Tennis:Der doppelte Tommy Haas

BNP Paribas Open - Day 4

Entspannter Gastgeber: Tommy Haas (rechts) spricht mit Oracle-Gründer Larry Ellison (links), der ihn als Turnierdirektor geholt hat.

(Foto: AFP)
  • Erstmals präsentiert sich Tennisspieler Tommay Haas als Direktor des Turniers von Indian Wells.
  • Ende der Saison will Haas, 39, als Profi zurücktreten.
  • Aufgeräumt stellt er sich in den Dienst der Branche - in seiner neuen Rolle geht er jetzt schon auf.

Von Jürgen Schmieder, Indian Wells

Auf dem Schreibtisch von Tommy Haas steht eine Flasche Whisky. Sie wirkt deplatziert neben den Fotos seiner Familie, dem Spielplan für den nächsten Tag und einer Tasche mit Tennissachen. Es scheint nicht so zu sein, als würde der Turnierdirektor von Indian Wells Besuchern diesen edlen Tropfen anbieten: Die Flasche ist verschlossen, es gibt weder Gläser noch Eis. Haas begrüßt einen so, wie er vor einer Tennispartie einen Partner begrüßen würde. Dann sieht er hinüber, als wäre ihm das etwas peinlich, dass diese Flasche da steht. Er sagt aber nichts dazu.

Es riecht nach frischer Farbe in diesem Büro, wie auch auf der kompletten Anlage. Der Milliardär Larry Ellison hat aus dem Turnier in der kalifornischen Wüste einen Termin für Tennis-Feinschmecker gemacht, so wie er die Segelregatta America's Cup in eine Hightech-Veranstaltung verwandelte. Wer nicht verletzt ist wie Serena Williams oder suspendiert wie Maria Scharapowa, der kommt nach Indian Wells. Die Spieler fühlen sich wegen der Kombination Luxus im Niemandsland so wohl wie bei kaum einem anderen Turnier. Es gibt einen Ableger eines japanischen Edelrestaurants und eine Filiale des Sternekochs Wolfgang Puck, dazu Lounges mit vornehmen Getränken. Das kürzlich renovierte Stadium 1 ist das zweitgrößte Tennisstadion der Welt, 16 100 Zuschauer passen hinein. In Indian Wells leben 5100 Menschen.

Haas ist mit Ellison befreundet, seit der Oracle-Gründer ein Haus von Haas' Schwiegervater, dem Musikproduzenten David Foster, gekauft hat. Als Raymond Moore im vergangenen Jahr wegen sexistischer Kommentare als Turnierdirektor zurücktreten musste, zahlte sich diese Verbindung aus: "Herr Ellison hat mir diese Aufgabe anvertraut." Haas nennt seinen Freund nie "Larry", er sagt: "Herr Ellison".

Sonntagabend, Stadium 1. Auf dem Platz spielt Novak Djokovic gegen Kyle Edmund, Haas kommt auf die Ehrentribüne hinter der Grundlinie, er trägt Jeans und ein schwarzes Poloshirt, die Uniform der ganz wichtigen Zuschauer bei solchen Turnieren. Er verschafft einer jungen Frau einen schicken Platz in der ersten Reihe, schüttelt ein paar Hände und spricht mit jedem, der mit ihm sprechen will. Wer mal in so einem VIP-Bereich war, der weiß, wie bedeutsam es sein kann, wenn die Gäste mit einem plaudern können, der Djokovic ein paar Mal besiegt hat und nun Spielpläne gestaltet oder die edlen Getränke bestellt. Haas wirkt nicht ungelenk wie manch anderer Sportler, wenn er vom Platz auf die Tribüne wechselt. Er sieht so aus, als gehöre er seit Jahren genau dorthin.

"Ein Spieler weiß gar nicht, welche Arbeit in so einem Turnier steckt", sagt Haas: "Gerade die Topspieler haben oft spezielle Wünsche." Rafael Nadal etwa reist mit einer Entourage in Kompaniestärke an, die ein undurchlässiges Ringsystem um ihn herum hochzieht, damit ihm nur ja niemand zu nahe kommt. Novak Djokovic, Gaël Monfils und Jo-Wilfried Tsonga spielen auf dem Rasen vor dem Stadion Fußball, Nick Kyrgios jagt nach digitalen Exemplaren des Handyspiels Pokémon. Haas muss organisieren, was jahrelang für ihn selbstverständlich war. Er ist spätestens um neun Uhr in seinem Büro und verlässt die Anlage selten vor Mitternacht: "Ich nehme das in Kauf, weil ich das seit Jahren machen will", sagt er: "Es ist anstrengend und nicht immer einfach." So einen kann man doch jetzt unmöglich nach der Flasche Whisky auf dem Tisch fragen.

