Süddeutsche Zeitung

Tennis:Die Fesseln abgelegt

Sie dürfte die reichste Sportlerin der Welt sein, dabei fängt die amerikanische Milliardärstochter Jessica Pegula gerade erst an, ihr spielerisches Vermögen auszuschöpfen. Bei den Australian Open hat die bald 27-Jährige das Viertelfinale erreicht.

Von Milan Pavlovic, Melbourne/München

Es ist nicht immer förderlich, reich zu sein. Jedenfalls nicht dann, wenn man auf eigenen Beinen stehen möchte, aber stets im Hinterkopf hat, dass man weich landen wird, egal wie hart es einen umhaut und wie tief man fällt. Jessica Pegula wird, wenn sie es sich nicht mit ihren Eltern verdirbt und enterbt wird, eines Tages über ein zehnstelliges Vermögen verfügen. Ihr Vater Terrence ist das, was man in den USA einen billionaire nennt - und da bleibt schon noch was übrig, wenn man den Öl-Magnaten nach deutscher Zählweise als Milliardär einstuft, der gut 1,6 Milliarden Dollar in den Kauf zweier traditionsreicher Sportvereine in seiner Heimat Buffalo investiert hat: die Bills im Football und die Sabres im Eishockey.

Aber wie soll sich eine Sportlerin fühlen, wenn sie mehr Geld in Aussicht hat als Tiger Woods, Roger Federer und Serena Williams zusammen - ohne je ein großes Turnier gewonnen zu haben?

In Melbourne erzählte Pegula, dass sie erst einmal "meine eigene Identität finden" musste. Dazu gehörte, sich eigene Fehler einzugestehen. "Als ich begann, wollte ich mir unbedingt durch eigene Erfolge einen Namen machen. Ich wollte ausbrechen und mich beweisen. Aber dieser Ansatz schadete eher, als dass er mir geholfen hätte. Erst als ich anfing, den Familienaspekt zu schätzen, wurde ich lockerer und die Situation besser." Dennoch sondere sie sich bei Gelegenheit immer noch ab: "Tennis ist mein Ding, mein Job, es ist meine Karriere. Meine Eltern haben keinen Einfluss darauf, was ich auf dem Platz mache."

Mehrere Verletzungen an Knie und Hüfte warfen sie jahrelang zurück, aber wer Pegulas Ausführungen in Melbourne Glauben schenkt, der versteht, warum sie dankbar dafür ist, dass Erfolge sich nicht früh und selbstverständlich einstellten, sondern sie lange und hart dafür arbeiten musste. "Die meisten Leute denken, ich wäre jung, weil sie noch nicht viel von mir gehört haben. Aber so jung bin ich gar nicht." Am 24. Februar wird sie 27 Jahre alt, "die Zwangspausen dürften der Grund sein, "warum ich mich jünger fühle und immer noch vieles zum ersten Mal erlebe".

Auf dem Weg ins Viertelfinale hat sie drei Grand-Slam-Siegerinnen und die Nummer 5 der Welt besiegt

Bis Ende 2020 hatte sie jenseits ihrer Heimat nicht eine Partie bei einem Grand Slam gewonnen. Und jahrelang fand sie jenen Sieg, mit dem sie sich beim Qualifikationsturnier in New York einen Startplatz für die US Open 2015 erarbeitete, als den schönsten Erfolg ihrer überschaubaren Karriere.

Bis zu ihrem Siegeszug in Melbourne.

Das Überraschendste auf ihrem Weg ins Viertelfinale war es, dass Pegula zunächst stets im Schatten ihrer Gegnerinnen stand. Zum Auftakt wollten nur wenige wissen, wie sie die zweimalige Australian-Open-Championesse Viktoria Asarenka bezwungen hatte - weil es spektakulärer wirkte, dass die Belarussin mit Atemnot zu kämpfen hatte. Als Pegula in der zweiten Runde die ehemalige US-Open-Gewinnerin Samantha Stosur aus dem Weg räumte, entschuldigte sich die Gewinnerin beim Publikum dafür, dass sie den Liebling der Einheimischen vermöbelt hatte (6:0, 6:1). Der arrivierten Französin Kristina Mladenovic, fünfmalige Grand-Slam-Siegerin im Doppel, überließ die Amerikanerin, die ihre langen dunklen Haare gerne als langen, starren Zopf zähmt, auch nur drei Spiele (6:2, 6:1).

Ihre nächste Gegnerin wird von Michael Geserer trainiert

Zur bisherigen Krönung ihres Wegs setzte sich Pegula gegen die an Nummer fünf gesetzte Jelina Switolina durch, der seit Jahren zugetraut wird, ihren ersten Grand-Slam-Titel zu landen. Doch als es am Montag darauf ankam, wirkte Pegula cooler, mutiger und sicherer als ihre ukrainische Kontrahentin, gegen die sie vor zwei Wochen bei einem Vorbereitungsturnier noch verloren hatte. Pegula justierte ihren Matchplan, variierte das Tempo, sie überstand einen Wackler Mitte des dritten Satzes, scheute sich nicht, ihren mächtigen Vorhandschlägen auch mal ans Netz zu folgen, und es gefiel ihr selbst sehr, "wie gut mein Aufschlag kam". Früher galt ihr die ausgefuchste kleine Taktikerin Martina Hingis als Vorbild, aber inzwischen verfügt Pegula über so viel Power, dass sie deutlich mehr freie Punkte machen kann als einst die Schweizerin. "Ich sehe den Ball derzeit sehr gut und treffe ihn noch besser."

Spätestens jetzt dürfte es für Pegula unmöglich sein, ihre Außenseiter-Nummer durchzuziehen. Im Viertelfinale geht es gegen ihre Freundin und Landsfrau Jennifer Brady, 25, die vom findigen deutschen Coach Michael Geserer an die Top 20 herangeführt worden ist. Das Duell illustriert perfekt einen anderen Trend: In den vergangenen Jahren hat sich Australien zu einer Stätte amerikanischer Überraschungen entwickelt. 2017 prügelte sich Coco Vandeweghe ihren Weg ins Halbfinale (inklusive einer Achtelfinal-Abreibung für Titelverteidigerin Angelique Kerber); 2019 drosch sich Danielle Collins ihren Weg ins Halbfinale (inklusive einer Achtelfinal-Abreibung für Angelique Kerber); und 2020 schaffte es die krasse Außenseiterin Sofia Kenin sogar, den Pokal zu gewinnen und sich in einem kuriosen Kleid am Yarra River neben der Trophäe auf einer Picknick-Decke hinzufläzen.

Aber all das könnte nicht ansatzweise mithalten mit einem Triumph von Jessica Pegula in Melbourne. Vermutlich zum ersten Mal in der Geschichte des Sports wäre es keine Koketterie, sondern nichts als die Wahrheit, wenn Pegula als Siegerin sagen würde, dass die Prämie von 2,7 Millionen Euro eine Nebenrolle spielte.

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