Tennis:Ein Traum für einen Kontinent

Wimbledon

Jubiläumstriumph: Ashleigh Barty mit der Siegerschale vor Londons Skyline.

(Foto: Ben Queenborough/Pool via Reuters)

Nach Jahrzehnten des Wartens erlöst Ashleigh Barty Australien mit ihrem Wimbledonsieg. Die 25-Jährige hat gelernt, mit dem Druck einer Siegerin klarzukommen - auch dank einiger Ratschläge einer legendären Landsfrau.

Von Barbara Klimke, London/München

Am Sonntag hat Evonne Goolagong Cawley noch einmal an Ashleigh Barty und die Fische erinnert. Goolagong Cawley, 69, stand vor einem riesigen Baum zuhause in Australien und erzählte dem dortigen Tennisverband in einem Video, dass es Zeiten gab, in denen die Anforderungen des Profisports die Kräfte der jungen Ashleigh Barty überstiegen. Sie war ein Teenager und plante eine Pause. "Gute Idee! Wirf die Angel aus!", rief Goolagong ihr damals zu. Fortan ging Barty fischen, und als eine Cricket-Liga für Frauen gegründet wurde, schloss sie sich einem Team aus Brisbane an. Fast anderthalb Jahre dauerte die Auszeit. Erst dann fand Barty eher zufällig zum Tennis zurück. Am Samstag nun, sechs Jahre später, hat sie das Wimbledon-Turnier gewonnen.

Als der Matchball in die Maschen flog, ging Barty, inzwischen 25, auf dem Centre Court in die Hocke. Sie schlug die Hände vors Gesicht und vergrub den Kopf in den Armen. Manchmal sind es die stillen Tränen, nicht die ausladenden Jubelposen, die einen Hinweis darauf geben, was ein Erfolg auf diesem Platz, vor 15000 Zuschauern, bedeuten kann. "Es hat lange gedauert, bis ich überhaupt gewagt habe, meinen Traum in Worte zu fassen und auszusprechen, dass ich dieses unglaubliche Turnier gewinnen will", hat Barty bekannt, als sie nach dem 6:3, 6:7 (4), 6:3 gegen die Tschechin Karolina Pliskova unter dem Applaus des Publikums den schweren Silberteller entgegennahm.

Träume gehen in Erfüllung - auch das hat Evonne Goolagong Cawley ihr beigebracht. Denn der Name der letzten Australierin, den der Silberschmied in die Venus-Rosewater-Schale eingravierte, war tatsächlich jener von Goolagong. 50 Jahre nach deren erstem Wimbledonsieg hat sich Barty zur Nachfolgerin ihres Vorbilds, ihrer Mentorin gekürt. Bescheiden selbst im Moment des Triumphs, vermutetet sie, es habe wohl daran gelegen, dass "die Sterne richtig standen".

"Ash ist wie eine kleine Schwester", sagt Goolagong Cawley

Was immer der Lauf der Planeten bewirkt: Irdisches Können, Spielintelligenz und Ballgefühl gehörten auch dazu. Und davon verfügt Barty, 2019 Siegerin der French Open in Paris und seit bald zwei Jahren Weltranglistenerste, reichlich. Dennoch wäre es kaum verwunderlich gewesen, hätten ihr an diesem Samstag in London die Hände gezittert: Denn sie trug im Finale, ihrem ersten in Wimbledon, nicht nur ein Kleid am Körper, dessen Schnitt und Bogensaum an das weiße Dress ihres Idols im Sommer 1971 erinnerte. Sie trägt auch die Verbundenheit mit den indigenen Wurzeln Goolagongs, die aus einer Aboriginal-Familie stammt, im Herzen. "Evonne ist so ein wichtiger Mensch in meinem Leben", sagte Barty, deren Vorfahren aus einer Ngarigo-Familie kommen: "Sie hat den Weg bereitet und indigenen Jugendlichen vorgelebt, dass man seinen Traum umsetzten kann."

