenden Momenten gewinnt er das Match wahrscheinlich einfach, weil er Roger Federer ist."

(Foto: Martin Bureau/AFP)

Federer ist nach zwei Knieoperationen im vergangenen Jahr immer noch dabei, sich langsam heranzutasten. Sein Augenmerk liegt auf Wimbledon, aber dafür braucht selbst er Matchpraxis. Nach der langen Pause greifen die Automatismen noch nicht, die Wettkampfhärte fehlt, und mit fast 40 Jahren fehlt ihm inzwischen hier und da ein halber Schritt. Der Schweizer ist begnadet, wenn es darum geht, dies zu kaschieren - und einige Punkte macht er nur wegen seiner Erfahrung und seiner einschüchternden Aura. Koepfer sprach das an, als er versuchte, die frustrierende 6:7 (5), 7:6 (4), 6:7 (4), 5:7-Niederlage zu erklären: "In den entscheidenden Momenten gewinnt er das Match wahrscheinlich einfach, weil er Roger Federer ist."

Lange hat sich Koepfer bewundernswert im Griff

Der Witz ist, dass Koepfer die Situation anfangs nicht groß zu tangieren schien. Er war mit dem Plan auf den Platz gegangen, Federer mit hohen Topspin-Bällen und Linkshänder-Winkeln zu quälen. Man kennt diese Taktik von Federers bittersten Sandplatzniederlagen gegen Rafael Nadal, da knickte die elegante Rückhand des Schweizers irgendwann fast regelmäßig ein angesichts des Dauerdrucks. So geschah es auch gegen Koepfer, der zudem erstaunlich cool blieb, wenn er in Not geriet. Er schüttelte die meisten Wirkungstreffer ab und triezte seinen berühmten Gegner weiter.

Die Partie nahm Wendungen, wie man sie von klassischen Fünfsatz-Kapriolen kennt. Anfang des dritten Satzes wirkte Federer müde und deplatziert ("Ich wusste nicht, wie viel ich im Tank haben würde"), kam aber dennoch zurück. Als Koepfer nach dem Punktabzug scheinbar endgültig am Boden war, lud Federer ihn kurioserweise wieder ein, nur um dann dem vierten Tie-Break knapp zu entgehen und bis zwei Uhr morgens gut gelaunt Sieger-Interviews zu geben - es gibt eben selbst für Federer, nach 1518 Spielen auf der Tour, noch neue Szenarien. "Ich hätte nicht gedacht, dass ich in meiner Verfassung drei Spiele gewinnen könnte", bilanzierte der Schweizer. "Ich muss vorsichtig sein, gucken, wie mein Körper auf so ein Match reagiert." Und ließ damit anklingen, dass er zum Achtelfinale gegen Matteo Berrettini vielleicht nicht antreten wird. Am Sonntag bestätigte Federer seinen Rückzug. Dominik Koepfer dürfte diese Pointe ebenfalls geschmerzt haben.

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