Süddeutsche Zeitung

Deutsches Tennis:Es kommt zu viel weg

Zum ersten Mal seit 1984 erreichte kein deutscher Mann die zweite Runde bei den US Open - bei den Frauen siegte lediglich Jule Niemeier. Ein Blick in andere Länder zeigt, dass es Möglichkeiten gäbe, daran etwas zu ändern.

Kommentar von Jürgen Schmieder, New York

Beim Tennis kommt nichts weg, das ist derzeit mal wieder bei den US Open zu beobachten. Wen man vor 30 Jahren erlebt hat, den trifft man nun wieder auf der Tennisanlage in Flushing Meadows, mit einer Ausnahme: Einstige deutsche Tennisgrößen sind genau so selten zu bestaunen wie Siege aktueller deutscher Tennisprofis. Zum ersten Mal seit 1984 erreichte jetzt kein deutscher Mann die zweite Runde bei den US Open, bei den Frauen, die bei den Australian Open ausschließlich Erstrunden-Niederlagen sammelten, siegte diesmal nur Jule Niemeier.

Gewiss: Alexander Zverev ist verletzt, Angelique Kerber schwanger; beide sind erst gar nicht nach New York gereist. Auch die Auslosung war so, als hätte das Schicksal, dieser miese Verräter, das frühe Scheitern deutscher Teilnehmer gewollt: Tatjana Maria gegen Maria Sakkari (Nummer drei der Setzliste), Oscar Otte gegen Hubert Hurkacz (acht), Daniel Altmaier gegen Jannik Sinner (elf), Andrea Petkovic gegen Belinda Bencic (13), Maximilian Marterer gegen 2014-Open-Sieger Marin Cilic (15), Peter Gojowczyk gegen Holger Rune (28), Jule Niemeier gegen 2020-Australian-Open-Siegerin Sofia Kenin, Laura Siegemund gegen Sorana Cirstea (37 der Weltrangliste).

Das ist brutal - es gilt indes auch: Wer selbst gesetzt ist, kann in den ersten beiden Runden eines Grand-Slam-Turniers nicht auf andere Gesetzte treffen. Das sollte das Ziel jedes Spielers sein.

Andere Länder, andere Sitten: Der Nachwuchs wird in kleineren Ländern wie Tschechien besser betreut

Die Ausbildung zum Tennisprofi ist kostspielig, der deutsche Tennisverband verfügt nicht über Geldtöpfe wie etwa der US-Verband, mit einem Grand-Slam-Turnier, je drei Veranstaltungen der 1000-Kategorie und Tennis- und Sportsendern, die für Einnahmen von fast einer halben Milliarde Dollar pro Jahr sorgen. Es gibt auch nicht beinahe wöchentlich Challenger-Turniere wie in Italien mit Teilnahmegarantie für lokale Talente, die sich dort messen können.

Was es auch nicht gibt, und das wieder führt dazu, dass beim Tennis ja eigentlich nichts wegkommt: Drei talentierte Teenager aus Tschechien haben es in New York über die Qualifikation ins Hauptfeld geschafft, sechs Spielerinnen stehen in Runde zwei. Der Grund für diese Fülle ist laut David Kotyza, dem langjährigen Trainer von Wimbledon-Siegerin Petra Kvitova, der derzeit für Karolina Muchova verantwortlich ist: die Tradition, dass sich ehemalige Profis auch um Nachwuchsspieler kümmern, an der Basis; nicht nur ums Verbessern gestandener Profis oder Ausrichten von Turnieren.

Es gibt viele Gründe, weshalb das in Deutschland nicht so ist. Boris Becker ist derzeit unabkömmlich, Steffi Graf hatte schon während ihrer aktiven Zeit keine Lust auf den Tennisrummel, Tommy Haas ist Turnierdirektor in Indian Wells. Bei anderen fragt man sich, was die gerade tun - und ob es denn immer was sein muss mit "Turnierdirektor" oder "Chef" oder "Head of".

Es braucht auch Leute, die Lust und Willen haben, Talenten zu helfen, auch wenn das Zeit und Nerven kosten mag. Es ist kein Zufall, dass Niemeier vom ehemaligen Profi Christopher Kas trainiert wird und am Montag der einstige Profi Rainer Schüttler in der Box saß. Niemeier sagte danach selbst, wie sehr ihr das helfe.

Es gibt herausragende deutsche Akteure, die gerade ihre Karriere beendet haben (Petkovic, Görges, Kohlschreiber) oder es bald tun dürften (Kerber). Man kann niemanden zwingen, sich nach der aktiven Laufbahn einzubringen. Es wäre indes schade, wenn es nicht gelänge, diese Generation zukünftig stärker einzubinden.

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