Tennis:Die Nummer eins, die ihre Form sucht

U.S. Open winner Angelique Kerber jumps after a news conference in Munich

Da herrschte noch die Leichtigkeit des Seins: Angelique Kerber nach dem Sieg bei den US-Open 2016, der sie auf Platz eins der Welt katapultierte.

(Foto: REUTERS)
  • Angelique Kerber sucht in dieser Saison noch ihre Topform, die sie zu zwei Grand-Slam-Turniersiegen getragen hat.
  • Dennoch erwarten nun alle von ihr, dass sie das deutsche Fed-Cup-Team in Stuttgart vor dem Abstieg bewahrt.
  • Hier geht es zu den Ergebnissen im Frauentennis.

Von Philipp Schneider, Stuttgart

Mit einem kleinen Hopser springt Angelique Kerber aus dem recht engen, holzverkleideten Räumchen, in dem sie gerade drei Etagen nach oben gesaust ist. Ein Paternoster ist ja ein fast schon archaisches Fortbewegungsmittel und garantiert nichts für Klaustrophobiker. Vor 13 Jahren, bei der letzten großen Renovierung im Stuttgarter Rathaus, haben sich die Nostalgiker dagegen entschieden, diesen altertümlichen Aufzug, in dem die Einzelkabinen wie die Perlen an einem Rosenkranz angeordnet sind und die Fahrgäste mit einer Geschwindigkeit von 30 Zentimetern pro Sekunde bewegen, durch einen moderneren zu ersetzen.

Und deshalb ist das jetzt ein schönes Bild: Da springen die Spielerinnen des deutschen Fed-Cup-Teams aus diesem sehr speziellen Fahrstuhl, der es vermag, ohne Unterlass hoch und runter zu fahren. Und als letzte entsteigt Kerber. Die Fotokameras klicken, die Fernsehkameras halten drauf, Kerber läuft flink an ihnen vorbei, dann stellt sie sich neben die Bundestrainerin an eine graue Wand. Etwas gehetzt blickt Kerber in die Runde. Bloß keine Frage vor der anschließenden Pressekonferenz. Dort begrüßt sie der Sprecher als "world number one", als Nummer eins der Welt. Bis Montag ist Kerber das noch. Dann geht es für sie wieder runter in der Rangliste.

Und womöglich ziemlich schnell wieder hoch, so genau weiß das keiner. Auf Platz drei rückt die Tschechin Karolina Pliskova immer näher. Fest steht nur: Serena Williams wird den Platz an der Sonne ab Montag noch einmal besetzten, dann aber wieder räumen. Die 23-malige Grand-Slam-Siegerin ist schwanger, im Herbst kommt ihr Nachwuchs zur Welt, erst 2018 will sie wieder zurück auf den Tennisplatz.

Und nun stellt sich die Frage: Wie reagiert Kerber auf diese neue Situation, in der ihr die ärgste Konkurrentin das Feld kampflos überlässt? Psychologisch betrachtet kann einen so viel freier Raum, der dazu einlädt, gefüllt zu werden, ja befreien oder blockieren. "Ich fühle mich gut", sagt Kerber. Die Trainingswoche sei intensiv gewesen, "auch wenn die Umstellung von Hartplatz auf Sand hart ist".

Der unerfüllte Traum vom Titel

Runter oder hoch? Das ist das Thema an diesem Wochenende in Stuttgart. Da ähnelt Kerbers Weltranglistenkurve dem Auf und Ab des deutschen Fed-Cup- Teams, das ja seit Jahren pendelt zwischen dem unerfüllten Traum, zum ersten Mal seit 1992 den Titel zu gewinnen, und der immer wieder zu querende Tristesse des Abstiegskampfes. Gegen die Ukraine droht mal wieder die Strafversetzung aus der Weltgruppe. Am Samstag (12 Uhr) trifft zunächst Julia Görges auf die Weltranglisten-13. Jelina Switolina. Kerber steht anschließend Lessia Zurenko gegenüber.