Haas will eine Tennisakademie gründen

Tennis ist eine riesige Familie, aus der niemand ausgestoßen wird, der mal dazugehört hat. Martina Hingis hat vor 20 Jahren die Australian Open gewonnen und spielt in Indian Wells im Doppel. Jim Courier kommentiert fürs Fernsehen, Michael Chang betreut Kei Nishikori. Haas ist der Turnierdirektor, deshalb liegt der Spielplan vor ihm. Die anderen Sachen auf seinem Schreibtisch sind Symbole dafür, was Haas mit seinem Leben anstellen will. Diese Fotos mit seiner Partnerin, Schauspielerin Sara Foster, und den zwei Töchtern verorten den Lebensmittelpunkt in Kalifornien: "Ich kann mir vorstellen, hier eine Tennisakademie aufzubauen." Er selbst ist bei Nick Bollettieri in Florida ausgebildet worden - warum nicht mit Herrn Ellison ein Pendant an der Westküste etablieren?

Beim Tennis kommt nichts weg. Haas ist auch als aktiver Profi immer noch da. Die Leute nennen ihn den "ewigen Tommy", was manchmal bewundernd klingt und manchmal ein bisschen despektierlich. "Wer weiß, was passiert wäre, wenn ich im Halbfinale der Australian Open 2002 nicht diese Schmerzen in der Schulter gehabt hätte", sagt er. Das klingt wehmütig, soll es aber nicht. Er hat sich nach 15 Operationen immer wieder zurückgekämpft und trägt dieses "ewig" als Beweis für seine Willensstärke.

Haas träumt von einem Ende wie Jimmy Connors

Das mit dem Aufhören ist ja so eine Sache. Die Leute reden immer über den vermeintlich richtigen Zeitpunkt - sie machen das aber immer erst danach, wenn sie zu wissen glauben, wann der richtige Zeitpunkt gewesen wäre. Es gibt aber auch niemanden, der einen ehemaligen Sportler sieht und sagt: "Guck mal, das ist der, der zum richtigen Zeitpunkt aufgehört hat." Muss nicht jeder wissen, was er mit sich und seiner Karriere anstellen will? Haas will noch ein paar Turniere spielen, deshalb liegt diese Tasche auf dem Tisch. Er hat morgens, kurz nach Sonnenaufgang, eine Stunde lang trainiert und erinnert sich daran, dass er in der Mittagspause Dehnübungen machen will. "Es ist nicht einfach, das alles unter einen Hut zu bringen, aber ich will mich ja auch nicht vom Platz schießen lassen bei meinen letzten Auftritten", sagt Haas; in Indian Wells verzichtete er darauf, sich selbst eine Wildcard zu geben, Stichwort Interessenskollision.

Es gebe keinen konkreten Plan für die letzte Saison, sagt Haas. Er will an den Turnieren in München, Stuttgart, Halle und Hamburg teilnehmen, im Herbst bei den US Open in New York. Dort absolvierte er vor 21 Jahren seine erste Grand-Slam-Partie, er verlor gegen Michael Stich. Der ist nun Turnierdirektor in Hamburg. Stich sagt über Haas: "Wir werden alles versuchen, um ihm in seiner Geburtsstadt einen angemessenen Abschied zu ermöglichen."

Haas hat kürzlich Jimmy Connors getroffen. Wenn es regnet, werden auf den Videoleinwänden stets die Bilder von den US Open 1991 gezeigt: Wie Connors im Achtelfinale dem Schiedsrichter mitteilt: "Ich reiße mir hier an meinem 39. Geburtstag den Hintern auf und du blödelst rum!" Wie er im Viertelfinale gegen Paul Haarhuis vier Schmetterbälle aus den Ecken fischt und den Ballwechsel gewinnt. Wie er das Publikum in New York und sich selbst berauscht. Connors hat damals das Halbfinale erreicht und das Turnier "die schönsten elf Tage meiner Karriere" genannt. Hätte Connors seine Karriere ein Jahr davor nach einer Operation am linken Handgelenk beendet, hätte er diese Momente nicht erlebt.

"Es wäre schön noch ein paar Spiele zu gewinnen"

Haas lächelt, als er diese Geschichte erzählt: "Ich werde auch bald 39 Jahre alt."

Wer ihn beobachtet in Indian Wells, wie er mit allen spricht und Mitarbeiter zum Lachen bringt, der sorgt sich nicht um die Zeit nach der Karriere. So ein Lauf bei einem der letzten Turniere würde ihm aber gefallen. "Es wäre schön, noch ein paar Spiele zu gewinnen", sagt er. Niemand muss aufhören, wenn es am schönsten ist. Jeder darf aufhören, wenn er es für richtig hält. Er darf sich dann auch einen Whisky gönnen. Es wäre aber unpassend gewesen, ihn danach zu fragen, ob diese Flasche genau deshalb auf dem Schreibtisch steht.

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