Noch heute ist Goolagong Cawleys Wirken in ihrer Stiftung darauf ausgerichtet, Mädchen aus indigenen Familien zu Tennisspielerinnen und Trainerinnen auszubilden. Auch abseits des Tennisplatzes sei ihr Vermächtnis außerordentlich, sagte Barty: "Wenn ich nur halb der Mensch sein könnte, der Evonne ist, wäre ich ein sehr, sehr glücklicher Mensch." Darüber war Goolagong Cawley nun ihrerseits gerührt. Sie sei stolz auf ihre junge Kollegin, sagte sie am Sonntag: "Ash ist wie eine kleine Schwester und Teil meiner Familie."

Doch Barty nahm nicht nur die Bürde mit auf den Rasen, ihr Idol nicht zu enttäuschen, das sogar zweimal in Wimbledon gewonnen hatte: 1971 als 19-Jährige und erneut 1980, als sie schon Mutter war. Sie hatte sich zusätzlich die Last der Erwartung eines ganzen Kontinents auf die recht schmalen Schultern gewuchtet. Denn sie mag zwar die Nummer eins im Tennis sein; die Längste ist sie mit 1,66 Meter Größe wahrlich nicht. "Australien hat so eine reiche Sportgeschichte", sagte sie, und nach 41 Jahren des Wartens sei sie froh, ein kleines Kapitel hinzufügen zu können: "Ich hoffe, dass ich ebenfalls nun für Jungen und Mädchen einen Weg vorausweisen kann."

Ein Sieg als Inspiration - zumal ihre körperliche Verfassung nicht die beste war: Bei den French Open im Juni hatte sie wegen einer Hüftverletzung vorzeitig aufgegeben und anschließend keinen Wettbewerb mehr bestritten. Über die Diagnose ließen ihr langjähriger Trainer Craig Tyzzer und der Rest des Teams sie im Ungewissen, sagte sie nun; die Prognose sei wohl alles andere als vorteilhaft gewesen.

Tennis: Nicht die längste Spielerin auf der Tour, bei weitem nicht, aber spielintelligent wie nur wenige andere: Ashleigh Barty.

Nicht die längste Spielerin auf der Tour, bei weitem nicht, aber spielintelligent wie nur wenige andere: Ashleigh Barty.

(Foto: Mike Hewitt/AP)

Doch im Finale war von all diesen Beschwernissen herzlich wenig zu sehen. Barty sprintete förmlich hinein in das Match gegen Pliskova. Sie sicherte sich 14 Punkte in Serie, und bis zum 4:0 deutete alles auf ein Endspiel in Rekordzeit hin. Pliskova verfügt über einen der besten Aufschläge auf der Tour, 54 Asse waren ihr bis zum Halbfinale gelungen, doch Barty retournierte anfangs mit einer Sicherheit, als flögen ihr Wattebälle entgegen. Nach einer halben Stunde war der erste Satz vorbei.

Anschließend bewies Pliskova, 29, weshalb sie seit Jahren zu den konstantesten Spielerinnen zählt - viele halten sie sogar für die beste, die nie einen Grand-Slam-Titel gewann. Einmal nur stand sie im US-Open-Finale 2016, das sie gegen Angelique Kerber verlor. Seit einigen Monaten wird sie vom deutschen Erfolgscoach Sascha Bajin trainiert, der die Japanerin Naomi Osaka zu zwei Grand-Slam-Siegen führte; diesmal hatte sie tatsächlich Chancen, konnte den Tiebreak des zweiten Satzes gewinnen, doch blieb wieder ohne Fortüne. Den dritten rettete Barty nach einem frühen Break ins Ziel.

Schon einmal hatte Barty auf diesem Platz gestanden, ebenfalls mit einer Trophäe in der Hand: 2011, als sie das Jugendturnier gewann. Damals reiste sie überstürzt noch vor dem Champions Dinner ab, weil sie den Trubel und die Aufregung, die ihr Matchball verursachten, nicht ertrug. Sie hat gelernt aus den Erfahrungen, sie hat beizeiten eine Pause eingelegt und ist fischen gegangen. Heute ist ihre Karriere in Ruhe und Konstanz verankert. Ein Wimbledonsieg, das weiß sie heute, ist nicht alles im Leben. "Ich hatte einfach extremes Glück, dass ich die Möglichkeit hatte, Tennisspielen zu lernen", sagte sie zum Schluss. "Aber ein guter Mensch zu sein, das hat für mich jeden einzelnen Tag absolute Priorität."

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: