Alexander Bublik bei den French OpenMister Unberechenbar

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Alexander Bublik ist gegen Jack Draper fast alles gelungen – auch das Spiel mit dem Publikum.
Alexander Bublik ist gegen Jack Draper fast alles gelungen – auch das Spiel mit dem Publikum. (Foto: Dimitar Dilkoff/AFP)

Er schläft gerne lang und spielt Bälle auch durch die Beine, wenn es nicht nötig wäre: Der Kasache Alexander Bublik ist ein ungewöhnlicher Tennisprofi. Hat er im Viertelfinale gegen Jannik Sinner wieder einen seiner Zaubertage?

Von Barbara Klimke, Paris

Am ersten Tag der French Open in Paris lief Alexander Bublik nach längerer Zeit seinem englischen Tenniskollegen Jack Draper über den Weg. „Bist du unter die Martial-Arts-Kämpfer gegangen?“, fragte Bublik amüsiert. Die Frage, was normal ist und wo der Bereich „crazy“ beginnt, treibt Bublik seit Jahren um. Sie kennen einander gut, und der rasante Aufstieg des jungen Briten bis auf Platz fünf der Weltrangliste ist Bublik nicht entgangen. Aber dass es ihn selbst freiwillig stundenlang ins Gym und an die Hantelstangen zieht, würde Bublik nicht behaupten. Er ist schon froh, wenn er morgens rechtzeitig aus dem Bett kommt.

Ein Detail, das ihn an Grand-Slam-Turnieren stört, ist der Umstand, dass er mitunter zum Matchbeginn schon um 11 Uhr auf dem Platz erwartet wird. Normalerweise, so erzählte er es dieser Tage in Paris, klingelt der Wecker nicht vor neun oder zehn, dann trinkt er Kaffee, sitzt am Küchentisch mit der Familie und spielt mit seinem Sohn. Vor zwölf verlässt er selten das Haus. Tennis ist sein Beruf, nicht seine Obsession. Wenn er damit nicht den Lebensunterhalt verdienen würde, hat er vor einigen Jahren zur SZ gesagt, hätte er sich längst interessanteren Dingen zugewandt. Er liebt das Spiel, aber der Stress, „die Reisen, die Verletzungen, 35 Wochen von der Familie getrennt zu sein, das wäre mir ohne das Geld den Aufwand nicht wert“.

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Es gibt nicht mehr viele seiner Art, die das Leben als Tennisprofi derart locker sehen; die ihren unorthodoxen Lebens- und Spielstil zelebrieren und sich nach einem gelungenen Volley schelmisch vor dem Publikum verbeugen. Bublik, 28, der in Gattschina bei St. Petersburg geboren wurde, aber seit 2016 für Kasachstan antritt, zaubert lieber drei Stoppbälle aus dem Handgelenk, als sich auf zermürbende Grundlinienduelle einzulassen. Er spielt die Bälle rückwärts durch die Beine, auch wenn das nicht zwingend nötig wäre. Den zweiten Aufschlag drischt er oft so hart wie den ersten übers Netz – statistisch steht er bei den Doppelfehlern weltweit unter den Top-5. Kaum ein Kollege spielt gern gegen Mister Unberechenbar. Als feststand, dass Bublik, derzeit Nummer 62 der Weltrangliste, im Achtelfinale der French Open auf den Modellathleten Draper treffen würde, sagte er: „Wie ich ihn schlagen soll? Keine Ahnung. Ich werde das spielen, was ich kann, und wir wissen ja alle, wozu ich imstande bin.“

K.o., aber glücklich: Alexander Bublik nach dem verwandelten Matchball.
K.o., aber glücklich: Alexander Bublik nach dem verwandelten Matchball. (Foto: Julian Finney/Getty Images)

