Wimbledon:Die Primaballerina spielt sich frei

Wimbledon: Eine Pirouette zum Abschied: Venus Williams.

Eine Pirouette zum Abschied: Venus Williams.

(Foto: AFP)
  • Venus Williams trifft im Halbfinale von Wimbledon auf die Britin Johanna Konta.
  • Die Amerikanerin war vor dem Turnier in einen tödlichen Autounfall verwickelt, tritt aber trotzdem konzentriert und kontrolliert in London auf.
  • Die 37-Jährige greift nun nach ihrem ersten Wimbledon-Finale seit 2009.

Von Barbara Klimke, London

Niemand vollführt eine schönere Pirouette auf den Tenniscourts als Venus Williams: Den schlanken Arm anmutig nach oben gereckt, ein Winken aus dem Handgelenk und dann anderthalb Mal auf Zehenspitzen um die eigene Achse gedreht. Das ist eine so elegante wie energiesparende Dankesgeste an das Publikum. Undenkbar ist die Vorstellung, dass Venus Williams wie einige ihrer Kollegen Schweißbänder ins Publikum schleudert oder Bälle in die Menge drischt. Sie dagegen hat in 20 Bühnenjahren minimalistische Auf- und Abtritte perfektioniert.

Ihr 100. Match hat Williams diese Woche im All England Club bestritten, oder besser: zelebriert. Im Alter von 37 Jahren schreitet die fünfmalige Wimbledon-Siegerin noch immer über den Platz, als trüge sie nicht Tennisschuhe, sondern Ballettschuhe. "Ich bin immer ruhig, das ist mein Stil", sagt sie. Mit Ruhe trat sie an die Grundline, mit Ruhe griff sie zu den Bällen und mit Ruhe holte sie mächtig aus, um ihrer Gegnerin, Jelena Ostapenko aus Lettland, ihren Aufschlag um die Ohren zu hauen.

Williams' Service ist eines der härtesten im Frauentennis, sie erreichte gegen Ostapenko eine Ballgeschwindigkeit von 189 km/h. Und es störte sie nicht im Geringsten, dass auf der anderen Seite eine zähe Rivalin stand, die, 17 Jahre jünger als sie selbst, vor kurzem erst die French Open gewonnen hatte. "Sie hat sehr gut mitgekämpft und eine Menge Dinge richtig gemacht", sagte Williams, nachdem sie die Jüngere mit 6:3, 7:5 aus dem Weg geräumt hatte. Es klang weniger nach Lob. Eher so, als habe die Primaballerina der Elevin generös auf die Schulter geklopft.

Im Halbfinale wird Williams nun auf die neue britische Tennishoffnung Johanna Konta, 26, treffen. Aber nur die wenigsten Experten hätten der US-Amerikanerin in ihrem Alter und mit ihrer Vorgeschichte zugetraut, dass sie überhaupt noch einmal so weit kommt - auch Martina Navratilova nicht, die sogar noch mehr Einzel-Matches als Venus Williams (134) auf Wimbledons Rasen bestritten hatte. "Ich glaube nicht, dass irgendjemand ihr vor vier oder fünf Jahren noch einen Chance bei einem Grand Slam eingeräumt hätte", sagte Navratilova.

Noch vor nicht allzu langer Zeit spielte Williams wie ein Schatten ihrer selbst, erst im Januar hat sie erstmals seit Jahren wieder ein Grand-Slam-Finale erreicht: In Melbourne unterlag sie ihrer Schwester Serena. Inzwischen aber hält auch Navratilova den sechsten Wimbledon-Titelgewinn von Venus Williams für möglich: "Keiner sonst verfügt ja über so viel Erfahrung."

Besonnen gegen die Umstände

Realistisch betrachtet allerdings, auch das räumt Navratilova ein, hat das Turnier für Williams unter katastrophalen Umständen begonnen. Da ist zunächst ihr Gesundheitszustand, der in den vergangenen Jahren Anlass zur Sorge gab. Venus Williams leidet am Sjörgen-Syndrom, einer Autoimmunkrankheit, zu deren Symptomen Müdigkeitsanfälle und Abgeschlagenheit gehören. Auch deshalb muss sie heute mit ihren Kräften haushalten. Zudem war sie am 9. Juni in Florida in einen Verkehrsunfall mit tödlichem Ausgang verwickelt. Bei der Kollision auf einer Kreuzung zog sich der Beifahrer im entgegenkommenden Auto Verletzungen zu, denen er später erlag. Williams war "untröstlich", wie sie auf Facebook schrieb. Erst an diesem Wochenende, mitten im Turnier, haben neue Polizeiermittlungen sie entlastet.

Wenn sie auf dem Platz stand und zum Schläger griff, hat sie sich die psychische Anspannung nicht anmerken lassen; dazu ist sie wohl zu lange Profi. Auch anschließend sprach sie lieber von der vielen Arbeit, die sie noch immer, mit 37, in den Sport investiert. "Wenn man relevant bleiben will", sagte sie, "dann ist es unerlässlich, dass man sich ständig verbessert." Wie lange sie täglich trainiere, ließ sie indes offen, auf eine entsprechende Frage antwortete sie nur: "Genug."

Ausgeglichene Bilanz gegen Konta

Ohnehin äußerte sie sich auffallend einsilbig und zurückhaltend, wenn sie vor Mikrofonen und Kameras stand. Seit sie zu Turnierbeginn, auf den Autounfall in den USA angesprochen, von Emotionen übermannt wurde und eine Pressekonferenz unterbrach, ist sie vorsichtig geworden.

Kommt die Rede auf ihre Leidenschaft fürs Tennis, dann gerät sie allerdings noch immer so ins Schwärmen wie vor 20 Jahren, als sie mit Zöpfchen und grünen und weißen Perlen in den Haaren erstmals nach London SW19 kam. "Ich liebe diesen Sport", sagte sie. "Das ist der Grund, weshalb ich noch immer spiele. Und wenn man gewinnt, spielt auch das Alter keine Rolle."

Gegen Johanna Konta, die Frau, die ihrem Final-Einzug noch im Wege steht, hat sie in diesem Jahr einmal in Rom gewonnen und einmal in Miami verloren. "Ich bin sicher, dass sie selbstbewusst und entschlossen spielen wird. Und mit den Erwartungen des Publikums scheint sie sehr gut umgehen zu können", sagt Venus Williams. Konta ist die erste Britin seit 39 Jahren, die vor heimischem Publikum in einem Wimbledon-Halbfinale steht und kann auf frenetische Unterstützung auf dem Centre Court hoffen. Aber das ist nichts, das Williams, die Älteste im Turnier, aus der Fassung bringt. Sie wird in Ruhe an die Grundline treten. In Ruhe zu den Bällen greifen. In Ruhe aufschlagen. Und vielleicht zum Abschied noch eine Pirouette drehen.

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