Tennis:Immer noch ein verrücktes Jahr

Kevin Krawietz hat die Top-Ten der Weltrangliste im Doppel erreicht - und ist seinem Partner Andreas Mies, mit dem er die French Open gewann, ein wenig vorausgeeilt.

Von Gerald Kleffmann

Rudolf Krawietz erinnert sich noch an ein Turnier vor sieben Jahren. "Kevin hat bei einem Future-Turnier gespielt und war im Einzel ausgeschieden. Aber im Doppel kam er weit", erzählt der Vater, "schon damals sagte er mir: Schau, Papa, im Doppel geht immer noch was!"

Was soll Kevin Krawietz, 27, aus Coburg, Tennisprofi, erst heute sagen? Seit Montag ist er in der Doppel-Weltrangliste als Zehnter in den Top Ten angelangt. So hoch stand letztmals 2012 ein deutscher Spieler, Philipp Petzschner. Besser noch: Krawietz wurde nun erstmals mit seinem Partner Andreas Mies, mit dem er im Juni auf begeisternde Art die French Open gewonnen hatte, für die neu eingeführte Davis-Cup-Finalwoche in Madrid im November nominiert. Und vorher nehmen sie ziemlich sicher an den ATP Finals der besten Acht in London teil. Sportliche Ritterschläge.

"Ein Traum ist in Erfüllung gegangen", das ist das, was Krawietz sagt. "2019 war unbeschreiblich - und ist es immer noch!"

Natürlich ist es im Tennis weiterhin so, dass die Einzelkonkurrenz die öffentliche Wahrnehmung und das Interesse der Zuschauer, Medien und Sponsoren diktiert. Aber abseits der Erfolge (oder Nicht-Erfolge) von Angelique Kerber, Alexander Zverev und den deutschen Solisten-Kollegen schufen Krawietz und Mies eine Erfolgsgeschichte, wie sie nicht alle Tage vorkommt im deutschen Tennis.

Swiss Indoors ATP, Tennis Herren World Tour 500) - 2019 - 3. Runde - 23-10-2019 Kevin Krawietz(GER)(links) und Andreas M

Virtuosen am Netz: Kevin Krawietz und sein Partner Andreas Mies haben sich erstmals für das deutsche Davis-Cup-Team empfohlen.

(Foto: imago)

Im Januar kamen die beiden aufgrund ihres zu niedrigen Ranglistenplatzes als Duo nicht einmal ins Hauptfeld der Australian Open und mussten sich aufteilen. Dann siegten Krawietz/Mies in New York, es war nicht das größte ATP-Turnier, aber der Anfang ihres verrückten Jahres. Dann kam Paris, wo ihnen alles gelang, außer dem Vorsatz, den Eiffelturm abzureißen. Als erste deutsche Doppel-Champions bei einem Grand Slam seit 1937 waren sie im Rampenlicht angelangt. "In Halle waren wir nach Zverev und Federer das Aushängeschild", sagt Krawietz, "das war eine große Ehre." Auch am Telefon ist sein Staunen zu spüren. Vereinzelt gab es zwar frühe Niederlagen, gerade nach den medialen Verpflichtungen, "wir hatten nicht viel Zeit zur Erholung", sagt Krawietz. Aber sie fingen sich. Bei den US Open schafften sie es ins Halbfinale. In Antwerpen haben sie gerade den dritten Titel geholt. Und jemand, den er früher im Fernsehen sah, meldete sich. "Ich habe von klein auf Davis Cup geschaut, Becker, Stich, Kohlmann", Krawietz pausiert, "dann ruft Kohlmann an - und nominiert einen." Er weiß: "Das zeigt, dass wir kein One-Hit-Wonder waren."

Wenig überraschend war die Entscheidung von Michael Kohlmann, dem Davis-Cup-Teamchef, die beiden aufzustellen, "nicht leicht", das zuvor gesetzte Duo Jan-Lennard Struff/Tim Pütz (Spitzname Tim&Struffi) hat eine 4:0-Bilanz im Nationenwettbewerb vorzuweisen. "Auch atmosphärisch sind Jan und Tim immer wichtig fürs Team." Sprich, es sind gute, positive Typen. Aber auch diesbezüglich muss sich die neue Formation nicht verstecken.