Und dann lag Alexander Bublik am Montagabend rücklings im Sand von Roland Garros, das halbe Gesicht mit rotem Ziegelmehl verschmiert. 5:7, 6:3, 6:2, 6:4 hatte er Draper geschlagen, und als er sich wieder aufgerappelt hatte und vor dem Mikrofon auf dem Platz stand, schimmerte es nass in seinen Augen. „Manchmal hat man im Leben nur diese eine Chance. Und die muss man ergreifen. Punkt“, sagte er. Bublik ist ein ausgezeichneter Doppelspieler, hat vier Einzeltitel in seiner Karriere gewonnen, unter anderem 2023 beim Turnier in Halle/Westfalen, aber erstmals steht dieser Ball- und Lebenskünstler im Viertelfinale eines Grand-Slam-Turniers. Sein nächster Gegner am Mittwoch wird nun ausgerechnet der Weltranglistenerste, Jannik Sinner aus Italien, sein.

Bublik spielte Draper mit frenetischer Unterstützung des Pariser Publikums nach allen Regeln der Kunst aus, mit 12 Punkten aus Stopps und 68 klaren Gewinnschlägen. Der 23 Jahre alte Brite wusste kaum, wie ihm geschah: „Es gibt nicht viele Matches, bei denen ich das Gefühl habe, komplett die Kontrolle zu verlieren“, sagte er: „Heute hat er das geschafft.“

Es war einer jener Zaubertage, an dem alles, was man anfasst, gelingt. Das wusste Bublik. Aber er hat in diesem Jahr tatsächlich auch schon mehr Matches auf dem ungeliebten Sand gewonnen als in den vergangenen drei Jahren zusammen. Der Grund? „Ich meckere darüber nicht mehr so viel – notgedrungen.“

Zu Beginn seiner Karriere, so erzählt er, hätten die Kollegen das Leben noch locker gesehen

In den vergangenen Monaten war er überraschend aus den Top 50 der Weltrangliste gerutscht: aus dem Biotop, in dem er sich eingerichtet hatte, in dem er ein finanzielles Auskommen findet, ohne sich komplett aufzureiben. Er begab sich deshalb auf die Ochsentour des Tennis und spielte spaßbefreit zwei Turniere in der unterklassigen Challenger-Serie, um die Talfahrt zu stoppen und die notwendigen Punkte zu sammeln. Er kann hart arbeiten, wenn er will. Aber er sorgt sich auch um seinen Sport, dessen Professionalisierung Jahr für Jahr voranschreitet, in dem es um „Performance“ gehe und „Roboter“ spielen, wie er sagt.

Zu Beginn seiner Karriere, so erzählt er, hätten die Kollegen das Leben noch locker gesehen. Kaum jemand sei mit eigenem Fitnesstrainer, Physiotherapeuten und einem Stab von Analysten um die Welt gereist oder hätte permanent an Training, Behandlung und Gym gedacht. Jetzt führe er Gespräche darüber, was normal ist. Ist es normal, in Paris abends vor einem Match noch mal in die Stadt zu gehen? Oder ist das crazy? Ist es normal zu schlafen, wenn man müde ist? Ein Training auszulassen, wenn man sich nicht danach fühlt? „Die Top-Ten-Spieler unter meinen Freunden betrachten mich als Außenseiter“, sagt Bublik. Er sei sicher nicht „der professionellste Athlet auf dem Planeten“. Aber er findet es seltsam, wenn Leute nach 25 Titeln noch immer nicht genug haben.

Auch die Zauberschläge spielt er nicht nur zum eigenen Vergnügen und zur Unterhaltung des Publikums: „Um gegen die Besten zu bestehen, muss ich meine eigenen Mittel anwenden. Ich muss mehr tricksen, weil sie mehr laufen und mehr Kraft haben.“ Und wenn er viermal nacheinander von unten aufschlägt und so noch einen 0:40-Rückstand dreht, ist ihm das auch recht. Alles schon vorgekommen in der Welt des Alexander Bublik.

Aber er wird sich und seinen Körper nicht kaputt machen auf der Tour. Gesundheit gehe vor, sagt Bublik.  Er habe eine Familie, er sei Vater, seine Work-Life-Balance liege bei 50:50. Und er will noch schmerzfrei laufen können, wenn er 40 ist.

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