Die Wolken lagen schwer und grau über Paris, als sich am Sonntag die Tore zum Stade Roland Garros öffneten. Für einen melancholischen Auftakt der 124. French Open war der Himmel angemessen verhangen. Es kommt ohnehin selten vor, dass die Tenniswochen gleich mit einem gewaltigen Kracher auf dem Platz beginnen, erst nach 14 langen Tagen entlädt sich am Ende das Finalfeuerwerk. Diesmal aber hat die veranstaltende Féderation Française de Tennis (FFT) den Programmhöhepunkt Sentimentalität mit Bedacht gleich an den Anfang des Turniers gelegt.
Mit Wehmut wird das Publikum darauf vorbereitet, dass das Karriereende von Richard Gasquet ansteht, einem der beliebtesten Spieler der Nation. Gasquet, 38 Jahre alt, bestreitet seine 22. French Open. In der ersten Runde trifft er auf den jungen Landsmann Terence Atmane, und er möchte, dass der Ball letztmals bei jenem Turnier von seinem Schläger fliegt, das er für das großartigste des Planeten hält: „Lichtjahre über allen anderen“, wie er sagt.

Seit er ein Kind war, eilte Gasquet zu den Plätzen am Bois de Boulogne, er übernachtete mit Freunden in den Schlafsälen des Tennisleistungszentrums, als sich das noch auf der Anlage befand. Schon 2005 spielte er in Roland Garros gegen den gleichaltrigen Rafael Nadal, der damals, vor 20 Jahren, die erste seiner sagenhaften 14 French-Open-Trophäen eroberte. Gasquet hingegen, der als Junior der Beste seines Jahrgangs gewesen war, hat später als Profi in Paris nur ein Mal triumphiert: 2004 im Mixed-Wettbewerb. Gegen den Spanier, dessen Krafft, Ballgefühl und Intuition für das Sandplatzspiel er für unvergleichlich hält, sei er chancenlos gewesen: Von ihren 18 Duellen hat er alle verloren.
Wer nur die Matchbilanzen liest, sieht eklatante Unterschiede. Nadal gewann 92 Turniere im Einzel, Gasquet 16. Aber es gibt viel, das sie verbindet: „Wir liegen im Alter nur 15 Tage auseinander“, sagt Gasquet, „wir haben zur selben Zeit angefangen.“ Deshalb war es eine hübsche Fußnote ihrer parallel laufenden Karrieren, dass in Paris nun für beide auch der offizielle Abschied erfolgt.
Nadal wurde am Sonntagabend auf dem Court Philippe-Chatrier für sein Lebenswerk geehrt. Es war der FFT ein Anliegen, dem Meister aus Manacor, dem „größten Spieler in der Geschichte von Roland Garros“, wie es der Verbandspräsident formulierte, Adieu zu sagen. Nadal hatte seine Laufbahn zwar schon im November beim Davis Cup in Malaga beendet und sein letztes Match der French Open vor Jahresfrist gegen Alexander Zverev verloren – es war nach 119 Partien erst seine vierte Niederlage in Roland Garros. Aber damals ging er ohne ein Au revoir.
Am Sonntag nun war das Stadion seiner 14 Triumphe bis auf den letzten Platz besetzt. Am Netz wurde zu seinen Ehren sein Fußabdruck enthüllt, der den Centre Court für immer prägen soll. Nadal dankte, mit Tränen in den Augen, allen: dem französischen Publikum, seinen Eltern, Ehefrau Maria, Onkel Toni, der lange sein Trainer war; den Konkurrenten und den Leuten hinter den Kulissen bis zum Chauffeur. Höhepunkt war der Auftritt seiner alten Rivalen, Roger Federer, Andy Murray und Novak Djokovic, alle im feinen Zwirn, die dem Kontrahenten und Freund zum Abschied auf die Schulter klopften.
„Eine Generation tritt ab“, so fasste Gasquet dieser Tage die Gefühlswelt in seinem Sport zusammen: „Die nächste ist schon im Anmarsch, so ist das im Sport.“ Aber das heißt nicht, dass die gesamte Altersklasse bereit ist, sich der Jugend ohne Widerstand zu ergeben: Denn Djokovic, der seit Donnerstag ebenfalls 38 Jahre alt ist, hat am Samstagabend seinen 100. Turniersieg gefeiert.

Es kam etwas überraschend. Zum einen hatte sich der serbische Großmeister nach Vorstellungen, die seinen Ansprüchen nicht genügten, erst kurzfristig entschlossen, so knapp vor den French Open noch eine Wildcard für das kleine Sandplatzturnier in Genf anzunehmen. Zum anderen ließen seine Ergebnisse zuletzt keinen Triumphzug erwarten. In Madrid, in Monte-Carlo, in Indian Wells und in Doha hatte der Rekord-Grand-Slam-Sieger in diesem Jahr nach dem jeweils ersten Match gleich wieder das Flugzeug bestiegen. Ihm fehlte die gewohnte Schlaghärte und Explosivität. „Das ist eine neue Realität für mich“, hatte er nach der Auftaktniederlage in Madrid eingeräumt. Nach 20 Jahren Berufstennis sei es eine „mentale Herausforderung, sich damit abzufinden, in Turnieren regelmäßig früh zu scheitern“. Sein letzter Titelgewinn, die olympische Goldmedaille in Paris, lag mehr als ein halbes Jahr zurück.
Nach dem Abschied alter Weggefährten hatte Djokovic die Motivationen verloren
Im Finale in Genf gegen den aufschlagstarken, zehn Jahre jüngeren Polen Hubert Hurkacz (5:7, 7:6, 7:6) war Djokovic über weite Strecken nicht der bessere Spieler. Aber dank einer Willenskraft, die er nicht für eine angeborene Gabe, sondern ausschließlich für das Resultat harter Arbeit hält, erkämpfte er sich einen Sieg mit Symbolkraft. Nur drei Tennisspieler haben jemals diese magische 100-Titel-Grenze erreicht: der US-Amerikaner Jimmy Connors, der noch immer den Rekord mit 109 Titeln hält, der Schweizer Roger Federer, der 103 Trophäen im Einzel sammelte, und nun Djokovic, dessen Ehrgeiz ungebrochen ist. Dass er im März im Finale von Miami kurz vor dem Eintritt in den 100er-Klub stand und gegen Jakub Mensík verlor, einen Spieler, der halb so alt ist wie er, hatte er als Ansporn begriffen.
Am Samstagabend in Genf erzählte Djokovic, dass seine jüngsten Niederlagen keineswegs schwindenden Kräften oder mangelnder Form zuzuschreiben seien. Vielmehr habe er mit dem Abschied seiner Altersgenossen Federer oder Murray auch einen Teil seiner Inspiration verloren. Besonders die Duelle mit Nadal, seinem härtesten Rivalen, fehlen ihm: „Es ist eine Herausforderung für mich, die Motivationen wiederzufinden.“
Es wird einsam in der Klasse der 38-Jährigen, die vor 20 Jahren schon auf den Centre Courts standen. Aber mit Sentimentalitäten sollte die Féderation Française de Tennis Djokovic besser noch verschonen. Pünktlich zu den French Open hat er auf Angriff umgestellt. Es gibt da noch Titel, die er sich schnappen kann.