Coco Gauff bei den French Open:Die weiseste Teenagerin des Frauentennis

Coco Gauff bei den French Open: Wenn sie spricht, hören viele zu: Coco Gauff, hier während des Duells mit der Russin Mirra Andrejewa bei den French Open.

Wenn sie spricht, hören viele zu: Coco Gauff, hier während des Duells mit der Russin Mirra Andrejewa bei den French Open.

(Foto: Christophe Ena/AP)

Mit 19 Jahren ist Coco Gauff die Nummer sechs der Weltrangliste. Vergangenes Jahr verlor sie bei den French Open das Finale - nun nimmt sie erneut Anlauf. Über eine Frau mit gewichtigen Worten und Beschützerinstinkten.

Von Gerald Kleffmann, Paris

Coco Gauff stand in der brennenden Sonne, die an diesem Samstagnachmittag auf den Court Suzanne-Lenglen herunterschien, als sie über Mirra Andrejewa sprach. Gerade hatte sie das Drittrundenduell mit der 16 Jahre alten Kontrahentin aus Russland 6:7 (5), 6:1, 6:1 gewonnen. Nun war vor ihr ein Mikrofon platziert, der frühere Profi Alex Corretja aus Spanien fragte, wie es war, gegen dieses Talent zu spielen. "Sie ist superjung und hat eine große Zukunft vor sich", sagte Gauff mit analytischem Ton. Sie erinnerte sich daran, als sie selbst mit 16 Jahren in Paris das erste Mal gespielt hatte, sie äußerte ihr Mitgefühl mit Andrejewa.

Corretja wollte wissen, wie Gauff sich auf diese Gegnerin vorbereitet hatte, der sie nie gegenüber gestanden hatte. Da lächelte Gauff und erklärte: Sie sei bis vor ein, zwei Jahren ja auch in dieser Rolle gewesen, neuen Spielerinnen auf dem Platz zu begegnen. Zudem, sie habe bei diesen French Open mit Andrejewa trainiert. "Ich war von ihrem Niveau beeindruckt", betonte sie. Sie klang empathisch und fand die richtigen Worte. Gauff ist übrigens nicht 26 oder 32 Jahre alt. Sie ist immer noch 19. Sie ist, ganz sicher, die weiseste Teenagerin des Frauentennis.

Gauff, die selbst mit 15 Jahren das Label "Wunderkind" erhielt und 2019 ihren ersten von drei WTA-Titeln in Linz errang, hat fürwahr Beeindruckendes geschafft: Die Amerikanerin aus Delray Beach, Florida, wurde als Kind regelrecht in den Tenniskosmos geworfen, weil die Erfolge so schnell kamen. Und doch ist sie geradeaus und unverstellt geblieben. Es ist bekannt, dass die Eltern von Gauff, Vater Corey und Mutter Candy, vernünftige Menschen sind. Der frühere Basketballspieler und die frühere Leichtathletin haben ihr Werte mitgegeben.

Sie hat vor allem Rückgrat. Sie verkroch sich nicht nach bitteren Niederlagen, wie vor einem Jahr in Paris, als sie das Finale erreichte, aber von der Polin Iga Swiatek spielerisch gedemütigt wurde. Ihr reifer Auftritt endet auch nicht an den Toren der Tennisanlage. Sie findet oft den richtigen Ton. Als zum Beispiel während der French Open 2022 ein weiterer tragischer Amoklauf in den USA geschah, schrieb sie auf die Scheibe einer TV-Kamera, als sie den Platz nach einem Match verlassen hatte: "Peace. End gun violence". Später forderte sie mit Nachdruck, die USA müssten sich ändern.

