Zu den bedauerlichen Eigenschaften des Tennissports gehört der Umstand, dass es immer nur Sieger und Besiegte geben kann. Für Naomi Osaka, die gern in größeren Maßstäben denkt, sind das viel zu enge Kategorien. Wichtiger, sagte sie in Paris nach einem Feuerwerk an Ballwechseln, an Enthusiasmus und Esprit, sei ihr die Gewissheit, dass sich das Publikum, unabhängig vom Resultat, gut unterhalten fühlte. Fast schüchtern bekannte sie: „Das sind die Momente, für die ich lebe.“
Zu jenen, die sie begeisterte, gehörte der britische Kollege Andy Murray. „Osaka gegen Swiatek, das ist ein brillantes Match“, teilte der zweimalige Wimbledonsieger, noch während die Partie lief, seinem Social-Media-Anhang mit. Den Kommentar verband er mit dem knappen Vermerk, dass die Frauentour WTA viel größeren Nutzen aus Galavorstellungen schlagen müsse. Immerhin rangen hier zwei Berühmtheiten ihres Sports auf höchstem Niveau um die Vorherrschaft: die viermalige Grand-Slam-Siegerin Naomi Osaka, 26, und die viermalige Grand-Slam-Siegerin Iga Swiatek, 22, aus Polen. Mehr Prominenz hat das Frauentennis derzeit nicht zu bieten.
French Open:Angelique Kerber verliert im Pariser Regen
Die Bremerin verliert ihr Auftaktmatch bei den French Open, wo sie wie so oft mit dem Sandboden hadert. Der Fokus der 36-Jährigen geht nun in Richtung Wimbledon.
Und auch wenn die Weltranglistenerste Swiatek nach dem knappen 7:6, 1:6, 7:5-Erfolg nun weiterhin die Chance hat, zum vierten Mal in Paris zu triumphieren: Sie hatte einen Matchball gegen sich – und ist Osaka nach drei Stunden Spieldauer nur mit Glück mit einem gehörigen Schrecken entkommen.
Im Juli ist Osaka Mutter einer Tochter geworden
Ein paar Tränen hat die Japanerin nach der knappen Niederlage in diesem Zweitrundenmatch von Roland Garros vergossen, das eines Finales würdig gewesen wäre. Doch dann, so erzählte Osaka, erinnerte sie sich an das vergangene Jahr, als sie schwanger war und die Auftritte von Iga Swiatek in Paris nur im Fernsehen verfolgte: „Es war mein Traum, noch mal gegen sie zu spielen.“
Im Juli ist Osaka, die je zweimal die US Open (2018, 2020) und Australian Open (2019, 2021) gewonnen hatte, Mutter einer Tochter geworden. Schon nach sechs Monaten kehrte sie in Australien in ihren Beruf zurück. Allerdings wollte sie nichts überstürzen und sich bis zum Herbst Zeit lassen, um sich in beste körperliche Verfassung zu spielen. Zumal sie die europäische Freiluftsaison auf den seltsam rutschigen Ziegelmehlplätzen – Red dirt, wie manche Amerikaner die französische Terre battue nennen –, lange als Zumutung empfand. „Ich bin ein Hardcourt-Kid“, sagt sie über sich.
In jüngster Zeit, spätestens seit ihrem Achtelfinaleinzug kürzlich in Rom, hat sie allerdings Spaß an der Sandplatzschlitterei gefunden. Mehr Spaß jedenfalls, als Swiatek, der Weltbesten auf diesem Geläuf, lieb sein konnte. „Es war ein intensives Match, viel anstrengender, als ich es in der zweiten Runde erwartet hätte“, sagte die Siegerin von Madrid sowie Rom. Wenn Osaka so weitermache, fügte Swiatek nur halb im Scherz hinzu, „dann wird sie noch zur Sandplatzspezialistin“.
Denn die Japanerin trieb Swiatek auf dem Court Philippe-Chatrier, ihrer Sandburg, in die Defensive: Den hart umkämpften ersten Satz verlor Osaka erst im Tiebreak; den zweiten dominierte sie nicht nur dank ihres mächtigen Aufschlags, der mit 190 km/h übers Netz flog und die wendige Polin unter Druck setzte. Sondern auch mit Volleys, Stopps und harten, geraden Schlägen in die Winkel. Im dritten Durchgang führte Osaka bereits 5:3, zwei Punkte fehlten zum Sieg, als sie einen Vorhandball statt übers Netz unerklärlicherweise in die Maschen beförderte. Kurz darauf unterlief ihr beim Matchball erneut ein Fehler, und Swiatek ergriff ihre Chance, das Match zu ihren Gunsten zu beenden.
Osaka ist bei ihrem Comeback nach der Schwangerschaft viel weiter als erhofft
Als Osaka eine halbe Stunde später zur Pressekonferenz erschien, im Basketballshirt der Los Angeles Lakers und mit Kopfhörern im Haar, hatte sie sich von dem kleinen Schock erholt. „In das Büchlein, das ich immer mitnehme, habe ich gerade den Satz notiert: Ich bin stolz auf mich“, erzählte sie. Denn im Grunde ist sie bei ihrem Comeback nach der Schwangerschaft auf die Tennistour viel weiter, als sie lange zu hoffen wagte.
Überraschend ist etwa ihre fast tänzerische Beweglichkeit, an der sie nicht nur mit ihrem Trainer arbeitet, dem Belgier Wim Fissette, der früher eine Zeit lang Angelique Kerber betreute. Entscheidend, so ließ sich Fissette dieser Tage zitieren, sei das Engagement des Regensburgers Florian Zitzelsberger, eines Fitnesscoaches mit exzellentem Ruf in der Tennisszene, sowie dessen Frau Simone Elliott, einer Choreografin und ehemaligen Ballerina. Nicht weniger als drei Ballettkurse, erzählte Osaka, habe sie seitdem belegt: „Seitdem habe ich ein ganz anderes Körpergefühl – als hätte sich eine Tür in eine neue Welt geöffnet.“
Den Tanz auf Sand hat sie mit Bravour gemeistert. Jetzt wird die Choreografie für Rasentennis einstudiert. Auch auf diesem Belag hat das „Hardplatz-Kid“ noch Defizite, die es bis Wimbledon aufzuholen gilt. In der Nacht nach dem Spiel verschickte Naomi Osaka noch eine Botschaft über ihren Social-Media-Kanal: „Danke. Ich hatte Spaß. Bis zum nächsten Mal.“