Süddeutsche Zeitung

French Open:Malochen unterm Eiffelturm

In Paris geht es nicht nur um Rekorde, Ruhm und Rivalitäten: Die Deutschen Jan-Lennard Struff, Dominik Koepfer und Philipp Kohlschreiber haben die Kunst entwickelt, kleine Triumphe im Berufsalltag zu feiern.

Von Barbara Klimke

In Paris kommt es auf die Perspektive an. Es gibt Akteure, die die ziegelroten Flächen unterm Blätterdach des Bois de Boulogne gewissermaßen durch die Lupe betrachten: Was ihnen auffällt, sind Sandkörner, also ärgerliche Unebenheiten, minimale Störfaktoren. Jan-Lennard Struff dagegen sieht das leuchtende Areal in seiner ganzen Schönheit sowie die Arbeit dahinter: "Ich komme immer wieder hierher und staune, wie gut sie die Plätze präparieren."

Die Qualität und Härte der Tenniscourts bei den French Open sei "überragend", auch weil das Fundament, anders als in Deutschland üblich, aus Beton gegossen sei. So spricht ein Mann, der seine Arbeitsstätte zu würdigen weiß - so wie andere die Panoramafenster oder Qualitätsausstattung im Büro.

Im Tennis, zumal bei Turnieren der Größenordnung eines Grand Slams, bei dem Prämien von insgesamt 34 Millionen Euro ausgeschüttet werden, stehen allzu häufig Rekorde, Ruhm und Rivalitäten im Vordergrund. 127 von 128 Teilnehmern eines Wettbewerbs aber werden am Ende definitiv nicht mit dem Pokal und dem Riesenscheck von dannen ziehen. Für viele ist Tennis zunächst einmal eine Erwerbstätigkeit, und sie nehmen dankbar zur Kenntnis, wenn sie beim berufsbedingten Reisen, beim langen Treck um die Welt, die bestmöglichen Voraussetzungen vorfinden.

Jan-Lennard Struff, 31, ist zum neunten Mal in Roland Garros, er hat 30 Grand-Slam-Turniere bestritten und keines davon je gewinnen können - ebenso wenig einen Einzel-Titel bei einem anderen ATP-Tour-Wettbewerb. Tatsächlich hat er im April in München sein erstes Finale als Solist überhaupt bestritten. Aber wie den deutschen Kollegen Dominik Koepfer, 27, und Philipp Kohlschreiber, 37, ist es ihm zum Ende der ersten French-Open-Woche gelungen, sich in den Fokus der Tennisfreunde zu spielen.

Dass sich vier Deutsche in Paris durch die erste Woche schlagen, gab's seit 1993 nicht mehr

Von Alexander Zverev, der am Freitag sein Match gegen den Serben Laslo Djere 6:2, 7:5, 6:2 gewann und sich bereits fürs Achtelfinale qualifizierte, war das zu erwarten. Dass sich ein Männer-Quartett des Deutschen Tennis Bundes (DTB) in mannschaftlicher Geschlossenheit erfolgreich durch die erste Paris-Woche schlägt, ist unterm Eiffelturm allerdings seit 1993 nicht mehr vorgekommen.

Damals gehörten Patrick Kühnen, Carl-Uwe Steeb, Marc-Kevin Goellner, Bernd Karbacher und Michael Stich zum Aufgebot - die Älteren aus der Boris-Becker-Generation werden sich erinnern (Becker selbst war damals schon in der 2. Runde ausgeschieden, gegen den Franzosen Rodolphe Gilbert). "Sehr erfreulich", nannte Bundestrainer Michael Kohlmann am Freitag deshalb die Auftritte, auch wenn sich mitten im Turnier, wie er sagte, selbstverständlich "immer nur Momentaufnahmen der Leistung" abbilden lassen.

Struff hatte schon in der ersten Runde für Furore gesorgt, als er auf Anhieb einen Gesetzten aus dem Turnier kegelte: den Russen Andrej Rubljow, der im vergangenen Jahr fünf Turniere auf der Tournee gewonnen hatte und auch in Paris als einer der Favoriten galt. Struffs zweiter Streich war ein glatter Sieg gegen Facundo Bagnis aus Argentinien. Seit Wochen spielt er auf hohem Niveau mit beachtlicher Konstanz.

Wer in den Aufritten eine gewisse Leichtigkeit zu sehen meint, liegt allerdings falsch. Es handelt sich laut Struff um "brutale, harte Arbeit". Akribisch bereitet er sich mit Trainer Carsten Arriens auf die Matches vor; eine Formdelle zu Jahresbeginn, als er bei den Australien Open früh verlor, ist korrigiert. Dass das nächsten Match gegen den hochgelobten, 18 Jahre alten Spanier Carlos Alcaraz eine "toughe Angelegenheit" wird, ist für Struff ebenfalls klar. Aber wo wäre eine solche Maloche angenehmer als in Paris? Er ist ein erklärter "Fan dieser schnellen Ascheplätze".

In der nächsten Runde trifft Koepfer nun auf sein Kindheitsidol

Auch Dominik Koepfer, geboren in Furtwangen, zu Hause in Tampa/Florida, spielt in Paris auf seinem Lieblingsbelag. Das verwundert insofern, als er sich als Tennisspieler auf einem US-College ausbilden ließ, vornehmlich auf Hardcourts. "Aber ich bin ja in Deutschland aufgewachsen", sagte er, sozusagen im Sandplatz-Biotop.

Auf der ATP-Tour fühlt er sich nach entbehrungsreichen Jahren bei unterklassigen Turnieren noch immer als Neuling, auch wenn er sich langsam einen Namen macht. In Paris, wo er erst zum zweiten Mal antritt, kann er seinen Bekanntheitsgrad nun schlagartig steigern. Denn in der dritten Runde kommt es an diesem Samstag in der Night-Session zum Duell mit dem Schweizer Roger Federer - seinem Kindheitsidol.

Bundestrainer Michael Kohlmann hatte von Koepfer und Struff durchaus harte Ballgefechte erwartet. Dass allerdings der Älteste des Quartetts, der 37 Jahre alte Philipp Kohlschreiber, zum Ende der ersten Pariser Grand-Slam-Woche der Konkurrenz weiterhin vergnügt die Bälle um die Ohren schlägt, hat ihn, "positiv überrascht". Der Routinier, lange bester Tennisspieler hierzulande, litt an einer Hüftverletzung, hatte im vergangenen Pandemie-Jahr nur wenig gespielt und war zuletzt sogar bei einem Challenger-Turnier angetreten, um Schlaghärte zu trainieren.

Vor wenigen Tagen, so erzählt Kohlmann, habe Kohlschreiber in der Qualifikation für ein Turnier in Parma noch sang- und klanglos gegen die Nummer 256 der Weltrangliste verloren. Nun scheuchte er im Hurra-Stil den Russen Aslan Karazew, den Halbfinalisten der Australian Open, aus dem Turnier. Nächster illustrer Gegner ist der Argentinier Diego Schwartzman, Nummer zehn der Welt. Auch so sehen Triumphe von Berufstennisspielern aus.

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