Eine dominante Spielerin zieht in Paris überraschend zurück

Gauff ist zurzeit die Nummer sechs der Weltrangliste, noch ist unklar, ob sie je wieder so nah an einen Grand-Slam-Pokal im Einzel kommen wird wie im Vorjahr. An der schlaggewaltigen Aryna Sabalenka aus Belarus und der bei Gegnerinnen Dauerstress erzeugenden Swiatek ist nur schwer vorbeizukommen. Elena Rybakina, die in Moskau geboren wurde und für Kasachstan startet, ist die dritte dominante Akteurin, die zu diesem Trio gehört. Die 23-Jährige zog diesmal allerdings überraschend am Samstagvormittag vor ihrem Drittrundenmatch gegen die Spanierin Sara Sorribes Tormo zurück: Sie hatte sich einen Infekt eingefangen und sah bei einer kurzen Pressekonferenz mitgenommen aus. Aber selbst wenn Gauff nur eine erste, zweite, dritte Runde bestreitet, weiß man, dass sie stets etwas zu sagen hat - entsprechend gut besucht ist der Pressekonferenzraum, wenn sie angekündigt wird.

Dieser Tage zum Beispiel saß sie einmal vor der Weltpresse und erzählte so beiläufig, als würde sie über einen Spaziergang an der Seine referieren, dass sie gerade dabei sei, in eine andere Lebensphase überzutreten. Zwölf Monate seien wieder vergangen, zu gerne würde sie unbedarft dieses Turnier angehen - "aber ich fühle, das ist nicht realistisch, weil ich eine andere Person bin als im letzten Jahr".

Eine Frage nach zu wenig Frauenmatches in der Night Session beantwortet Gauff pointiert

Sie müsse nun, führte sie aus, für sich einen Weg finden, wie sie ihren Beruf "mit der Version von mir jetzt" vereinbare. Gauff klang nachdenklich, reflektiert, als sie schilderte, wie sie diesen Reifeprozess angehe: "Das geschieht durch Versuch und Irrtum." Die Stadt Paris spiele dabei eine wichtige Rolle, denn "aus irgendeinem Grund", philosophierte sie weiter, lerne sie hier immer wieder Neues über sich selbst. Gerade wisse sie eines: "Ich denke, ich bin gerade dabei, erwachsen zu werden."

Auch am Samstag sprach sie wieder interessante Gedanken aus. Viele Berichterstatter kritisierten oft bei den French Open, dass fast nie Frauenmatches in der Night Session angesetzt werden, Gauff erwiderte dazu: Sie und auch andere Kolleginnen, die sie kenne, wollten gar nicht am meist ungemütlichen Abend spielen. Das war natürlich eine herrliche Pointe.

Mit Beschützerinstinkt für die jüngere Kollegin: "Werde nicht hier sitzen und sie dafür beschimpfen"

Ein Reporter der New York Times warf die Frage auf, ob man zu viel über das Alter berichte, woraufhin Gauff ein 1a-Impulsreferat hielt - mit Pro und Contra zu diesem kniffligen Thema. Und ja, zu oft werde unterm Strich das Alter, zumindest in ihrem Fall, hervorgehoben. Es sollte mehr darum gehen, wie gut jemand Tennis spiele, findet sie, ungeachtet der Lebensjahre, die jemand besitzt. Aber typisch Gauff: Sie konnte nachvollziehen, dass Berichterstatter eben auch diesen Aspekt beim Berichten einfließen lassen müssen, wenn es denn relevant ist.

Beschützend äußerte die Amerikanerin dann noch einen Wunsch, weil Mirra Andrejewa ja kurz vor einer Disqualifikation stand, als sie im Tie-Break des ersten Satzes einen Ball wütend in die Menge drosch und einen Zuschauer traf. Auch später wirkte sie, obwohl sie phasenweise tolle Schläge zeigte, etwas trotzig und schnell beleidigt. Nur: Sie ist noch ein Mädchen, Jahrgang 2007. "Also ich werde nicht hier sitzen und sie dafür beschimpfen", sagte Gauff, sie schaute in die Runde, "ich hoffe, dass ihr das auch nicht tut." So ist Cori Gauff: Sie steht immer irgendwie auf der richtigen Seite.

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