Tennisprofi Dominic Thiem:Die Handbremse ist gelöst

Tennisprofi Dominic Thiem: "Bis Juni bin ich in die falsche Richtung gelaufen": Dominic Thiem, der beim Turnier in Wien den Amerikaner Tommy Paul in der ersten Runde bezwang.

"Bis Juni bin ich in die falsche Richtung gelaufen": Dominic Thiem, der beim Turnier in Wien den Amerikaner Tommy Paul in der ersten Runde bezwang.

(Foto: Mathias Schulz/tennisphoto.de/Imago)

Der lange verletzte Dominic Thiem erlebte im Frühjahr ein niederschmetterndes Comeback - erst jetzt kämpft sich Österreichs Tennisgröße langsam wieder nach oben.

Von Gerald Kleffmann

Diese Geste ist wieder da, für Dominic Thiem ist das ein gutes Zeichen. Er hebt jetzt wieder öfter den Arm, winkelt ihn ab, die Hand formt sich zu einem Ballen. Mit diesem wippt er dann vor und zurück, als würde er an eine Tür klopfen. Tennisprofis sind spezielle Wesen, jeder hat Bewegungen, die unverwechselbar, nicht gespielt sind, die im Moment der Freude aus ihnen herauskommen.

Alexander Zverev, über den bekannt wurde, dass er nach seiner langen Verletzungspause bei einem hochdotierten Schauturnier Anfang Dezember im nicht gerade menschenrechtsfreundlichen Saudi-Arabien antritt, reißt gerne den Mund auf, er erinnert so an einen Löwen. Roger Federers Ausruf "Chum jetz!", mit dem sich der Schweizer früher immer aufpeitschte, war ebenfalls ein Alleinstellungsmerkmal. Wie die Thiem-Faust, die in dieser Woche in Wien eine weitere Auferstehung erlebte.

Dominic Thiem, inzwischen 29 Jahre alt, nimmt an der Erste Bank Open teil, einem Turnier der 500er Kategorie, es ist exzellent besetzt mit dem Russen Daniil Medwedew als Topgesetztem. Am Dienstagabend besiegte Thiem in der ersten Runde nach 2:55 Stunden und der dramatischen Abwehr zweier Matchbälle den Amerikaner Tommy Paul mit 2:6, 7:6 (2), 7:6 (6). In normaleren Zeiten wäre dieser Erfolg ein mittelgroßes Ereignis in Österreichs Tenniswelt. Aber dass Thiem in der Halle gefeiert wurde wie ein Popstar nach der dritten Zugabe, liegt eben auch daran, dass viel passiert ist in den vergangenen zwei Jahren.

Thiem hatte im Herbst 2020 die US Open gewonnen, er war der Erste der jüngeren Generation, der auf diesem Niveau die Dominanz der Branchenriesen Federer, Novak Djokovic und Rafael Nadal durchbrach. Dann verletzte er sich, und seine Geschichte war seitdem nicht eine jener Versionen, wie sie sonst gern vorkommen: Ein Spitzenathlet wird aus körperlichen Gründen zurückgeworfen, wird gesund, kämpft sich zurück, ist wieder irgendwie der Alte. Thiem wurde lange nicht gesund. Thiem kämpfte, aber fand nicht den Anschluss. Der Alte? Thiem wirkte eher nur alt, als er in die Tour einstieg, im März dieses Jahres. Im Februar 2021 war er die Nummer drei der Weltrangliste. Im Juni 2022 war er die Nummer 352.

