Tennis:Hinter den großen vier

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Der Tscheche Tomas Berdych wird am Wochenende das Ende seiner bemerkenswerten Karriere verkünden: Der 34-Jährige ist der wahrscheinlich beste Spieler, der nie ein Grand-Slam-Turnier gewann.

Von Gerald Kleffmann, London/München

Ursprünglich wollte Tomas Berdych inkognito am Wochenende ins Flugzeug steigen, in London im Hotel nahe der O2-Arena einchecken, sich passend für seinen speziellen Anlass kleiden und dann rüberfahren, zu jener Halle auf der Halbinsel südlich der Themse, in der gerade das Saison-Abschlussturnier der Männertour stattfindet. Eine Überraschung sollte es werden, dass er vorbeischaut, auch wenn er ja gar nicht mitwirkt. Denn qualifiziert ist er nicht für die ATP-Finals der besten acht Tennisspieler, seit langem plagen ihn Verletzungen, aus den Top 100 ist er inzwischen sogar gefallen. Aber dann tauchte in den Weiten des Internets ein erstes Gerücht auf Tschechisch auf. Inhalt: Er, der bekannteste Spieler seiner Heimat, werde nun seine Karriere beenden.

Das Gerücht verdichtete sich zur Information, wurde ins Englische übersetzt, Journalisten, Medien, Interessierte griffen es auf, die übliche, unaufhaltsame News-Lawine. So blieb Berdych nichts anderes übrig, als zu reagieren. In einem Auto sitzend nahm er rasch eine Erklärung auf, die er überrumpelt vortrug. Sein Geheimnis zu hüten, "das ist unmöglich in diesen Zeiten", trug er vor. Zwar bestätigte der 34- Jährige noch nicht ganz den Rücktritt, an seine Fans appellierte er aber, "dran zu bleiben", am Samstag sage er mehr. Den einen entscheidenden Satz auszusprechen, dürfte keinem leicht fallen, der seinen Sport mit Hingabe ausgeübt hat.

Tomas Berdych gewann mit Team Tschechien 2012 und 2013 den Davis Cup, scheiterte aber am großen Einzeltriumph.

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(Foto: Glyn Kirk/AFP)

Andere waren in der Weltrangliste immer vor ihm, vor allem Novak Djokovic...

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(Foto: Naomi Baker/Getty Images)

... oder Roger Federer...

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(Foto: Adrian Dennis/AFP)

... und auch Rafael Nadal.

Mit etwas zynischem Blick zurück ließe sich sagen, in Berdych tritt nun sehr wahrscheinlich der Mann mit dem unbestritten hässlichsten je getragenen Tennishemd ab. Mit dieser Wertung wird man natürlich in keiner Weise Berdych gerecht, und doch beinhaltet sie zwei vielsagende Details seiner Schaffenszeit. Es gibt ja nicht den einen großen Pokal, den er als Einzelakteur wenigstens nur einmal irgendwo stemmen durfte (zweimal gewann er indes den Davis Cup mit Tschechien). Oft genug stoppte ihn einer der sogenannten großen vier, denn Berdych hatte das Pech, in die Hegemonie von Roger Federer, Rafael Nadal, Novak Djokovic und Andy Murray hineingeboren zu sein. Also bleibt anderes Markantes in Erinnerung als Titel: allen voran seine schrecklichen H&M-Shirts, die er einst trug und die vom unbestritten untalentiertesten Designer konzipiert worden sein müssen. Dass er auf keine etablierte Marke als Sponsor zurückgreifen konnte, war wiederum bezeichnend für seine persönliche Situation inmitten der besten Tennisspieler der Welt. Die Big Four hatten den Markt der zahlungsfreudigsten Werbeträger schlichtweg abgeräumt, so blieb für die Reihe dahinter die Nische. Dabei, und das ist ein Fakt, der gerne untergeht, war Berdych viele Jahre wirklich einer der Besten. Manche fanden gar, der Beste - wenn es die vier Großen eben nicht gegeben hätte.

Der Harthitter, der dank seines perfekten Treffmoments beim Schlag unglaublich hohes Balltempo erzeugen konnte, stand zwischen 2010 und 2017 in den Top Ten; seine höchste Platzierung war Rang vier (2015). Schon das ist eine Leistung. Bei jedem der vier Grand-Slam-Turniere erreichte er mindestens einmal das Halbfinale. Aber dann war es wie immer. 2015, Melbourne: Da schlug er endlich einmal Nadal, im Viertelfinale - dann stoppte ihn Murray. 2010, Wimbledon: Berdych schlug nacheinander Federer (der in sieben Jahren zuvor nur einmal dort verloren hatte, gegen Nadal) und Djokovic. Dann? Vernichtete Nadal im Finale seinen Traum von wenigstens einem Grand-Slam-Triumph.

Von seinen Widersachern unterschied ihn nur, dass er in wichtigen Momenten seine Nerven nicht im Griff hatte. So stehen Federer, Nadal, Djokovic, Murray mit Großbuchstaben in den Geschichtsbüchern. Berdych nicht. Beklagt hat er sich nie direkt über dieses Stigma, er kann sich überdies an 29 Millionen Dollar Preisgeld erfreuen. 13 Turniere gewann er, einmal, 2005 in Paris, auch eines der Masters-Kategorie. Sonst ließen ihm die großen vier keinen Sieg übrig und trugen sich zusammen dafür mehr als 100 Mal selbst in die Siegerliste ein. Aber oft genug deutete Berdychs schwieriges Verhältnis zu den Medien an, dass ihm die letzte Wertschätzung fehlte. Sogar in seiner hastig aufgenommenen Handybotschaft klang ein wenig der Missverstandene durch.

Es passt somit zu seiner Laufbahn, dass er sich am Samstag von der Tennisbühne verabschiedet, während auf dieser immer noch seine ewigen Konkurrenten agieren. Wobei sich Berdych damit trösten kann, dass Federer, 38, Nadal, 33, und Djokovic, 32, auch altern und die jüngere Generation der Machtübernahme den nächsten Schritt näher zu kommen scheint. In der Gruppenphase ereignete sich eine so noch nie erlebte Serie: Am Sonntag verlor Federer (gegen Dominic Thiem), am Montag Nadal (gegen Alexander Zverev), am Dienstag Djokovic (gegen Thiem). Am Mittwoch schlitterte Nadal am vorzeitigen Aus vorbei - er wehrte nach 1:5-Rückstand gegen Medwedew gar einen Matchball ab. Und am Donnerstag kommt es zu der Konstellation, dass Federer erstmals seit dem dramatisch verlorenem Wimbledon-Endspiel wieder gegen Djokovic antritt - und für den Unterlegenen das Turnier noch vor dem Halbfinale beendet sein wird.

© SZ vom 14.11.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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