Roger Federer machte es sich bequem auf seinem Platz, natürlich saß er nicht irgendwo abgelegen in der mächtigen Qizhong Arena von Shanghai, sondern in der zweitbesten Reihe und in einer Art Ledersessel. Der Schweizer, der berühmteste Tennisrentner der Branche, war aus PR-Gründen für einen eigenen Sponsor nach China gereist, verband diesen Termin aber mit einem Besuch beim Finale des Masters-Turniers. Exquisite Gesprächspartner hatte er an diesem Sonntagnachmittag auch, wie die Fernsehkamera einfing, konnte er sich zu seiner Rechten mit Juan Carlos Ferrero unterhalten und zu seiner Linken mit Carlos Alcaraz.
Letzterer, zurzeit die Nummer zwei der Weltrangliste, war mit seinem Trainer und Landsmann aus Spanien vorbeigekommen. Der 21-Jährige wollte aber nicht nur wie Federer Tennis sehen, sondern musste ja auch auf die beiden Endspielteilnehmer warten. Mit dem Italiener Jannik Sinner und dem Serben Novak Djokovic sollte es später im Privatjet nach Riad gehen. Beim Six Kings Cup, einem Schauturnier in Saudi-Arabien, sind die drei am Start, um die nächsten Millionen zu kassieren. Beim Big Business, dem großen Geschäft, sind alle selbstverständlich dabei. Schnell verdientes Geld eben.
Djokovic zu den ATP Finals: „Was mich betrifft, so bin ich mit diesen Turnieren in meiner Karriere fertig“
Man muss heutzutage schon dreimal hinsehen, ob Matches von sportlicher Relevanz sind oder nicht, die besten Profis genießen mehr denn je das Privileg, kreuz und quer in der Welt eingeladen zu werden, um einfach nur ein bisschen gegeneinander zu spielen. Auf die US Open zum Beispiel folgte der Laver Cup in Berlin, eine nette (auch lukrative) Veranstaltung, nur eben nicht wichtig.
Zuletzt immerhin wurden beim Asien-Swing wieder ordentlich ATP-Punkte vergeben, zuerst in Tokio und Peking (Turnier der 500er Kategorie), nun in Shanghai (1000er). Wie sehr sich manche Prioritäten für die Topakteure verschoben haben, lässt sich gut an Djokovic festmachen. Der 37-Jährige hat sich für die ATP Finals Mitte November in Turin qualifiziert, das Jahresfinale der besten acht Profis. Doch er klingt, als wolle er erstmals auf die Teilnahme verzichten. „Was mich betrifft, so bin ich mit diesen Turnieren in meiner Karriere fertig“, sagte er kürzlich. Verständlich, allein siebenmal hat der erfolgreichste Spieler des Tennissports die ATP Finals gewonnen.

In Shanghai indes ging es durchaus um Bedeutendes, auch für Djokovic, der – das gab er zu – in dieser Spätphase seiner Karriere vor allem noch Motivation darin findet, entweder für sein Heimatland anzutreten oder allerletzte Bestmarken zu jagen. Mit einem Triumph am Sonntag etwa hätte er seinen 100. Titel errungen und wäre weiter zu den führenden Jimmy Connors (USA/109) und Federer (103) aufgerückt. Nur verwehrte ihm Sinner dieses Ziel, der 23-Jährige aus dem Pustertal, der inzwischen in Monte-Carlo lebt, siegte 7:6 (4), 6:3. So besonders Djokovics Jubiläumsturniersieg gewesen wäre, so beeindruckend ist nun das, was Sinner erreicht hat in diesem Jahr. Er ist wirklich der beste Spieler der Welt, so hatte ihn Djokovic selbst bezeichnet.
Freispruch vor Schiedsgericht – trotzdem ist Sinners Dopingfall noch nicht erledigt
Sinner gewann seinen siebten Titel 2024, darunter waren die Grand-Slam-Pokale in Melbourne und New York. Er gewann sein 65. Match, keiner siegte öfter seit Jahresbeginn. Von den letzten fünf Duellen mit Djokovic in den vergangenen elf Monaten entschied er vier für sich. Er ist der Erste seit Djokovic 2020, der zwei Masters-Events hintereinander gewann. Er ist überhaupt der Erste, der es schaffte, in zwei aufeinanderfolgenden Matches gegen Djokovic keinen Breakball zuzulassen. Der räumte später ein, Sinner sei „zu gut, zu stark, zu schnell“. Sinner, das steht schon fest, wird auch die Saison als Weltranglistenerster beenden – als erster Italiener. Er ist der neue Mann der Rekorde. Verblüffend dabei auch, wie Sinner seinen noch vor dem Internationalen Sportgerichtshof (Cas) anhängigen Dopingfall offensichtlich verdrängen kann. Nach einem Freispruch durch ein Schiedsgericht hatte die Welt-Anti-Doping-Agentur (Wada) Berufung eingelegt.
2024 ist, trotz seines Goldgewinns bei den Olympischen Spielen in Paris, das Jahr, in dem die absolute Dominanz von Djokovic endete. Und er selbst fühlt sich auch anders, vor allem älter, was mit diversen Abschieden engster Kontrahenten und Weggefährten zu tun hat. Federer hörte 2022 auf, im Sommer der Schotte Andy Murray, jüngst der Spanier Rafael Nadal. „Er war mein größter Rivale“, sagte Djokovic in Shanghai und gab zu, dass er sich wie der Last Man Standing einer alten Garde fühlt: „Mir macht es immer noch Spaß, an Wettkämpfen teilzunehmen. Aber ein Teil von mir ist mit ihnen gegangen... ein großer Teil von mir.“