In Bestform ist Zurenko keine Hürde. Allerdings: Kerber sucht in diesem Jahr ohne Turniersieg trotz ansteigender Formkurve noch immer nach einem Punkt, an dem sie an ihr großes, von Titeln bei den Australian Open und US Open gekröntes Vorjahr anknüpfen kann. "Ich habe auf jeden Fall ein gutes Gefühl", sagt Kerber in Stuttgart. Auf "50:50" beziffert Barbara Rittner die Chancen, den fünften Abstieg in ihrer zwölfjährigen Ära als Teamchefin zu verhindern. Über Kerber sagt sie: "Ich glaube, dass sie die tragende Rolle spielen muss und wird." Muss und wird?

Über den möglichen Abstieg denkt Kerber nicht nach

Es ist ja so: Erstmals führt Kerber eine vergleichsweise unerfahrene deutsche Mannschaft an, in der neben Görges noch Laura Siegemund und Carina Witthöft nominiert sind, die bislang jeweils nur ein Doppel im Fed Cup gespielt haben. Schwer wie ein voll besetztes Elefantengehege lastet daher diesmal die Verantwortung auf Kerber, zumal auch Ulrich Klaus, der Präsident des Deutschen Tennis Bunds, sagt: "Der Druck ist natürlich groß. Wir müssen schon in der Weltgruppe spielen."

Als das Team 2012 zum letzten Mal in der Relegation verlor, 2:3 in Stuttgart gegen Australien, lagen die Dinge noch anders. Das Team von Barbara Rittner befand sich damals ganz am Anfang eines Weges, von dem die Tennisfans in der auf Pokalentzug gesetzten Becker-Graf-Nation erwarteten, er würde eines Tages zum Titel führen. Gelistet auf Weltranglistenplatz elf war Andrea Petkovic damals noch die deutsche Spitzenspielerin. Hinter ihr tummelten sich Sabine Lisicki, Kerber und Görges in dieser Reihenfolge auf den Plätzen 13, 14 und 16. Lange her alles.

Inzwischen ist die Hierarchie im Frauentennis deutlich durcheinander gewirbelt worden. Die formschwache Andrea Petkovic, die für das Team ja immer so etwas war wie eine dauerplaudernde Säule, hinter der alle anderen in Deckung gehen und schweigen konnten, ist diesmal nicht einmal dabei. Sie fehlt auch beim direkt anschließenden Porsche Grand Prix in Stuttgart. Und auch für Lisicki ist derzeit kein Platz. Die vom Boulevard einst mit guten Argumenten "Bum-Bum-Bine" getaufte Wimbledon-Finalistin von 2013 hangelt sich - diese Vereinfachung sei ausnahmsweise erlaubt - seit vier Jahren von einer Form- und Lebenskrise zur nächsten. So gesehen ist der Umbruch, den Rittner mit Siegemund und Witthöft gestaltet, schon eine Zäsur.

Die Weltgruppe könnte auf 16 Teams vergrößert werden

War die Stärke des Teams vor vier Jahren noch seine Ausgewogenheit mit gleich vier Spielerinnen unter den besten 20 der Welt, ist die große Stärke nun: Angelique Kerber. Wenn das 0:4 gegen die USA im Februar neben der Bedeutung einer gewissenhaften Recherche des korrekten Hymnentextes (der gebuchte Solist sang die erste Strophe des Deutschlandliedes) eines gelehrt hat, dann die immense sportliche Bedeutung Kerbers, die auf Hawaii fehlte.

Über die Möglichkeit eines Abstiegs "machen wir uns keine großen Gedanken", sagt Kerber. "Wir haben das gar nicht so richtig im Kopf." Die gute Nachricht ist: Das müssen sie vielleicht auch gar nicht. Es spricht in der Tat vieles dafür, dass der Weltverband ITF im August die Aufstockung der Weltgruppe von derzeit 8 auf 16 Teams beschließt. In dem Fall dürften auch die Relegationsverlierer in der Weltgruppe verbleiben.

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