Thiem war immer einer, dessen Befinden sich vor allem in seiner Körpersprache ausdrückte. Selbstvertrauen ist die Basis seines Spiels, neben seiner Physis. Sein Tennis lebt vom früheren Treffmoment beim Schlagen, Entschlossenheit ist gefordert, nicht Zagheit. Sein Problem war, dass seine Verletzung die rechte Schlaghand betraf, zehn Monate hatte er versucht, einen Einriss in der Sehnenscheide und der Gelenkkapsel zu kurieren. Er dachte, er sei fit, aber auf diesem Niveau gibt es einen Unterschied zwischen fit und konkurrenzfähig. Thiem stieg im März bei einem Challenger, einem kleineren ATP-Turnier, in Marbella ein, verlor - und dann noch weitere sechs Mal gleich in der ersten Runde bei Turnieren. Er war ratlos. Bei den French Open, wo er zweimal im Finale stand, schied er sofort aus. "Es ist, wie es ist", brachte er nur hervor.

Sein Fitnesstrainer Jez Green ist sich sicher: "Wir werden bald den Vintage-Dominic-Thiem zu sehen bekommen."

Seine Geschichte hat aber inzwischen eine gute Wende genommen, und letztlich hat ihm wohl eine Eigenschaft geholfen, sich aus dieser Lage zu befreien: Er ist zäh. Er arbeitet einfach weiter und weiter. Da ist er noch ganz der Günter-Bresnik-Zögling, auch wenn er sich mit seinem früheren langjährigen Trainer, Manager und Mentor überworfen hat. Thiem mag noch nicht der Alte sein. Aber der Zuseher gewinnt allmählich das Gefühl: Der kommt einem bekannt vor! Die Vorhand pfeift wieder, der Rückhandslice stresst Gegner.

Vor dreieinhalb Wochen räumte Thiem Fehler in der Aufbauphase ein. "Bis Juni bin ich in die falsche Richtung gelaufen, danach in die richtige", sagte er, ohne genauer ins Detail zu gehen. Doch es ist offensichtlich, dass sich die kontinuierliche Arbeit mit Jez Green auszahlt. Der frühere Fitnesstrainer von Andy Murray und Alexander Zverev verriet kürzlich in einem Artikel für die Plattform tennishead.net: "Wir haben seinem Fitnessprogramm Wissenschaft hinzugefügt, das hatte er vorher nicht wirklich gemacht." Der Brite ist sich sicher: "Ich glaube, wir werden bald den echten, den Vintage-Dominic-Thiem zu sehen bekommen."

Thiem klingt jedenfalls bereits anders. Das Ratlose in ihm ist gewichen. Er sagt: "Ich bin in der Lage, jeden Tag ein Match zu bestreiten." Zuletzt stand er zweimal im Halbfinale von 250er ATP-Turnieren, in Gijon und Antwerpen. Kleine Schritte, wichtige Schritte. Auch mental wirkt er weniger anfällig. Obwohl er schon lange aktiv ist, musste er ja auch eine ihm unvertraute Situation bewältigen. "Ich muss die Handbremse lösen, in Drucksituationen die richtigen Entscheidungen treffen", sagte er Ende September. "Das muss man nach so einer langen Pause neu erlernen. Die Aufs und Abs müssen weniger, der Konzentrationslevel muss länger gehalten werden."

Es ist viel passiert seit Thiems Triumph bei den US Open 2020. Zudem: Die Konkurrenz wartet nicht auf Zurückgelassene. Er ist sich bewusst, dass Junge wie der Weltranglistenerste Carlos Alcaraz aus Spanien oder der Südtiroler Jannik Sinner gerade "das Tennisspiel verändert, beschleunigt, auf eine neue Stufe" gehoben haben: "Im Vergleich zu ihnen sind oder waren die legendären Drei fast defensiv und verhalten."

Doch eines gibt Thiem Hoffnung in diesem mühsamen Prozess des sich Vorwärtsrobbens: "Die Richtung stimmt." Und er sagt: "Ich bin wieder konkurrenzfähig, dieses Ziel habe ich erreicht." Dass er sein Tief überwunden hat, machte er deutlich: "Sobald Wien vorbei ist, werde ich aufs Ranking schauen." Derzeit ist er Nummer 113 in der Weltrangliste, aber bald sollte er sich im zweistelligen Bereich wiederfinden.

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