Süddeutsche Zeitung

Tennis:Nur noch ein Funken Hoffnung

Roger Federer muss schon wieder am Knie operiert werden und fällt monatelang aus. Ob der nun 40-Jährige noch mal dauerhaft auf die Tennistour zurückkehrt, ist fraglich - er selbst klingt skeptischer denn je.

Von Gerald Kleffmann

Am Wochenende noch schien alles unbeschwert zu sein, jedenfalls kündigte ein Video auf seinem Instagram-Auftritt davon, dass es ihm bestens gehe. Roger Federer stand an einer Tischtennisplatte, eine Seite hochgeklappt, so spielte er dutzende Male den Ball gegen die Wand, die brasilianische Band O Terno tirilierte dazu aus dem Off den Song Bielzinho/Bielzinho. Als er am Ende die Kontrolle über den Ball verlor, schmunzelte Federer.

Nur einen Tag später sah sein Lachen gequält aus, schon bei seiner Begrüßung ("Hallo alle, Roger hier, ich hoffe, euch geht es gut") war es so, als müsste er schlucken. Als müsste er etwas Unangenehmes kundtun - und genau so kam es dann. Er müsse wieder an seinem Knie, seinem rechten, operiert werden, wie schon zweimal im vergangenen Jahr. Er redete nicht lange drumherum, was das bedeute: "Ich werde für viele Wochen Krücken brauchen und bin für viele Monate raus."

Nur 1:36 Minuten dauerte sein Vortrag, aber er reichte, um klarzustellen: Noch nie war die Fortsetzung dieser so ruhmreichen Karriere fraglicher als zu diesem Zeitpunkt. Und diesmal wird das auch von keiner Spekulation von außen genährt. Diesmal ist es Federer selbst, der sagt: "Ich bin realistisch, versteht mich nicht falsch. Ich weiß, wie schwer das ist in diesem Alter mit einem weiteren Eingriff." Es sah, wie er so sprach, fast so aus, als würden seine Augen feucht. Leicht, darf man annehmen, fielen ihm diese Worte nicht.

"Es wird schwer sein in mancher Hinsicht", sagt Federer, "aber ich weiß, dass es richtig ist"

Kürzlich, am 8. August, ist Federer 40 Jahre alt geworden, und der 20-malige Grand-Slam-Sieger und für viele größte Spieler seines Sports hatte diese Marke mit Humor zur Kenntnis genommen. "Das war ein wenig wie beim Millennium, als man gemeint hat, die Computer funktionieren nicht mehr", erzählte er jüngst der Schweizer Zeitung Blick, "ich bin am Morgen aufgewacht, als 40-Jähriger, und habe gemerkt, dass alles noch gleich ist wie am Vortag. Ich war erleichtert."

Dass alles noch so ist wie in seinem abgelaufenen Jahrzehnt, trifft allerdings auch auf seine Verletzung zu, die, wie Federer ausführte, während seiner Rasensaison zuletzt gar zurückgekehrt sei. "Dabei kamen wir zur Einsicht, dass es so nicht weitergehen kann. Damit ich mich mittel- und langfristig besser fühlen kann, brauche ich eine Operation", erklärte er seinen Schritt. "Es wird schwer sein in mancher Hinsicht. Aber ich weiß, dass es richtig ist. Ich will gesund sein und einen Funken Hoffnung bewahren, wieder auf die Tour zurückkehren zu können."

Einen Funken - wahrscheinlich ist das die kleinste Maßeinheit, mit der sich Federers Hoffnung aufwiegen lässt. Aber an irgendetwas muss man sich ja wohl klammern, wenn es eigentlich um eine viel größere Frage geht: Wie kommt Federer raus aus dieser so einmaligen Karriere, in der er nicht nur auf dem Platz zur Stilikone aufstieg? Auf Krücken? Kaum vorstellbar.

Genauso relevant für den Schweizer aus Basel ist aber auch die Anschlussfrage an das Thema Karriereende: In welchem körperlichen Zustand beginnt er sein neues Leben ohne Profitennis? Wie er in seinem Instagram-Beitrag verdeutlichte, hat nun die Unversehrtheit höchste Priorität. Der Eingriff sei "das Richtige, weil ich gesund sein will, weil ich später herumlaufen können will", betonte er. Es gibt wahrlich genügend Beispiele von Tennisprofis, die die Folgeschäden ihrer Laufbahn nie mehr korrigieren konnten, aus deutscher Sicht ist Boris Becker mit seinen künstlichen Hüftgelenken sicher der bekannteste Fall.

Besonders sichtbar wurde Federers Unsicherheit zuletzt in Paris

Dass Federer mit 40 immer noch überhaupt aktiv ist, liegt auch daran, dass er ein eher körperschonendes Tennis spielt - seine spielerische Ästhetik dient ja nicht dem Selbstzweck, sie half ihm stets, sich nicht derart aufzureiben wie Rafael Nadal. Und Federer investierte stets auch viel Zeit und Mühen in die Regeneration, wie 2016, als er sich selbst nach einem Unfall im Badezimmer am Knie verletzte und lange pausierte, um umso beeindruckender zurückzukehren. Bei den Australian Open 2017 errang er, als sei er einem Jungbrunnen entstiegen, seinen 18. Grand-Slam-Titel, im selben Jahr siegte er noch in Wimbledon und Anfang 2018 nochmals in Melbourne.

In jener Zeit wirkte vieles leicht und unkompliziert bei ihm, ganz anders als diesmal, nach seiner langen Auszeit im vergangenen Jahr. Als Federer sein Comeback zu Beginn der Saison anpeilte, überwog von Beginn an eine gewisse Schwere in Entscheidungen und in seinem Spiel. Zunächst musste er seinen Termin für die Rückkehr verschieben. In Doha tastete er sich im März erstmals heran, gewann ein Match, dann wieder eine Pause; es folgte ein Hin und Her, das besonders in Paris sichtbar wurde. Bei den French Open trat er nach reiflicher Überlegung an, siegte dreimal und zog sich vor dem Achtelfinale aus dem Turnier zurück. Um sich für Wimbledon, sein nach wie vor größtes aller Ziele, zu schonen. Im All England Club stieß er dann bis ins Viertelfinale vor, doch bei seinem vorerst letzten Match sah er nicht gut aus, oft agierte er zu langsam, zu ungenau, zu fehlerhaft. Der Pole Hubert Hurkacz überfuhr ihn förmlich, 6:3, 7:6, 6:0.

Nach seiner Ankündigung ist es schwer vorstellbar, dass Federer in dieser Saison noch einmal spielt. Die US Open verpasst er in jedem Fall, und welche Rolle er beim Laver Cup, seinem eigenen Event Ende September in Boston, einnehmen wird, ist unklar. Abschließend versprach er aber in seiner Videobotschaft, sich während seiner Reha-Phase zu melden. Nach dem Update ist vor dem Update - eine große Karriere nähert sich nun wohl wirklich ihrem Ende.

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