Tennis:Gereifter Lebemann

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Abschiedsdoppel: Jürgen Melzer bei seinem letzten Auftritt in Wien, mit Alexander Zverev an der Seite. (Foto: Georg Hochmuth/dpa)

Ein besonderer Spieler des österreichischen Tennis tritt ab: Jürgen Melzer beendet mit 40 Jahren seine Karriere - nun will der Wiener als Sportdirektor im Verband seine Erfahrungen weitergeben.

Von Gerald Kleffmann, Wien/München

In diesem Jahr ist Jürgen Melzer viel durch Österreich gereist. Er hat Leistungszentren und Tennisvereine besucht, er hat sich mit Talenten, Trainern, Funktionären unterhalten. Richtig ernst hat er, so hört man, seinen Job genommen, als neuer Sportdirektor des Österreichischen Tennis-Verbandes (ÖTV), der er seit Februar 2021 ist. Dass sein aktiv betriebener Austausch gut ankam, erfuhr er persönlich durch eine Erzählung eines jungen Nachwuchsspielers. Der Junge hatte in der Schule einen Text verfasst - über Jürgen Melzer aus Wien.

"Als mir der Bursche den Aufsatz gezeigt hat, war ich total geflasht", berichtete Melzer nun. "Ich hätte nie mit so etwas gerechnet. Es zeigt den Respekt, den man sich über die Jahre erarbeitet hat - dass es etwas gibt, worüber die Kinder schreiben können." Nicht nur die. Auch die Tennischronisten haben ja nun Anlass, ihn zu würdigen. Diesmal meint er es wirklich ernst, mit dem Rücktritt. Ein paar Mal hatte Melzer ja schon geglaubt, seine Karriere sei vorbei. Aber dann kam irgendwo doch noch ein Match und noch eines.

Am Mittwochabend bestritt der 40 Jahre alte Melzer also seinen letzten Einsatz auf der ATP Tour, wie er kundtat. Im Doppel verlor er an der Seite von Alexander Zverev bei der Erste Bank Open in Wien mit 6:7, 5:7 gegen Filip Polasek (Slowakei) und John Peers (Australien). Ein besonderer Spieler des österreichischen Tennis verabschiedet sich damit vom aktiven Geschehen. Im Einzel war er schon lange nicht mehr in der Weltrangliste geführt worden, aber im Doppel hält er sich aktuell noch auf Platz 36.

Der Linkshänder Melzer war zwar nicht ganz so erfolgreich wie die frühere Nummer eins der Weltrangliste Thomas Muster, mit dem er - weil er direkt auf ihn zeitlich folgte - stets verglichen wurde. Und auch an Dominic Thiem kam er natürlich nicht heran, der 2020 Grand-Slam-Sieger im Einzel bei den US Open wurde. Und doch ist Melzers Bilanz beeindruckend: Halbfinale bei den French Open (2010), Achtelfinals bei den anderen drei Grand Slams, Nummer acht der Welt (2011). Das Turnier in seiner Geburtsstadt Wien gewann er umjubelt zweimal. Im Doppel holte er gar zwei Grand-Slam-Trophäen, 2010 in Wimbledon, 2011 in New York, beide Mal mit dem Bayreuther Philipp Petzschner.

Edle Trophäe: Jürgen Melzer stemmt, zusammen mit Partner Philipp Petzschner, die Wimbledon-Pokale hoch; die beiden gewannen 2010 den Doppeltitel im All England Club. (Foto: Neil Munns/dpa)

Als Melzer am Mittwoch zurückblickte, fiel ihm auch sein spektakulärer Fünfsatzsieg gegen Novak Djokovic in Roland Garros 2010 ein, nach 0:2-Satzrückstand. Grundsätzlich aber meinte er: "Ich erinnere mich weniger an Triumphe oder Niederlagen, sondern an die Leute, mit denen ich Zeit auf der Tour verbracht habe." Und: "Ich habe immer versucht, ein guter Botschafter des Sports zu sein." Das war er, wobei er weiß, dass er noch mehr aus sich hätte herausholen können. Er habe zu spät kapiert, "dass Tennis ein Vollzeitberuf ist". Ja, ein Lebemann war er, wovon manche Schnappschüsse zeugen, die noch im Internet kursieren.

Im Tennis wird Melzer, inzwischen Vater, ein Protagonist bleiben, nun als Gestalter und Ratgeber, in den Rollen als Sportdirektor und Trainer; er betreut Österreichs beste Spielern Barbara Haas. Seine Tennis-Erfahrungen möchte er weitergeben, besonders liegen ihm die Talente am Herzen. Seine Botschaft: "Die Jungen müssen früh draufkommen, dass man dem Tennis alles unterordnen soll." Denn er ist sich sicher: "Je früher man das versteht, desto früher wird man gut."

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