Der Kölner Mies, 29, der über US-College-Tennis und Versuche im Einzel beim Doppel hängen blieb, strahlt die fröhliche Energie eines Club-Animateurs aus. Mit Krawietz ergänzt er sich insofern perfekt, weil er der Antreiber ist und Krawietz der Vollstrecker am Netz. "Nach diesem tollen Jahr haben sich Andreas und Kevin den Davis Cup verdient", sagt Kohlmann, der selbst ein vorzüglicher Doppel-Akteur war und die Entwicklung von Mies und Krawietz nachempfinden kann. An Krawietz schätzt er vor allem dessen Beharrlichkeit und Willen. "Kevin hatte eine erfolgreiche Jugendkarriere und den Wechsel zu den Männern gut geschafft", ordnet Kohlmann ein. Krawietz galt gar als eines der größten deutschen Talente. "Doch dann hatte er toughere Jahre, andere hören da auf", sagt Kohlmann. Krawietz hatte noch vergangenes und dieses Jahr versucht, im Einzel voranzukommen. Im Dezember 2018 hatte er seine höchste Platzierung erreicht, als Nummer 211, doch mit den Doppelerfolgen wurde es kniffliger, Einzel und Doppel zu kombinieren. Weil er im Einzel nie in die größeren Turniere kam, im Doppel aber fast immer. Einzel lässt er nun "laufen".

Aktuelle Doppelweltrangliste

1. Juan Sebastian Cabal und Robert Farah (beide Kolumbien) Je 8340 Punkte

3. Horacio Zeballos (Argentinien) 5700

4. Nicolas Mahut (Frankreich) 5480

5. Mike Bryan (USA) 5160

6. Lukasz Kubot (Polen) 4950

7. Marcelo Melo (Brasilien) 4770

8. Marcel Granollers (Spanien) 4385

9. Mate Pavic (Kroatien) 4300

10. Kevin Krawietz (Coburg) 4225

12. Andreas Mies (Köln) 4135

Überhaupt hat sich viel verändert für sie, im Alltag auf der Tour. "Die Grand Slams, die 1000er, 500er sind alle unglaublich organisiert, das macht es komfortabler zu reisen." Alles klappe auf diesem Niveau, Fahrservice, Trainingsplatzbuchungen, Verpflegung, "man muss sich wenig Gedanken machen". Wobei es Krawietz wichtig ist zu betonen, dass kleine Turniere, selbst in Kasachstan, entsprechend ihren Möglichkeiten funktionieren. Seine Bodenständigkeit klingt durch, eines weiß er ohnehin, auch wenn die zwei nun die besten Turniere der Tenniswelt bereisen dürfen: "Zu viel wollen wir nicht ändern. Das Jahr lief gut, alles umzukrempeln, ist auch Quatsch." Mit einer Ausnahme: "Man muss jetzt clever handeln. Es kommen ein paar Euro rein - und da muss man investieren. Wir wollen ja lange spielen." Konkret bedeutet dies, dass sie sich Business-Flüge für lange Strecken wie nach Australien gönnen, "um erholter anzukommen". Und: "Wir wollen für 15 Wochen einen Physio/Fitnesstrainer mitnehmen."

Die nächsten Wochen werden noch mal anstrengend, "wir wollen das Vertrauen zurückgeben", sagt Krawietz, der auch frühere Helfer nicht vergessen hat. Nach London hat er seine beiden ersten Jugendtrainer eingeladen. In Madrid ist die Familie dabei. Vielleicht wird dann auch sein Partner Top-Ten-Spieler sein. Mies ist Zwölfter, was daran liegt, dass er diese Saison Weltranglistenpunkte verlor, die er erzielt hatte, als er anfangs mal ohne Krawietz angetreten war. Selbstverständlich verpasste ihm Krawietz einen Spruch. "Ich musste ihn ärgern, als ich das Ranking gesehen habe", berichtet er. "Ich weiß nicht, wie du dich fühlst, sagte ich ihm. Aber ich fühle mich komplett anders!" Ein Lachen drang durch den Hörer.

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