Süddeutsche Zeitung

Novak Djokovic:Er trägt ein Brandmal für immer

Novak Djokovic ist auf dem Weg, als erfolgreichster Spieler in die Tennis-Geschichte einzugehen. Aber nach den Ereignissen vor den Australian Open ist klar: Der Makel von Melbourne wird ihn begleiten.

Kommentar von Gerald Kleffmann

Viele Male schon hatte sich Boris Becker, der einmal Novak Djokovic drei Jahre als Trainer betreute, mit Appellen an die Öffentlichkeit gerichtet. Der Tennisprofi aus Serbien möge endlich den Respekt erhalten, der ihm gebühre. Es war oft wirklich bizarr: Da bewegte sich Djokovic wie ein Gummimann, spielte das sichtbar weltbeste Tennis, rang selbst Roger Federer in Wimbledon, in dessen Wohnzimmer (das Urheberrecht auf den Begriff hat natürlich Becker) nieder - und wurde ausgepfiffen. Möglicherweise gibt es kaum einen Weltsportler, bei dem die Diskrepanz zwischen Leistung und Wertschätzung derart groß ist wie bei dem 34-Jährigen.

Er eilt ja zuverlässig wie kein anderer seit Jahren von Sieg zu Sieg, eine fundamentalere Krise leistete sich Djokovic nur 2017. Aber als er neue Energie und Gier entwickelte, schien es, als befinde er sich auf einer Mission. Als wolle er sich den Respekt erzwingen. Nun nicht durch Siege allein. Sondern durch das Sammeln von Rekorden.

Djokovic ist inzwischen in so vielen Bestenlisten an seinen vom Publikum doch mehr geliebten Widersachern Federer und Rafael Nadal vorbeigezogen, dass ihm höchste Anerkennung gewiss sein muss. Die Zahlen stünden für sich, hatte jüngst auch Alexander Zverev auf die im Tennis ewig diskutierte Frage geantwortet, wer der größte Spieler der Geschichte sei. Auch was die Häufigkeit an Grand-Slam-Titeln betrifft, sind ja die großen Drei gleichauf, bei jeweils unglaublichen 20 Pokalen - und der Trend spricht für Djokovic. Er ist mit 34 der Jüngste und Fitteste von ihnen, gewann 2021 drei von vier Major-Turnieren.

Federer? Wäre mit 40 froh, sich nach zwei Knie-Operationen auf dem Platz verabschieden zu können. Nadal? Wäre mit 35 und nach endlosen Sandplatzschlachten froh, wenn sein Körper ein, zwei Jahre hielte. Sollte Djokovic, aus Überzeugung nicht geimpft, noch einige Versuche bei Grand Slams erhalten, dürfte er davonziehen. Aber wird ihn das zum erhofften GOAT machen, zum Greatest Of All Time?

Seine Sturheit hat ihn nach oben befördert - nun aber auch den Zutritt zu den Australian Open gekostet

Fest steht, dass sein Vermächtnis für immer die Episode dieser Tage wie ein Brandmal tragen wird. Seine kompromisslose Sturheit, an sich und seine Fähigkeiten zu glauben, hat Djokovic nach ganz oben befördert. Das Schicksalhafte ist, dass ihn diese Sturheit nun auch den Zutritt zu den Australian Open gekostet hat - und Unmengen an Sympathie, weltweit.

So schrill seine verschworene Fangemeinde wehklagen mag: Die Zahl jener, die ihn kritisch sehen, ist rasant gestiegen und wird ihn umso weniger als Größten des Tennissports anerkennen. Weil zu diesem ehrenvollen Attribut eben mehr gehört als ein Dauerabonnement auf Erfolge.

Zu seiner Ehrenrettung sprachen nun einige Profikollegen, auch Naomi Osaka. "Er ist solch ein großartiger Spieler", sagte die Japanerin, aber auch sie wusste, bei aller Loyalität unter Berufsgenossen, die Ereignisse von Melbourne richtig einzuordnen: "Es ist irgendwie traurig, dass sich einige Leute so erinnern werden."

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